2078/14: Historie: Zum Mauerfall 09.11.89, dem Gedenktag 09.11.14, Wolf Biermann und West-Erinnerungen von Marcus Kluge #Linktipp

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Graffito Büro Gotthal - 20 Jahre Mauerfall

Graffito Büro Gotthal – 20 Jahre Mauerfall

Der Bloggwart findet den Auftritt von Wolf Biermann im Deutschen Bundestag insgesamt nicht unangemessen oder gar unanständig. Was Westdeutsche sich vornehmen könnten von den Ostdeutschen interessiert zu lernen: Zu verstehen, warum dieser Auftritt Gefühle -vor allem im Ex-Ostdeutschland- verletzt haben könnte. Mir persönlich ist nicht klar, warum? – Sein Vortrag ist historisch ja nicht verkehrt einzuordnen. Mit einer gewissen Befriedigung festzuhalten, es sei nun möglich, diese Moritat vor einem deutschen demokratischen Parlament zu singen, ist doch in der Tat ein Fortschritt, in geschichtlichen Dimensionen gedacht.

Als vor fünf Jahren dieses Pixeltrickserei angefertigt wurde, war Bildpersonalisierung gerade stark im Kommen. Inzwischen gang und gäbe und  nichts Ungewöhnliches mehr, befand sich diese Technologie damals noch in den Kinderschuhen.

Jetzt liefen klasse Filme teils erstmals (Bornholmer Str.) und als Wiederholung (Das Leben der Anderen). Wolf Biermann hat dem Deutschen Demokratischen Bundestag, der nach seinen Worten einen gewissen Fortschritt gegenüber der Vergangenheit darstellt, ein Ständchen gesungen. Bundestagspräsident Lammert hat ihn gelehrt, wäre er als Volksvertreter gewählt, so hätte er hier ein Rederecht. Und trotzdem hat er sich eins genommen, hat sich als Drachentöter bezeichnet und den Linken eine Ohrfeige gegeben. So ist er nun mal, der Wolf Biermann, der unbeugsame.

20 Jahre Mauerfall: 09.11.1989 - 09.11.2009 (Idee: Thomas Gotthal)

20 Jahre Mauerfall: 09.11.1989 – 09.11.2009 (Idee: Thomas Gotthal)

Wimpel der Dankbarkeit: 2009 angefertigte Fotoarbeit zum zwanzigjährigen Geschichtsdatum: Es ist vieles besser geworden in Deutschland!

Verletzt Wolf Biermann mit seinem Auftritt im Deutschen Bundestag vor allem die Gefühle derjenigen, die sich an Deutschland (Ost) in einem liebenden Sinne zurückerinnern und mit einem gewissen Gewicht auf „Es war nicht alles nur schlecht.“? Natürlich war nicht alles nur schlecht, das wäre ja anmaßend, eine komplette Vernichtung auch guter Erinnerungen an die alte DDR zu betreiben. Nein, Biermann hätte wohl auch 1976 gerne weiterhin in Ostberlin gelebt: Er durfte es nur nicht. Genau dieser Aspekt aber ist es, der Biermann zweifelsohne zu einem der profiliertesten und gefährlichsten Kritiker des Regimes an sich machte. So oder so, es wird alles rot, hatte er gesungen, Brecht zitiert und vom großen Streben nach individueller Freiheit skandiert. Unerträglich 1976 fürs Politbüro. Eine ostdeutsche Schande, in der Wahrnehmung der Politbüroterrier.

Viele mit ostdeutscher Herkunft haben ihn ziemlich stark gescholten und einen „eitlen, selbstverliebten Fatzke“ genannt, einen selbstverliebten Gockel, dem es nur um seine Selbstdarstellung ginge.

Ich verstehe diesen „abgrundtief sitzenden Hass“ auf den vermeintlichen Vaterlandsverräter Wolf Biermann, der nämlich nie einer war, nicht. Irgendetwas nehmen ihm viele ehemals Ostdeutsche so krumm, dass sie in „dissen“, um es jugendlich auszudrücken.

Etwa drei Stunden stand ich da, umarmte fremde Menschen, trank mit ihnen Rotkäppchen-Sekt, immer wieder liefen mir Freudentränen über die Wangen. Tatsächlich weinte ich zum ersten Mal seit neun Jahren, das letzte Mal hatte ich geweint, nachdem am 8. Dezember 1980 John Lennon erschossen wurde, doch damals weinte ich aus Trauer, nun weil mir ein Stein vom Herzen fiel, von dem ich gar nicht gewusst hatte, das er da war. 28 Jahre hatte ich mit der Mauer gelebt, mein gesamtes Leben als „zoon politikon“, als politisch denkendes Wesen. (Marcus Kluge, zum Abend des 09.11.89, Link unten)

Dabei ist Wolf Biermann selbstverständlich „ein Kind seiner Zeit“. Sieht man sich heute im Nachhinein nochmals das legendäre Konzert von 1976 in der Kölner Sportarena an, so ist vieles, was er dort sagt, im Kontext seiner damaligen Zeit absolut wahr, reinen Herzens und von einer großen humanistischen, freiheitliche Gesamtidee durchsetzt. Es war auf diese Weise kein Wunder, dass Wolf Biermann seinerzeit ausgeostdeutscht wurde, werden musste, denn für das damalige orwell´sche System des Politbüros war Wolf Biermann untragbar geworden. Der Mann war zu gefährlich.

Ermutigung (Wolf Biermann)

Du, laß dich nicht verhärten
in dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen,
die allzu spitz sind, stechen
und brechen ab sogleich.

Du, laß dich nicht verbittern
in dieser bittren Zeit.
Die Herrschenden erzittern
– sitzt du erst hinter Gittern –
doch nicht vor deinem Leid.

Du, laß dich nicht erschrecken
in dieser Schreckenszeit.
Das wolln sie doch bezwecken
daß wir die Waffen strecken
schon vor dem großen Streit.

Du, laß dich nicht verbrauchen,
gebrauche deine Zeit.
Du kannst nicht untertauchen,
du brauchst uns und wir brauchen
grad deine Heiterkeit.

Wir wolln es nicht verschweigen
in dieser Schweigezeit.
Das Grün bricht aus den Zweigen,
wir wolln das allen zeigen,
dann wissen sie Bescheid

Sein Auftritt im Deutschen Bundestag war einigen nicht „gehörig genug“, der Mann habe die Entwicklung verschlafen und nicht mitbekommen, dass wir heute 25 Jahre nach dem Mauerfall in einer insgesamt abgeänderten Republik säßen. Das sagen auch die mit dem Ost-West-Überblick.

Heute, 2014, ist auch die letzte Brache bebaut, jeder Kiez mit einer auswechselbaren Mall versorgt und jeder Freiraum zum Zwecke des Gelderwerbs vernichtet. Es fehlt mir mein altes West-Berlin, heute mehr denn je. In ein paar Tagen 60 zu werden macht es nicht besser. Oder vielleicht doch ein wenig. Denn im Alter hat man ja das Recht, sich mit frohen Gedanken an eine Zeit zu erinnern, „als alles besser war.“ (Marcus Kluge, fast 60, zurückschauend, verlinkt nachfolgend)

Was Westberlin betrifft, gibt es auch nachdenkliche Autoren, wie Marcus Kluge, der in „Berlinische Leben“ ausführlich über den heutigen Tag und wie früher alles war, reüssiert. Dieser lesenswerte Artikel wird als Linktipp hier  aufgenommen. Vorsicht, viel Text.

Der Münsteraner Berliner #Flurbereinigung hat sich ebenfalls rückschauend Gedanken gemacht, auch diese empfehlen wir hier….

Aber gut.

Wen es interessiert, hier nochmal der gesamte Auftritt von Wolf Biermann vor dem Deutschen Bundestag….

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