1484/12: Prognosen: Ich werde nie dazu kommen, den eBook-Reader anzuwerfen und zu lesen! Digitale Revolution? Keine Zeit

Andreas Hoppe - Allein unter Gurken (Buchtitel)
Andreas Hoppe – Allein unter Gurken (Buchtitel)

Ich haue ab von hier, verkündet der Reporter, dort hin, wo kaum ein Mensch je vor uns war – nach Hardrockhausen, Osten … und nebenbei erfahre ich alles über des Prolls reine Seele, über Hartz IV, Nazirock, Deutschlands beste Biersorten und die Wurzel der Gegenwart. (Moritz von Uslar, Deutschboden)

Die digitale Revolution ist ein lüsterner Schwellkörper. Über diese digitale Reizschwelle, die eine Wulst ist, kann ich derzeit nicht kommen, aus Zeitgründen. Auch aus Umfangsgründen. Zu viele Bücher noch, die ungelesen hier herumliegen. An die ich erinnert werde, wenn ich nur darüber nachdenke, was ich als nächstes zu lesen beabsichtige. Und dann lauter Lebensratgeber, die sollen doch die Fre….. halten. Ansonsten verleihen mir Menschen auch gern täglich neue Bücher. Lies mal.

Bin ich etwa immer noch nicht erwachsen? Wer schreibt, muss vielleicht selbst nichts lesen? Mitnichten. Schreiben ist Output. Lesen ist Input, so wie in dem Film: „Nr. 5 lebt“ aus dem Jahre 1985, ein Jahr nach Orwells 1984, das 1948 geschrieben wurde. Nr. 5, ein Roboter auf Rädern mit menschlichen Zügen, ist äußerst wissbegierig: er scannt Wind pustend die Seiten umblätternd das städtische Telefonbuch. Liest es leer in wenigen Sekunden und sagt dann: „Noch eins“. Neugierig.

Der digitale Detektiv

Ja, so bin ich auch. Zumindest ähnlich.

Will ich dünner werden, kaufe ich einen Ernährungsberater in Buchform. Will ich umziehen, ist ein Umzugsratgeber nicht schlecht. Sehr gut laufen auch Lifestyle-Bücher prominenter Journalisten wie z.B. von Moritz von Uslar (Buchtitel: „Deutschboden„).

Indem irgendjemand irgendwo einen Furz über ein Problem lässt, findet er seine Buchkäufer. Häme, Spott, sogar Niedertracht kann dem Stoff zugrunde liegen, es wird gekauft. Wie ist es, nach Brandenburg aufs Land zu ziehen? Das fragen sich viele Berliner. Berlin hat seit ein paar Jahren einen negativen Bevölkerungszuwachs. Es verblutet, ganz langsam. Grund sind die Wanderungsbewegungen, gen Umland.

Menschen wollen wohnen, wie das Grüngemüse, am liebsten „allein unter Gurken“, wovon das Buch von Tatort-Schauspieler Andreas Hoppe handelt. Auch wir berichteten hier, sogar noch über Gurken. So wie sich die WELTonline jetzt fragt,

Könnte es sein, dass (Moritz von) Uslar auf seinem Spezialgebiet, der Beschreibung ästhetischer Details, sehr nachlässig vorging, um eine möglichst krasse Ost-Exotik zu schaffen? Ein Denker geht auf Reisen und sucht den edlen Wilden. (Link oben)

…so fragt sich jetzt die WELToffline (nicht die Printausgabe der so genannten Zeitung, übrigens) nämlich, wie man jetzt erst in den Oderbruch ziehen könne, um dann den Medienbruch, das „xmedia“ (sprich: crossmedia) hinzuzubekommen? Das Buch geht on-line, genauer „goes digital“. Schon erscheinen für Autoren erste Ratgeber: Wie schreibe ich ein eBook? – Na, am besten ganz langsam, oder? Die Mehrheit der Menschheit besteht im Übrigen nicht aus Autoren, sondern nachweislich aus Lesern. Vermutlich gibt es mehr Nichtleser als Leser auf der Welt, oder?

Lesen blendet. Lesen verblödet. Lesen sortiert den Kopf und manipuliert das Gedankengut, versaut den Menschen mit fremden, teils befremdlichen Einflüssen, die daherkommen wie Einschüsse an der Scheunenwand. Rechnet man die Zahl der abgelagerten, ins Regal gestellten und in Kartons verpackten Bücher Deutschlands zusammen, würde platzmäßig vermutlich München wegfallen: für den „self storage“ aller Bücherwürmer Deutschlands. Die Münchner müssen mir verzeihen, aber im Englischen Garten waren schon länger unerträglich viele Nackedeis am Liegen. Damit ist es jetzt Schluss, alles Bücher oder was?

Ein Problem mit dieser Schwellung Deutschlands, der digitalen Revolution, ist die Selbstbeschneidung und der Fortfall bereits erworbener Möglichkeiten. Das Buchregal ist zu groß. Am Ende eines Lebens ist das Bücherregal voll. Vollkommen nutzlos. Es sind etliche Leseschinken darunter und immer, wenn ich daran vorbeilaufe, würdige ich sie keines Blickes. Es ist so gewöhnlich, Bücher in der Wohnung abgestellt zu haben. So nutzlos das auch sein mag. So wie alles andere, was wir zum Bewohnen ins Inventarium stellen, die Wohnung als vollgestopfte Hülle, als „self storage“. In Wirklichkeit ist es überwiegend abgestandener „Hausrat“, der das Leben füllt, aber nicht mit Inhalten. Wohnungen werden kleiner, verkramter, unübersichtlicher – der freie Geist der büchernen, bleiern schweren Schriften entreißt uns allen Lebensraum, engt unsere Ausbreitung in Wirklichkeit ein und ist eigentlich unerträglich. Leute, ich kann so net arbeite….

Die letzte Revolution war meiner Erinnerung nach die Abschaffung schwarzer Schallplatten und die Einführung der CD. Bei einem Versandhandel namens 2001 habe ich lange vor 2001 bereits Silberlinge als „reissue“ (Wiedererscheinung) bestellt von Tonträgern, die ich zuvor als schwarze „33er“ besessen hatte und nun nochmals erwerben musste. I wanted to go modern und so bezahlte ich für mein persönliches Weltkulturerbe doppelt. Es musste mir das nur wert sein. Jetzt stehen die Silberlinge in einem zu großen Regal und werden nicht mehr gespielt. Ich habe die Privatkopie digitalisiert. Auf einem iPhone mit jetzt 64 GB Speicher kann ich sämtliche -ich wiederhole: sämtliche!- Audiostücke meiner CD-Sammlung in hörbarer Qualität problemlos abbilden. Wozu noch CD-Rohlinge, Plattencover und duftige Booklets.

Genau. Und wozu noch Bücher?

In der Name der Rose (Verfilmung) frisst der böse Klosterschurke die vergifteten Blätter des Buches der Komödie am Ende auf, damit die Menschheit nichts vom nutzlosen Lachen erfährt. Es muss übrigens eigentlich kein eBook „Wie lese ich ein eBook“ geben, denn wer es lesen kann, braucht diesen Ratgeber in Wirklich nicht mehr. Siehste.

Fakt ist: Die Abschaffung von Büchern ist nicht mehr aufzuhalten. In vielleicht fünfzig Jahren haben nur noch altersversessene Antiquare welche, alle anderen wurden, ja, „verbrannt“. Womit sich der deutsche Kreidekreis schließt. Bis ich selbst „den Rubikon“ der Bücherwelt (zitiert „nach Wulff“) überschreite und Bücher weggeworfen werden, muss ich erst noch meine emotionalen Bindungen ans Kleingedruckte überwinden. Im Übrigen habe ich nicht wenige, sondern äußerst viele gedruckte Bücher noch zu lesen. Hinzu kommt der „gute Rat“ meiner Umwelt. Wer mich sogar gern mag, drückt mir noch jetzt und ohne weiteres im persönlichen Gespräch weitere Bücher „leihweise“ in die Hand. Das -so sagt er mit wissendem Blick- solle ich unbedingt mal lesen. Aber wann?

Ich werde wohl wegziehen und mich fragen, welche Art von Büchern brauche ich noch? Und überlegen, ob ich schon bereit bin für die digitale eBook-Schnittstelle zu Amazon, buecher.de oder thalia.de – und schon jetzt sehe ich die zugeschnürten Kommerz-Schnittstellen und Unverträglichkeiten verschiedener eBook-Systeme, insgeheim angelegt in der (heimlichen) Überlegung, den Bücherbezug künftig monopolartig zu beherrschen. Der gute alte Guttenberg, bzw. Gutenberg. Da kommt das „copy & paste“ nicht weit, mit digitalem Rechtemanagement.

In meiner künftigen Wohnstätte werde ich mit Sicherheit nicht vollkommen bücherlos dahinvegetieren und auf meinem eBook-Reader „Alleine unter Gurken“ von Andreas Hoppe lesen. Ich müsste überhaupt erst mal die Zeit dafür besitzen zu erkunden, ob dieses Buch schon „buch- und ruchlos“ digital gegangen ist, mithin als eBook erhältlich? Fakt aber ist: Ich leih mir jetzt und in meiner momentanen Verunsicherung, was den genauen, weiteren Verlauf meines Lebens betrifft, keine neuen Bücher und Ratgeber mehr aus. Ich muss mit einiger Gewalt einen mächtigen Schnitt in meinem Leben veranstalten. Meine Karten mische ich selbst neu. Ohne Ratgeber. Zu meinen Lieblingen, erinnere ich Udo Lindenberg, der sang: „Die Wohnung sieht jetzt anders aus, nichts erinnert mehr an dich. Ich hab alles knallbunt angemalt.“ – Auch die Wände, an denen einst Bücherregale standen. Neue Bücherregale, das sind kleine Icons auf dem Smartphone, iPad und dem eBook-Reader – mit Internetanschluss. Deutschland wird kalt, lichtern und digital.

Ich werde einen echten Ofen einbauen und alles verheizen. Aber vorher muss ich, allein aus wirtschaftlichen Gründen, die bereits bezahlten Bücher alle noch lesen. Sie reichen schon jetzt bis über mein vermutliches Lebensende weit hinaus. Leicht ist es nicht, ein noch modernerer Mensch zu werden.

(EP)

2 Gedanken zu „1484/12: Prognosen: Ich werde nie dazu kommen, den eBook-Reader anzuwerfen und zu lesen! Digitale Revolution? Keine Zeit

  1. Ich möchte nicht, dass der Ofen angemacht wird. Es gibt durchaus Menschen, die gern in echten Büchern lesen, darin stöbern und sich daran freuen. Und es gibt genug Institutionen, die dankbar für eine Buchspende sind. Ich helfe gern dabei.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.