Der Stalking-Beauftragte meldet das Comeback der Kultband Ton, Steine, Scherben in Zehlendorf

Das Leben der anderen...

Das Leben der anderen...

Petrosilius S. Hirschhornkäfer, Stalking-Beauftragter

Petrosilius S. Hirschhornkäfer, Stalking-Beauftragter

Nein, es war alles andere als ein ’schwarzer Montag‘ im Leben der von Stalking betroffenen Familie in Berlin-Zehlendorf. Es war ein kulturelles Highlight. Seit Wochen schon lungert ein kleiner Gnom aus Berlin-Kreuzberg um das Haus herum. Das war die Familie nun schon irgendwie gewohnt. Die ausladenden Dachterrassen-Partys sind vorbei. Schilder hatten die Gäste des Gnoms gewarnt. Wer hierher kommt, der möge sich bitte vom Gastgeber, Herrn Stalking, ausführlich sagen lassen, warum er denn hier so laut feiern dürfe? Aber nicht zu früh freuen, vielleicht ist die nächste Party nicht mehr weit? Abwarten. – Die Formularabteilung von gesichtspunkte.de denkt aktuell über ein neues Formular nach. Mit einem so genannten Stalking-Attest könnte sich der Besucher einer jeden, merkwürdig anmutenden Dachterrassen-Party vom Gastgeber bescheinigen lassen, dass die Party garantiert stalkingfrei bliebe. Später.

Gestern jedenfalls ein kulturell wertvoller Montag mit tiefen Rückblicken in die Berliner Rockszene der frühen Siebziger. Im Georg-von-Rauch-Haus intonierte seinerzeit die politische Kultband Ton, Steine, Scherben ihren Gassenhauser ‚Das ist unser Haus, schmeißt doch einfach Müller, Meier, Lehmann, Schulze raus….‘, Rio Reiser, der später selbst ernannte König von Deutschland führte die Band an, die auch in Hausbesetzerkreisen sehr beliebt war. Und der Song war nicht mal schlecht, eignete sich zum Mitgrölen.

Doch die Geschichte soll von Anfang an berichtet werden. Der Stalking-Beauftragte des Büro Gotthal, Petrosilius ‚Siegmund‘ Hirschhornkäfer, Abbildung oben links, Psychologe, berichtete uns folgendes:

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(kostenloser) Servicehinweise

(kostenloser) Servicehinweis

Es sollte eigentlich (nur) ein Landgerichtstermin sein, im Außendienst, genannt: Ortstermin. Um 12:30 Uhr treffen sich die Richterin und die Prozessparteien. Die Zuwegung zu zwei Garagenplätzen will die Richterin in Augenschein nehmen. Es sollen Einfahrproben erfolgen, ob man -wenn man will- dort reinfahren kann. Sie will sehen, ob durch einen zur Straßenseite hin errichteten Zaun die Zuwegung so erschwert ist, dass ggf. eine Umgruppierung der Zaunpfeiler erforderlich wird. Von den Stalking-Beauftragern (nicht dem Stalking-Beauftragten, da ist ein Unterschied) ist alles minutiös und auch psychologisch interessant geplant. Dazu Hirschhornkäfer wörtlich: ‚Zuerst erschien der Stalker relativ pünktlich um 11:45 Uhr mit seinem Auto. Er ging gleich hoch ins Dachgeschoss. Dann erschienen wenige Minuten später drei von vier Familienmitgliedern der Stalking-Beauftrager.‘ Das sind im Unterschied zum Stalking-Beauftragten (Petrosilius S. Hirschhornkäfer) Menschen, die einen Stalker beauftragen, um einem Opfer Stalking angedeihen zu lassen. Hiergegen, und das ist spätestens jetzt jedem klar, richten große, weltumspannende Unternehmungen so genannte Stalking-Beauftragten-Stellen ein. Diese ‚Profis‘ befassen sich den ganzen Tag mit nichts anderem als der geeigneten Abwehr von Stalkern und Stalking-Beauftragern. Wiewohl auch deutlich wird: Wo genau ist eigentlich der Unterschied zwischen Stalkern und Stalking-Beauftragern? Ganz klar aber ist jetzt: Stalking-Beauftragte bilden die dritte Gruppe, und sie nun haben eigentlich gar keine Stalking-Absicht, die sie im Schilde führen. Damit deren (der Täter) Stalking-Aktionen nicht zum gewünschten Erfolg führen. Eigentlich ganz einfach, oder?

Man sieht schon, in der Verwendung der Fachtermini sind die Unterschiede stets nur klein, sie erscheinen uns minimal. Und doch gibt es beträchtliche Partikular-Unterschiede, die auf diese einprägsame Weise nun allen auf der Welt offenliegen. Der Stalker nun lässt sich hinten auf der Brüstung der Dachterrasse mit einer Kamera nieder und schaut mit dem von dort möglichen Blickwinkel durch sein Okular direkt auf die Straße. Dort filmt er den Platz, an dem der Ortstermin stattfinden soll. Es sind erste Stellproben, die er veranstaltet. Denn auf welche Weise wird es ihm gelingen, alles haarklein filmisch zu bannen, es festzuhalten, und zum Beweis wofür? Die Frau der von Stalking betroffenen Familie spielt dann mit dem kleinen Labrador Lola (11 Wochen alt) im Garten, sieht den Stalker auf der Brüstung sitzen, und wie er gleich wieder zurückzuckt, ja, er merkt, jetzt wird er selbst beobachtet. Sie -die Frau- hatte ihn immer als „den Wurm“ bezeichnet. Würmer zucken auch zurück, wenn sie gesehen werden. Um nicht gefressen zu werden.

Irgendwie lässt er, der Stalker, doch von seinem Plan ab, die Sache haarklein zu filmen. Es ist nicht die Vernunft. Es ist die Furcht, nun da er gesehen wurde, dabei gesehen zu werden, von einer Richterin, die ihm dann Fragen stellt. Oder von einem Stalkingopfer, das erneut der Richterin die Frage stellt, ob es eigentlich normal sei, gefilmt zu werden, während eine „öffentliche Sitzung“, auf der Straße, erfolge?

Um 12:30 Uhr findet der Ortstermin statt. Der Stalker ist im Haus, aber nicht mehr auf der Terrasse. Er hat das Dachfenster des einen Zimmers groß aufgestellt und lauscht mit hörigen, nein mit ungehörigen, großen Ohren. Er möchte alles genau mitbekommen. Die Traute herunterzukommen, hat er nicht. Denn Stalking ist eine verdeckte Aktion, streng geheim. Stalking findet subversiv statt. Der Termin mit der Richterin nähert sich dem Ende. Der von Stalking betroffene Ehemann bittet nun alle Anwesenden ad hoc auf die Straße. Im anderen Dachfenster des leer stehenden Dachgeschosses, in dem der Stalker mit Duldung der Stalking-Beauftrager immer nächtelang zubringt, ist eine gut sichtbare Videokamera postiert. Hier filmt einer ‚Das Leben der anderen‘, der Öffentlichkeit, der Straße, aller Nachbarn, und insbesondere derjenigen, die im Hause Numero Stalking ein- und ausgehen. Lebensläufe werden gescannt, gescreent, mit Barcodes versehen. Der Stalking-Beauftrager-Familienvorstand senior murmelt irgendetwas Dümmliches  vor sich hin: ‚Stellen sie doch dazu mal einen (gerichtl.) Antrag‘. Dass man das ‚Leben der anderen‘ nicht filmen dürfe, versteht er nicht. Er ist schon zu alt dafür, und verbrachte die Kindheit im Nationalsozialismus, oder versteht es noch nicht, weil er es nicht einsieht. Einer hat ihn neulich den Baron von Laber zu Sülz genannt, doch das war unsachlich. Die Richterin sagt zu allen Beteiligten, nein, sie wolle diese Videokamera jetzt nicht ansehen, das sei außerhalb des hiesigen Verfahrens und daher nicht Gegenstand ihrer Ermittlungen zum Fall einer Einfriedung. Alle Stalking-Beauftrager grinsen. Das ist ein Trumpf, wie er im Buche steht. – Im übrigen: Wer die Öffentlichkeit zu scannen versucht, muss aufpassen, nicht selbst ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt zu werden, und nun ist es (wieder) so weit. Ein anderer Beteiligter murmelt etwas von ‚es der Lächerlichkeit preisgeben.‘ Der Ortstermin ist zu Ende. Alle sind (nachweislich) gegangen, nur der Stalker nicht, es ist genau 13:11 Uhr.

Stalking-Compilation Asyl Tatfrosch

Stalking-Compilation Asyl Tatfrosch

13:15  Uhr. Laute, harte Rockmusik dröhnt von von einer stalkingverdächtigen Dachterrasse. Es ist eine unglaubliche Lautstärke, die Nachbarn erschrecken, können es kaum glauben. Man schaut da nach oben, was das ist? Die ganze Umgebung wird in Flugzeuglautstärke beschallt. Immer wieder klingen Wortfetzen aus dem rockigen, punkigen Gesang. Es sind Textfragmente, die auch zugleich textliche Nachrichten sind. 

 ‚Das ist unser Haus, Ihr kriegt uns hier nicht raus‘. Man muss unweigerlich lachen, schüttelt sich wie ein wieherndes Pferd. Andere, weitere Songs folgen, im Punk-Pogo-Zwei-Vierteltakt, mit Gitarren wie Rasierklingen? Eher so eine ganz besondere Trash-Combo. Rammstein wäre niemals so billig. Hier gibt es jetzt einen besonderen Sampler, eine exakt ausgetüftelte Wunschcassette. Erinnerungen an die frühen Siebziger werden wach: einem lieben Mädchen eine Cassette mit Musik schenken, damit sie knutscht, hoffentlich zu dieser Musik, und hoffentlich nur mich, den edlen Spender. Voller Gefühl verschenkt. Das gibt’s heute auch hier, gratis. Der Song-Text, der jetzt da hämmert, erscheint gebetsmühlenarbeitig, ist aber präzis formuliert und kann daher nicht missverstanden werden: „Arschloch, Arschloch, Arschloch“. Man denkt, das Lied hat keinen weiteren Text. Oder ist es ein Loop, eine Soundschleife, die der Stalker extra angefertigt hat? Die Botschaft kommt an: Ich, ich bin ein Arschloch! Wer hätte das gedacht? Und weiter, das nächste Lied: Immer wieder „fuck you, fuck you„. Was der Überbringer dieser Audio-Nachrichten nicht weiß: Diese Art Attitüden, das waren früher die der Kleineren, der ‚Dumpfbacken‘, einiger gesellschaftliche Gestrandeter, vom Typus ‚Fensterputzer‘ auf der Oranienstr. oder ‚Haste ma ne Mark?‘ Heute ist das viel weniger als früher noch anzutreffen, und selbst die Fensterputzerjobs sollen inzwischen in rumänischer Hand sein.  

Die Polizei erscheint kurze Zeit später. Sie hören die Musik. Der Herr Stalker ist wieder am Ziel seiner Wünsche. Er hat die Aufmerksamkeit erregt, auch die öffentliche. Es wird eine Anzeige geschrieben, sie ist eine weitere, sie ist ein  Mosaikstückchen mehr auf dem steinigen Weg zur Stalking-Behauptung. Der Berichterstatter fragt sich, ob auch eine Anzeige an die GEMA richtig wäre? Denn immerhin handelte es sich unbestreitbar um eine öffentliche Aufführung? Der Gedanke wird nicht tiefgehender verfolgt.

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Der Familienvater im Erdgeschoss meint auf Anfrage von uns dazu: Das war doch eigentlich sogar regelrecht lustig. Es ist ein postpubertärer Jugendtraum, den sich Herr Stalking da erfüllt hat. Einmal noch in diesem Leben als Revoluzzer gelten! Wider dem bürgerlichen Spieß. Er selbst, der Familienvater, hat derlei Musik auch immer wieder gern mal gehört. Und die Küken, die Jüngeren, dafür bewundert, was sie sich rausnehmen. Doch irgendwann kam die Zeit danach. Und sollten jetzt hier auch eindeutige Textbotschaften zugestellt werden, so ist die message eher in Richtung Stalker selbst zurückgestrahlt: Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen, aber das ist eine andere Geschichte. Herr Stalking ist irgendwie einfach auch nur ein armes Würstchen, ein dummer Junge, und noch nicht sehr erwachsen.

Wir sind uns sicher: auch diese Nachricht wird erreichen. Der geneigte Leser mag sich das Ton-Steine-Scherben-Liedchen einmal anhören. Es erinnert uns an längst verblichene Zeiten. Weshalb aus einem weiteren Grunde Textnachrichten nicht ankommen, da sie heute  offenbar von Ewiggestrigen ausgestrahlt werden. Es ist nicht nur schlecht, erwachsen geworden zu sein.

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Weiterführender Link

Beiträge zum Thema Stalking auf gesichtspunkte.de

Update

 

Heute Mittag veranstalteten die Stalkingopfer ein Spontan-Happening zum Zeichen ihres Protestes gegen die andauernden stalkingartigen Heimsuchungen. Dazu hatte der Familienvater eine Akkustikgitarre scharfgeschaltet. Mann, Frau und vier Kinder grölten lautstark: ‚Das ist unser Haus, Ihr kriegt uns hier nicht raus. Werft doch erst den Stalker raus! Das ist unser Haus, Ihr kriegt uns hier nicht raus. Werft den Stalking-Auftraggeber raus….‘ – Wie bei solchen politischen Happenings üblich, hatten allerdings die Spontan-Demonstranten einen entscheidenden Gesichtspunkt nicht berücksichtigt. Stalking ist sehr anstrengend. Um beim Stalking als Stalker wochen- und monatelang bei der Stange zu bleiben, bedarf es eines Quantums Glück (für den Bestalkten), und es ist ein Quantum Trost (ebenfalls für…), dass auch der verrückteste Stalker noch andere Punkte in seinem Leben hat, die zu erfüllen er beabsichtigt. Und deshalb war das Happening kein solches: der Herr Stalker fehlte unentschuldigt im Haus. Das Lied wird bei passender Gelegenheit wiederholt, sagt jetzt der Aktionskünstler aus dem bestalkten Haus.

Ziviler Ungehorsam, oder wie ein Sponti-Spruch aus den frühen Achtzigern sagt: Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Und auf einmal schmückt sich Zehlendorf mit linken Sponti-Sprüchen, wer hätte das gedacht? Und noch etwas fällt auf: Rechte können Linke beauftragen, gegen Missliebige vorzugehen. Links und rechts verbrüdern sich, um Menschen zu beherrschen. Es gilt, politische Lager zu überwinden. Ein solches Maß an Einheitlichkeit in den Zielen ganz unterschiedlicher Menschen? Es ist Zeit für einen Seitentausch, und wenn Herr Stalking wieder erscheint, auch für einen Saitentausch. Denn frische Saiten klingen perlender….Perlen vor die Säue.