Zur bevorstehenden Wahl 2011 in Berlin bin ich gedanklich noch einmal durch unser politisches Mehrfamilienhaus gelaufen, die Treppenstufen auf und ab. Habe nochmal überall geklingelt und dann überlegt!
Ich gebe zu, mein Vorhaben dieses Blog weitgehend unpolitisch zu führen, ist auf eine harte Probe gestellt, dieser Tage. Denn ich fühle mich eingeengt, meiner persönlichen Lebensfreiheit beraubt. Immer wenn ich Wahlplakate irgendwo hängen sehe, kommt mir das zuletzt Gegessene wieder hoch. Was sich vor allem die Partei der NPD im Wahlkampf herausnimmt, ist schon ein starker Angriff auf meine persönliche Lebens- und Denkfreiheit. Ich kann diesen Scheiß kaum ertragen.
Auch wenn ich die Meinung derjenigen nicht teile, die in dem Spruch „Gas geben“ und einem grauhaarigen NPD-Vorsitzenden auf dem Motorrad eine „absichtliche Verbreitung möglichst mehrdeutiger Aussagen“ besonders in der Nähe jüdischer Einrichtungen sehen. Das ist Humbug. Hier eine unselige Parallele zu Zyklon B und den Nationalsozialisten zu ziehen, halte ich schlicht für abwegig. Ich hab mir da meine Meinung gebildet. Die bezeugt mir das. Anders aber sieht es aus, beispielsweise, mit diesen unseligen, ausländerfeindlichen Parolen der „new Nazis“, der „braunen Kackbratzen“ (Krömers Schimpfwort, einmal sinnvoll in Verwendung gebracht, nicht von ihm).
Hier möchte ich mich eigentlich schämen, Deutscher zu sein. Einen fliegenden Teppich zu zeichnen, auf dem Ausländer nach Hause fliegen dürfen, das hat ja, was es ist. Es ist eine Art Märchen, und bei jedem Märchen muss man doch das Mythische in seinem Erzählkern erst heraus polken. Wenn Ausländer in Deutschland eines Tages (wieder) beschließen, besser heimzufliegen, ist es mit Deutschland eigentlich auch schon zu Ende. Als ich diesen Vorgang, mich dafür fremdschämen zu wollen, zur Sprache bringe, widerspricht mir jemand und sagt: Wir sollen uns nicht dafür schämen, Deutsche zu sein. Ich habe darüber noch einen weiteren Moment nachgedacht und nun schäme ich mich nicht mehr dafür.
Einige sagen jetzt, man sei in Deutschland auf dem richtigen Weg, das Frühere werde sich nicht mehr wiederholen. Dazu hätten wir schon zu viel gelernt zwischen Früher und Jetzt. Das mag sein. Wenn wir aber nun eindeutige Position gegen etwas wie dieses aufbauen und als Text veröffentlichen, wird uns dann die Rache dieser „zu kurz Gekommenen“ widerfahren? Werden sie, wie früher, so bräunliche Schlägertrupps zusammenstellen und besonders gewiefte Kritiker ihrer zu kurz gedachten Theorien als Systemfeinde verkloppen? Oder ihre Autos anzünden?
Wer sind sie denn, diese deutschnationalen Wähler, wer sind ihre Kandidaten und kann man die „Psychologie eines solchen Phänomens“ irgendwie soziologisch erklären? Ohne in Unschärfe zu verfallen, also in der gutgemeinten Absicht, den Menschen diese Kaste „besonderer Menschen“ aufklärerisch zu erklären? Ich glaube, man kann das nicht, ohne alle über einen Kamm zu scheren. Wenn es auch übergeordnete Begriffe und Systematisierungen für sie gibt: da habe ich kein Zweifel.
Man kann aber den Versuch unternehmen, sie zu karikieren, das tatsächliche Leben um uns herum und in unserer deutschen Kulturlandschaft zu beschreiben, wie es gewöhnlich ist. Und wie es denn wäre, wenn die Forderungen dieser nationalen Sozialisten erfüllt würden.
Die Ablehnung ausländischen Lebens ist eigentlich ganz unspezifiziert und ergo ist in der alltäglichen Suada dieser „abgekürzt nur Denkenden“, der NPD-Klientel, was wir unter „Ausländer“ verstehen, alles außerhalb der deutschen Staatsgrenzen. Insofern Frankreich, Italien, Österreich, Polen, Belgien, Niederlande, England, Amerika, Asien, Australien undsoweiter. Das Existenzrecht dieser „Ausländer“ wird eigentlich programmatisch nicht verneint, nur dürften sie hier nicht wohnen.
Konsequenterweise dürfen wir dann auch ihre Musik nicht hören, ihr Essen nicht essen, ihre Gebräuche nicht feiern oder gar „Karnevals derer Kulturen“ veranstalten. Das muss ich mir gerade mal genauer durchdenken. Wir werden dann zu „Joa, wir san mit´m Radl da“ und „Im Frühtau zu Berge“ gen Urlaub ziehen, an die Ostsee oder Nordsee. Wir werden vorbildliche Touristen sein. So wie diese Touristen am Hafen von Heiligenhafen.
Wir führen, anstatt „Amerikanische Volksfeste“ dann deutsche durch, ohne gekochte Maiskolben, mit Schweine- und Krustenbraten. Sind Zuckerwatte und kandierte Äpfel deutsch? Und singen gemeinsam „Rucki Zucki“. In der Gastronomie würden in Deutschland relativ viele Arbeitsplätze wegfallen. Ich habe die genauen Zahlen jetzt nicht recherchiert. Wie viele Deutsche leben eigentlich vom Handel, von der Zubereitung und vom Interesse an ausländischen Produkten, Zubereitungen? Würde schon ein Appenzeller theoretisch mich verdächtig machen, also ein Schweizer Käse?
Stattdessen überall Eisbein, Erbspüree und Sauerkraut. Geradezu unlösbar das Problem vom Mischbeziehungen, die undurchdachte Menschen vor der Machtergreifung der NPD eingingen, ohne die denkbaren Folgen zu gegenwärtigen. Und wie löst man das Problem: Ab welchem Prozentsatz „Ausländeranteil“ müssen solche Lebenspartner dann ausreisen ins Ausland und dürfen sie ihre „sehr deutschen“ Lebenspartner mitnehmen? Auch das ist progammatisch nicht gelöst. In Neukölln müssen viele Schulen geschlossen werden, weil es nicht genügend Schüler mehr gibt.
Ich kann es eigentlich kaum ertragen, diese Gedanken weiter zu führen. Sie führen zu nichts als alle nur zu einem. Was die NPD sagt, ist einfach saudumm und voll von „brüllenden Widersprüchen“.
Und deswegen ist es richtig zu sagen: „Wir sind Deutschland“, gerade weil wir nicht dumm sind. Wenn wir diesen Faden noch ein Stückchen weiterspinnen, dann schämen wir uns eben nicht dafür Deutsche zu sein. Wir schämen uns im Namen aller anständigen Deutschen. Aber wir begreifen auch unseren unendlichen Reichtum und den Zugewinn an Freiheit, dass es politische Positionen geben darf, die eigentlich verboten gehören, deren wir uns aber im freien Wort zu erwehren wissen mit dem, was diesen gesellschaftlichen Verlierern nicht zuteilwurde: die Fähigkeit, durch gezieltes Nachdenken zu intelligenten, weiterführenden politischen Positionen zu gelangen.
Sie sind eben arm, haben wenig Fantasie, keine innere Ausgeglichenheit, sie strahlen Morbidität, Dummheit und mangelnde Lebensfreude aus, Brutalität, Ausgrenzung und Unmenschlichkeit. Ihre Kindheit war vielleicht schwer, sie haben nie gelernt zu lieben, affirmativ zu sein, die Welt, wie sie ist, zu begreifen und ganzheitlich zu umarmen: Sie wie sie ist zu lieben. Und genau das zu lieben. Vater hat die Mutter geschlagen, vergewaltigt und gegen Ausländer gehetzt. Sie sind noch nicht erwachsen geworden, haben sich nicht abgenabelt aus der „Alten Welt“, haben keine zu Herzen gehende Literatur gelesen. Lesen ist ihnen zu anstrengend, Worte zu schwer und das Ertragen verschiedener Meinungen ihnen wesensfremd. Ihre Welt ist eindimensional, ohne Licht, kalt und frei von Gefühlen der Mitmenschlichkeit. Nein, mir graust vor denen.
So will ich niemals werden. Berlin im September 2011: Am Sonntag wird gewählt. Es ist sehr wichtig, dass alle Wahlberechtigten ihr Wahlrecht gebrauchen. Die Wahlbeteiligung und das Wahlergebnis, das wird morgen Abend ab 18 Uhr ein „Spiegelbild der deutschen Befindlichkeit“ sein. Und ich bin gespannt, wie das für die NPD ausgeht. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass wir so dumm sind. Wir sind doch Deutschland und das nicht mehr so wie früher, oder?