1133/11: Handwerker: Der alte Mann und das Meer, die Tagelohnzettel und die Zeitarbeitsnachweise

Es war einmal... (Moderne Märchen)

Der moderne Zeitpirat ist Handwerker und schreibt Stunden, und zwar mehr, als langfristig gesehen gut ist für essentielle Geschäftsbeziehungen.

…., da gab die Verwalterin dem Handwerksbetrieb in Berlin-Charlottenburg einen Auftrag. Der Handwerker hatte ein Angebot abgegeben, einen Torantrieb für ein Doppelschwingtor einzubauen. Da war vorher schon ein Torantrieb für das Schwingtor, doch der war in die Jahre gekommen. Die Zeit hatte an ihm gefressen seit 1984/5, als die Doppelgarage gebaut worden war. Der neue Torantrieb, den einzubauen, schätzte der Handwerker und erbot sich, gegen ordentliche Bezahlung einen neuen der Firma Hörmann einzubauen. Mit Handsendern für die Berechtigten, alles hübsch neu und modern, mit Sicherheitssteuerung, wenn mal einer dagegen… und so weiter.

_seitentrenner Flugzeug


Pink Floyd live – Wish you were here (Knebworth) – via Youtube

Threatened by shadows at night and exposed in the light.
Shine on you crazy diamond. Well you wore out your welcome
With random precision, rode on the steel breeze.
Come on you raver, you seer of visions, come on you painter, you piper, you prisoner, and shine!

(Credo von Pink Floyd für Syd Barrett, den verloren geglaubten Diamanten, als zeitgemässe Perforation des erschütterten Obrigkeitsglaubens in Bezug auf die Erforderlichkeit, angemessene Zeitstunden zu schreiben, nicht zu übertreiben) 

Ja, und ordentliche Angebote müssen die Kosten benennen, die zu erwarten sind. Der Anbieter muss sich vergewissern, dass sein Angebot etwas taugt. Eine besondere Sachkunde ist erforderlich und die Fähigkeit, das richtig einschätzen zu können. Also kalkulierte der Anbieter sein Material, den Torantrieb selbst (Einkaufspreis plus Marge), einen ungefähren Zeitaufwand, er hatte die Sache besichtigt. Es kam zum Auftrag und alle Menschen waren guter Dinge.

Bis die Rechnung kam.

Sie wies exakt den Betrag aus, der in dem Angebot genannt worden war. Also alles korrekt? Mitnichten.

Denn der Anbieter hatte die Zeit auskömmlich kalkuliert, wie es sein gutes Recht ist. Denn in unbekannten Gefilden ist das Unbekannte das Vorherrschende und was du nicht kennst, kannst du auch nicht immer 100% richtig kalkulieren. Der gewiefte Kalkulator rechnet in sein Vorhaben, einen Auftrag zu bekommen, doch stets einen Sicherheitszuschlag, in diesem Fall „an Zeit“ ein. Mehrere Arbeitsstunden waren so zusammen gekommen.

Richtig war aber auch: Sie hatten nicht so soviel Zeit benötigt, als kalkulatorisch zugrunde gelegt war. Demzufolge wendete sich nun der Endbegünstigte in Anbetracht der eingegangenen Rechnung an den Anbieter und bat, die unverhältnismässig hohe Rechnung in Anbetracht der tatsächlichen, aufgewendeten Arbeitszeit zu kürzen. Die Sache machte mehrere Hundert Euro aus und liegt nun schon mehrere Jahre zurück. Schnee von gestern.

Heute kommt derselbe Anbieter wieder. Er hat jetzt den Auftrag bekommen, den Torantrieb richtig einzustellen, der sich zwischenzeitlich verstellt hatte, damit er wieder im Handsenderbetrieb auf und zu gefahren werden könne. Ein Handsender hatte inzwischen das Zeitliche gesegnet. Na, und wenn er nun schon mal da wäre, ein bisschen „Abschmieren“ des Torantriebs und aller metallenen Teile, wie Schienen, Federn und Scharniere.

Vorgestern war er auch schon da. Da stand er vor der Tür und niemand machte ihm auf. Er rief die Telefonnumer an, die der Endbegünstigte, der Wohnungseigentümer, angegeben hatte. „Ich bin jetzt da und will arbeiten“, sagte er, doch der Endbegünstigte war zickig. „Sie müssen schon einen Termin machen, wenn sie es mit Menschen zu tun haben,“ wendete der dreiste Eigentümer ein. „Na gut“, das macht er so, sagt er. Und dann rief er nicht an. Am nächsten Tag rief die Verwalterin den Endbegünstigten an: „Die Firma kann sie nicht erreichen, sie sollen da bitte der Einfachheit halber anrufen“, sagte die Mitarbeiterin der Verwaltung. „Das stimmt nicht, mich hat niemand angerufen“, wusste der Endbegünstigte zu berichten.

Das sofort geführte Telefonat durch den Endbegünstigten ergibt: Termin morgen früh 8 Uhr. „Früher geht aber nicht“, sagte der Endbegünstigte, „ich muss morgens meine Kinder zur Schule bringen, ich werde also erst pünktlich um 8 Uhr Zeit für sie haben, vorher nicht.“ Gut, alles klar. Am Tag der Auftragsabwicklung steht der Werkstattwagen schon um 07:45 Uhr vor der Tür. Der Endbegünstigte, Familienvater, fährt die Kinder zur Schule. Um 8 Uhr erscheint er wieder, der Handwerker steht mittlerweile nervös vor dem Grundstück und scannt die Umgebung nach einem vermeintlichen Endbegünstigten ab.

Nun kann er endlich arbeiten, wie es ihm aufgetragen wurde. Die Sache ist komplett begleitet durch den Endbegünstigten. Der lässt sich auch gleich in die Progammierung von Torantrieben wie diesem einweisen, das ist ja auch der Sinn der Sache. Alles funktioniert gut. Ein bisschen Öl noch auf die Wartungsteile eines Torantriebs, durchaus unterschiedliche, eins davon Silikonöl. Das Tor macht jetzt deutlich weniger Lauf- und Quietschgeräusche. Die Arbeitszeit beträgt inklusive Ausfüllen eines Arbeitszettels 25 Minuten. Um 8 Uhr hat der Monteur angefangen, um 8:25 Uhr ist er mit allem durch. Die Arbeitszeit wird so notiert (Abbildung):

Tagelohnzettel zum Zeitnachweis (Namen entfernt)

Tagelohnzettel zum Zeitnachweis (Namen entfernt)

(auf Bild klicken)

Und so geriet der Fachmann für Torantriebe, mit dem ein gewisses Erfahrungsportfolio aus uralten Zeiten (siehe oben) besteht, erneut in eine Art „freiwilliges Prüfprogramm ordentlich abrechnender Zeitarbeitsverpflichteter“. Denn jetzt wird der Endbegünstigte, jener Eigentümer, der die Zeche hier zu zahlen hat, die so genannten Argusaugen – berolinisch: „die Klüsen“… – weit aufsperren und sich bei Rechnungseingang berichten lassen: Hat die Firma eine volle Zeitstunde abgerechnet? Da Zeitstunden ja bezahlt werden, ist das nicht ungefährlich:

  • Handwerker können, wie das Beispiel zeigt, in kürzester Zeit um leicht 100% altern und müssten vorzeitig in den Ruhestand geschickt werden. Dann sind sie Endbegünstigte, vorzeitiger Altersruhestand aus „Mangel an Folgeaufträgen“?
  • Schon die nächste Betriebsprüfung des Finanzamts zeigt dem Handwerker schwerwiegende Glaubwürdigkeitskonflikte auf: Der Einsatz von aufgewendeten Arbeitsstunden pro Tag pro Monteur entspricht nicht den modernen Vorstellungen von 40 Stunden Wochenarbeitszeit. Jeder Monteur hat locker 50 bis 60 Stunden Wochenarbeitszeit abzurechnen, obwohl vielleicht ein lohnendes Geschäft für beide Seiten?
  • Dem Unternehmer und Handwerker werden wichtige Zeitrationale entzogen durch verlustig gehende Effektivitätszeit: Der nirgendwo gewissenhaft erfasste Trödelfaktor („Chef, ich war noch Schrippen holen derweil“) geht komplett unter, möglicherweise werden unüberprüfbare Pausen-, Vesper- und Snackzeiten, die arbeitsvertraglich nicht eingeräumt wurden, zu extensiv in Anspruch genommen.

Ja, liebe Kinder, Ihr seht schon: Das moderne Märchen ist sehr beliebt geworden. Spätestens seit Michael Ende in Momo eine „moderne, anklägerische Parabel auf die Zeit“ schrieb, die durch „graue Herren von der Zeitsparkasse“ verwaltet wird, ist der irgendwie nonchalante Spruch „Zeit ist Geld“ (english: Time is Money) zu einem hochattraktivum „Diktum“ handwerklichen, kaufmännischem und menschlichen Handelns geworden. Es gilt, Alterungsgefahren wie die oben genannten zuverlässig auszuschalten, Rechnungsbeträge auf angemessene Höhen gesund zu schrumpfen und Deutschland als Standort von Effizienz, rationellem Handeln und Gewissenhaftigkeit wieder den Ruf zuzuordnen, der ihm einst anhaftete. Modernes Zeitmessitum, Schludrian und pure Zeitverschwendung waren gestern: glasklar stehen die Endbegünstigten mit der Stoppuhr neben den Zeitarbeitern, immer auf der Suche nach den „black holes in the sky“ der modernen Zeitverschwender, Gedankenlosen und Zeitportfolianten.

Und hier ist sie wieder, die Chimäre Zeit, die Pink Floyd durchaus besorgt besingt: „Now there’s a look in your eyes, like black holes in the sky.“ Weil sich die gefürchteten schwarzen Löcher nicht in der Zeit eröffnen, sondern in den inzwischen leeren Augenhöhlen überteuert abrechnender Handwerksbetriebe. #Wish You were here #Pink Floyd

Schon Karl Murx, der berühmte Filosof, sagte:

Gegen das moderne Zeitpiratentum: Endbegünstigte aller Bundesländer, vereinigt euch!

Und wenn er nicht gestorben ist, dann ….doch das ist eine andere Geschichte und wird ein andermal ….

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