601/2010: Bundesgerichtshof verneint Haftung einzelner Wohnungseigentümern für Abwasserkosten

Bundesgerichtshof

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Beklagten nicht als Gesamtschuldner haften. Die Vertragsangebote der Klägerin richteten sich nach dem Wortlaut der Vertragsbedingungen nicht an die einzelnen Wohnungseigentümer, sondern an die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Mit der Annahme der Angebote sind Verträge über die Belieferung mit Wasser und die Abwasserentsorgung jeweils mit der Wohnungseigentümergemeinschaft zustande gekommen. Soweit diese bei der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums am Rechtsverkehr teilnimmt, ist sie nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtsfähig. (Pressemitteilung des BGH)

Der Bundesgerichtshof (Aktenzeichen: hat mit Pressemitteilung Nr. 15/2010 vom 21. Januar 2010 endinstanzlich über einen Berliner Rechtsstreit entschieden. Im Hintergrund einer Klage des klagenden Berliner Versorgungsunternehmens (na, welches war das? Preisfrage) standen Spruchkammer-Entscheidungen des Amtsgerichts Spandau (1. Instanz) und des Landgerichts Berlin (2. Instanz) auf dem Prüfstand in Karlsruhe. Es ging um den in § 421 BGB normierten Begriff der Gesamtschuldnerschaft. Dort heißt es wie folgt:

„Schulden mehrere eine Leistung in der Weise, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist (Gesamtschuldner), so kann der Gläubiger die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teil fordern. Bis zur Bewirkung der ganzen Leistung bleiben sämtliche Schuldner verpflichtet.“

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Der Immobilienspekulatius

Die Anwendung dieser Bestimmung hat in den Reihen deutscher Wohnungseigentümer und Verwaltungskreise (nicht Kornfeldkreise, England) eine etwas längere Ahndenliste berühmter, teils spektakulärer Einzelfälle. Auch auf dieser Website wurde über einzelne, irre Auswüchse dieser Regelung berichtet. Stadtbekannte, verbrecherische Immobilienspekulanten hatten in einer Art absichtlicher Rosinentheorie (Suche nach Rosinen) für Schulden der Gesamtgemeinschaft immer wieder diejenigen, missliebigen Eigentümer herausgepickt, die zu ärgern aus anderen Gründen opportun erschien. So kam es dann vor, dass der wohlhabende Zahnarzt und Miteigentümer Dr. Bräsig (* Name geändert) bspw. fünf Mal in Folge von einem Öllieferanten des Hauses auf Zahlung gesamter Ölrechnungen in Anspruch genommen wurde, und sich infolgedessen -in den Bankrott getrieben- in seinem Wohnungseigentum aufknüpfte.

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Serie: Plattitüden - Die Rosinentheorie

Serie: Plattitüden - Die Rosinentheorie

Dem hat der Bundesgerichtshof mit einer weiteren Entscheidung schon vom Grundsatz her inzwischen einen Riegel vorgeschoben und die Teilrechtsfähigkeit des Verbands der Wohnungseigentümer (Beschluss V ZB 32/05 vom 02. Juni 2005) bejaht. Mit einer ähnlich gelagerten Einschätzung stritten denn auch im vorliegenden Fall drei Wohnungseigentümer auf der Beklagtenseite vor Gericht und wendeten ein, lediglich nur der Gesamtverband der Wohnungseigentümer hafte, nicht aber sie als einzelne Wohnungseigentümer. Zwei der drei beklagten Wohnungseigentümer wendeten sich nun im Ergebnis erfolgreich an den Bundesgerichtshof.

In der Pressemitteilung heißt es dazu weiter wie folgt:

„Konnte ein Gläubiger für Schulden der Gemeinschaft nach früherer Auffassung sämtliche Wohnungseigentümer als Vertragspartner und somit als Gesamtschuldner in Anspruch nehmen, ist Vertragspartner nunmehr in der Regel die teilrechtsfähige Wohnungseigentümergemeinschaft. Daneben kommt eine gesamtschuldnerische Haftung der Wohnungseigentümer nur in Betracht, wenn sie sich daneben klar und eindeutig auch persönlich verpflichtet haben. Daran fehlt es im
entschiedenen Fall.“

Haben die Wasserversorger nun Änderungsbedarf beim Vertragswerk? Es deutet sich still und leise eine Parallele zu überbordenden Sicherungsansprüchen des Kreditgewerbes (Link dazu unten) an. Ähnlich wie die Geschäftsbanken könnten sich auch die Versorgungsunternehmen durch selbstschuldnerische Bürgschaften (einzelner Wohnungseigentümer) und oder Mitverpflichtungserklärungen absichern, um im Falle einer katastrophenartigen Schlechtverwaltung durch marode Verwalterunternehmen und bei illiquiden Wohnungseigentümergemeinschaften ihre Stellung ggü. einzelnen Wohnungseigentümern rechtlich zu besichern. Auf die Idee kommt man, wenn man sich vergegenwärtigt, dass viele unprofessionelle und überforderte Haus- und Grundstückverwalter werktätig sind. Denn Verwalter werden ist nicht schwer, und wenn die offenen Rechnungen dann überhand nehmen? Was dieses grundphilosophische System drohender Forderungsausfälle angeht, so mag eine exemplarische Anfrage an den betroffenen Versorgungsbetrieb Licht ins Dunkel und ggf. sogar eine Stellungnahme von dort folgen lassen. gesichtspunkte.de hat brieflich nachgefragt. Antwort wird abgewartet.

Ob nach dem Entschluss des Bundesgerichtshofs etwa der Berliner Versorgungsbetrieb nun seine kleingedruckten Geschäftsbedingungen überarbeitet, steht heute noch nicht fest und kann nur abgewartet werden. Denn deren Regelungsgehalt in bisherigem Umfang richtet sich deutlich an die Gesamtgemeinschaft, und nicht etwa auf die Versorgung eines Einzelnen, mit dem ja gerade der Abschluss individueller Einzelverträge aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten bislang stets abgelehnt wird. Übrigens sehr zur Trauer der sachbearbeitenden Mitarbeiter von Hausverwaltungen. Entfiele doch auf diese Weise ein nicht unbeträchtlicher Aufwand bei der Erstellung von Jahresabrechnungen. Die Wasserver- und -entsorgung ist schon seit Jahren, was Wohnungseigentümer betrifft, im Bereich der zum Sondereigentum gehörigen Räume rechtlich angesiedelt.

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