Methusalem Kompott

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Der Elektroladen aus dem Erdgeschoss der Wohnanlage in Berlin-Wilmersdorf ruft uns gerade an und schildert ein auffälliges Verhalten, nein ein Nichtverhalten, der alten, gebrechlichen Wohnungseigentümerin Frau Schwester (* Name geändert). Ihre Gehhilfe steht noch da. Und morgens ist sie eigentlich jeden Tag erst einmal unterwegs, macht Besorgungen. Das macht sie heute -entgegen allen Gewohnheiten- nicht. Er hat schon gestern Abend einmal auf Verdacht an ihre Wohnungstür geklopft. Sie hat nicht aufgemacht. Dann hat er stärker geklopft. Wieder nichts.

Er ist jetzt stark beunruhigt. Es könnte Frau Schwester etwas zugestoßen sein. Möglicherweise liegt sie in ihrer Küche, handlungsunfähig oder tot?

Ich bedanke mich für den Anruf. Ich erinnere mich daran. Wenn Frau Schwester einmal einen Notfall hätte, und das ist ja gar nicht mal so außerhalb aller Möglichkeiten, dann müssten wir doch als Verwalterin Bescheid wissen, was zu tun ist. Wir sind nicht ein Notdienst in diesem Sinne. Aber wenn wir unsere Sinne schärfen, dann könnten wir für derartige Fälle vorsorgen. Das haben wir auch -seit geraumer Zeit- getan. Beispielsweise fordern wir auf der externer hyperlinkWebsite gotthal.de hier aktiv dazu auf, aktive Patenschaften für ältere Mitmenschen zu übernehmen. Ein ‚ein bisschen kümmern‘ steckt dahinter als Idee, also mehr zu tun, als man oberflächlich gesehen zu tun verpflichtet ist. Als Mensch, als Nachbar, als Hauswart, als Hausverwaltung – wir alle haben vermutlich mehr Verantwortung für andere Mitmenschen, wenn wir sie nur erkennen und wenn wir unser Handeln danach ausrichten. Alles zusammen genommen ergibt die Vision von einer menschlichen Gesellschaft. Denn es stimmt nicht unbedingt, was Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt einstmals über Visionen sagte. Dieser Spruch von Helmut Schmidt wird von Klaus Bölling, seinem früheren Regierungssprecher, Schmidt vor allem als eine grantelige Kritik am schwärmerischen Versprühen von politischen Ideen durch Willy Brandt zugeschrieben. Wer hingegen die Vision von einer menschlichen Gesellschaft hat, sollte sich einmal aktiv in seinem eigenen Dunstkreis umsehen, wer eventuell Hilfe und Zuspruch benötigt?

***

Das ist hier heute der Fall und es wird sich zeigen, ob der Gedanke zum Erfolg geführt hat. Wir erinnern jedenfalls, es gibt eine Notiz zu diesem Fall von Frau Schwester. In der heißt es relativ kurz gefasst: Schlüssel (für Notfälle) bei Malteser-Hilfsdienst (Telefon……). Wir rufen dort an, sofort. Die Dame, die dort das Telefon hebt, fragt noch zweimal nach, wie die hieße und wie man die schreibt. Wir buchstabieren usw… und sie sagt, sie kennt uns nicht. Wir behaupten, in einem Notfallbogen je Akte wie dieser müsse doch auch die Hausverwalterin namentlich Erwähnung finden. Sie verneint das. Ich biete ihr an, ein Fax mit allen Daten von uns zu schicken. Sie sagt, das nützt ihr nichts, denn sie habe dafür ein entsprechendes Formular. Es ist mir egal, welche Formulare sie benutzen will. Mir geht es jetzt nur darum, dass Frau Schwester notfallartig aufgesucht wird, um nach dem Rechten zu sehen. Sie sagt, der Sohn sei hier verzeichnet mit Telefonnummer. Ich sage, geben sie mir die Nummer. Sie sagt, es gibt ja auch einen Datenschutz. Ich sage, gut, Datenschutz hin, Datenschutz her. Eventuell geht es darum, schneller als der Datenschutz zu sein? Sie ruft den Sohn selbst an, sagt sie.  Soll sie das machen. Sie ruft kurze Zeit später zurück, sie hat den Sohn erreicht. Der Sohn sagt, die Mutter ist im Krankenhaus. Das ist -unter diesen Umständen- gut.

Die Annahme, Frau Schwester trifft ihre routineartigen Lebensschritte dieser Tage nicht so, wie wir alle es gewohnt sind, war richtig. Frau Schwester liegt, unabgemeldet, im Krankenhaus. Ich rufe meinen Informanten, den Elektrikerladen in Berlin-Wilmersdorf, an. Ich informiere. Die Frau sagt: Gut, also liegt sie im Krankenhaus, sie liegt also nicht in der Wohnung. Richtig, sage ich, genau. Ich bedanke mich noch einmal bei ihr. Sie sagt, sie will ja nicht neugierig erscheinen. Ich sage, das ist richtig, und machen sie sich keine Sorgen. Ein bisschen Neugier ist gerade in solchen Fällen gut und richtig. Es ist besser, wir interessieren uns für das, was unsere Nachbarn tun oder nicht mehr tun können, als wenn es uns gar nicht interessiert und irgendwann riecht es aus der Wohnung, und wir haben den Tod nicht einmal bemerkt. Dieser Tag ist gerettet.

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Update vom 22.06.09

Frau Schwester ruft heute selbst noch einmal an. Ob es denn sein könne, sie habe uns Umstände gemacht? Und ob wir alle, der Hilfsdienst, die Hausverwaltung und weitere Bewohner durch ihre Wohnung gelaufen seien, um nach der toten Frau Schwester zu schauen? Nein, versichere ich ihr, das haben wir nicht getan. Die Frau vom Elektrikerladen, sagt Frau Schwester, habe die ganze Nacht nicht schlafen können. Das täte ihr leid. Ende gut, alles gut, Frau Schwester ist offenbar wohlauf. Aber wir haben hingeschaut.

Ein Gedanke zu „Methusalem Kompott

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