Der Axel-Springer-Verlag führt Glasnost ein: die Jahre 1966-68

Es scheint die Zeit gekommen zu sein für Glasnost oder eine Art Perestroika: Der Axel-Springer-Verlag öffnet seine Archive und stellt rund 5.900 Artikel online, die in der Zeit zwischen 1966 und 1968 zur Studentenbewegung veröffentlicht wurden. Dass beim Axel-Springer-Verlag eine Art moderner Insgesamt-Umbau stattfindet, darauf deutet beispielsweise auch hin, dass Kai Diekmann (Bild-Chefredakteur) seit kurzen bloggt, und hier und da ist das sogar lesenswert, z.B. wenn es um eine Penisverlängerung (‚Pimmel über Berlin‘) des Chefredakteurs geht, die ihm von den Antipoden der TAZ angedichtet wird, an der Diekmann allen übrigen Gesellschaftern zum Trotz GmbH-Anteile hält

 Der Vorstandsvorsitzende des Verlags, Matthias Döpfner, begründet diesen mutigen Schritt offensiv:

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 Kommentarzeilen wie „Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt“ (BILD Berlin, 7. Februar 1968) oder „Wer Terror produziert, muss Härte in Kauf nehmen.“ (B.Z., 3. Juni 1967) werden  immer wieder zitiert. Aber war ebenso bekannt, dass die B.Z. auch schrieb „Es ist ein Unding, einen Dutschke zum,Volksfeind Nr. 1’ stempeln zu wollen“ (B.Z., 22. Februar 1968)? Dass die WELT den Freispruch der Kommunarden Teufel und Langhans begrüßte (WELT, 23. März 1968)? Oder dass BILD nach dem Attentat auf Rudi Dutschke titelte „Millionen bangen mit“ (BILD Berlin, 13. April 1968)? Manche Klischees in den Köpfen erweisen sich auch als Endmoränen einer bis heute wirkungsvollen SED-Propaganda und Stasi-Desinformation.“

Jupp, im Axel-Springer-Verlag ist die Gegenwart angekommen und es werden ganz, ganz neue Wege beschritten. Wider die gähnende Langeweile. Wider die Verklärung der gesellschaftlichen Vergangenheit. Nun geht es darum, Farbe zu bekennen. Wir fragen uns, warum es bis dahin so lange gedauert hat?

Es geht den zwischenzeitlichen Verlagsführern offenbar darum, das bereits verfestigte Bild von der Meinungsmaschine Axel-Springer-Verlag im Nachhinein gerade zu rücken. Das ist verständlich und im Übrigen ist es hochgradig zu begrüßen.

Es macht Sinn, in seinen eigenen Erinnerungen zu diesem Thema zu schwelgen und sodann die online-Maschine anzuwerfen. Das Vorhaben ist edel, mutig und in hohem Maße innovativ. Herzlichen Glückwunsch zu diesem mutigen Schritt. Offenbar arbeiten die Herausgeber dieser neuen Website daran, dass die nationalen Cluster der Erinnerung nicht in Sümpfen von verkrusteten Meinungsstrukturen versiegen, in denen die nationale Erinnerung eine andere ist, was diese Zeit betrifft. Ob auch der Film ‚Der Baader-Meinhof-Komplex‘, frei nach Stefan Aust, dazu beigetragen hat? – Fest steht: Jetzt ist eine andere Manager-Generation im Axel-Springer-Verlag angetreten, das Bewusstsein der öffentlichen Meinung noch einmal -wenigstens partiell- zu verändern, bzw. zu überarbeiten. Dabei war die Schaffung eines derart umfassenden Archivs ohne jeden Zweifel ein richtiger, beherzter Schritt, kurz gesagt: Ein Tabubruch.

Weiterführend

Website medienarchiv68

(Update 21.01.10) Weitere Echos/Stimmen (Sammlung medienarchiv68)