Ich poste, also bin ich. Ich poste, also bekomme ich. Nicht immer, was mir lieb ist. Das ist nun mal der Tauschhandel der sozialen Netzwerke.
„Si tacuisses, philosophus mansisses.“ – Wenn du geschwiegen hättest, wärest du Philosoph geblieben“) – Anicius Manlius Torquatus Severinus Boëthius (480-525 nach Christus) #Leitsatz
Die Mutter aller Gedanken?
Im sozialen Netzwerk sind Geschundene unterwegs. Unter anderem. Menschen, deren Seele waidwund ist. Im sozialen Netzwerk, im „Berliner Speckgürtel“, dem Internet, kursieren Gedanken wie diese. Sie handeln davon: Mit wem hast du es dort zu tun?
Wir kennen nicht Vorleben, geschweige denn Vorlieben unserer „sozialen Freunde“. Schon der Begriff ist irreführend. Ihre Wünsche und Hoffnungen? Keine Ahnung. Sie haben diese nicht ‚geshared‘, geteilt. Jemand, dessen Meinung ich diesbezüglich vertrauen, sagte kürzlich zu mir: Interessant ist nicht, was die Leute posten. Interessant ist, was sie nicht posten.
…
Wir wollen geliebt werden, das ist entscheidend. Zunächst ersetzen wir die fehlende, dringend ersehnte Fremdliebe durch den Versuch von Eigenliebe. Heraus kommt dabei Narzissmus: Das sich verlieben ins eigene Spiegelbild, in den eigenen Kommentar, die eigene Formulierung, den eigenen Witz. Wer´s über dich selbst hinaus noch versteht? Vielleicht niemand? Horch, was kommt von draußen rein? Eigenbild und Fremdbild differieren zuweilen ganz erheblich! Wenn wir uns #fremdschämen
Von Veröffentlichung zu Veröffentlichung strauchelnd. Sie teilen uns nicht mit, was sie sind. Allenfalls, was sie gerne sein möchten. Offenlegung über Schamgrenzen hinaus? In Wirklichkeit voll von Trickserei, frisiert um in der öffentlichen Meinung davon zu träumen, sich selbst in einem guten Lichte darzustellen, treten die selbstverliebten Selbstdarsteller im Web 2.1 auf wie in einem öffentlichen Gebetsraum. Gebetsrichtung: Cupertino, Silicon Valley. Dabei von Belanglosigkeit zu Belanglosigkeit hangelnd, bis hin zu perplexen Nichtigkeiten. Während der „Poster“ (ähnlich: der Poser) darauf lauert, von der Welt endlich wahrgenommen zu werden.
Indem wir in die fremde Welt von Geschundenen eindringen, verletzen wir was: die Anstandsgrenzen der Anderen beispielsweise, was zur Folge hat, dass wir in fremder Leute Fettnäpfchen trapsen. Aber hätten wir das wissen müssen? Kliiiiiietsch:
Der unbefangene Gedankenlose bin ich. Der nicht genügend in der mystifizierten Bedeutung auf fremden Pinnwänden verweilt, sich nicht genügend hineindenkt, um dann -eilig, fix, schnell- als Vorbeistreifender zu „kotieren“, sich auszumachen, zu gelten als eiliger Wandersmann. „Soziale Exkremente“, Kommentare aus einer fernen, distanzierten Welt. Der Kommentator bemerkt nicht einmal die Überschreitung, die neueste, weitere Verletzung des Kommentieropfers. Eine Verletzung aus Worten, die wie ingenieurtechnische Gebilde „der Stimmbildung“ bestehen aus konstruierten, ineinander verschachtelten Widerworten vollkommen zufälliger Convenience. Aus Posting (Ursprungskommentar) und Erwiderung (Kommentar in der Pinnwand). Tja, hätt´s de wissen müssen!
Das verschlimmert noch die Wochenbettdepression desjenigen, der schon seit
vielen, vielen Jahren an sich selbst knabbert.
Nun bricht beim vermeintlichen Fehltritt alles aus ihm heraus, wofür das Soziale Netzwerk vertretungshalber herhalten muss:
Verrat, ‚Zeter und Mordillo‘ brechen sich Bahn. Die Freundesliste wird verkleinert, der Pinnwand-Delinquent entfernt, blockiert oder zurecht gestutzt. Die eigene Welt wird mausklickartig verkleinert. Anderer Leute Meinung? Unerträglich. Vielleicht noch fragt er nach: Findest Du, ich habe überreagiert? ‚Ja, das hast du. Sei nicht so verletzt.‘
„Sie reden meist laut und bedrohlich. Meist um in Ruhe gelassen zu werden.“ (gelesen, über Männer) – Ich poste, also habe ich Ruhe: Nun merken wir, auch soziale Netzwerke repräsentieren echte menschliche Beziehungen, gute wie schlechte. Dass alles, was wir posten, Ausdruck unserer selbst ist. Viele Menschen posten ausschließlich fertige Postinginhalte, Katzenbilder, vorgestanzte Matrizen mit Sinnsprüchen und Witze, die andere schon erzählt haben. Nur nichts Eigenes. Wem´s gefällt?
Miefig, piefig, extra scharf unscharf, im Ungewissen verbleibend und von Aufwartung, echter Zuwendung und Verständnisnähe fern. Ganz so wie im wirklichen Leben.
Sie sind Kosmopolitischen ihres Eigenen, Narzissten mit einer ungesunden Weltsicht und Verletzte, Getriebene und Verratene. Und das werden sie auch bleiben.
Ein soziales Netzwerk wird sie niemals umformen.
Halte Dich von ihnen fern.