1030/10: Trauer: Mit der eigenen Traurigkeit umgehen! Vom Versuch, Trauer in Worte zu fassen!


Immer wenn ich traurig bin – Heinz Erhardt (via Youtube)

Es war einmal... (Moderne Märchen)

Immer wenn ich traurig bin, trinke ich noch nen Korn. Wenn ich dann noch traurig bin, trinke ich noch nen Korn. Und wenn ich dann noch traurig bin, trink ich noch nen Korn, und wenn ich dann noch traurig bin, fang ich an von vorn….. (Heinz Erhardt, Das kann doch unseren Willy nicht erschüttern!)

Wie gehen wir um mit Trauer? Richtig: Zu allen Zeiten sind wir unterschiedlich umgegangen mit Trauer. Generationsbedingt ging Heinz Erhardt, Jahrgang 1909, mit Trauer traurig um. Sein Einfluss reicht weit in mein Leben hinein und ein sehr guter Freund von mir hatte mit ihm in seiner Kindheit noch Filme gedreht. 2001 verstarb der Freund an einem fiesen, hinterhältigen Hirntumor und ich lernte, Todeserfahrungen zu verarbeiten. Die Art von Heinz Erhardt, wie er Traurigkeit in ulkiger Weise verarbeitet, ist mir nur in frühester Kindheit ein Vorbild gewesen, seine Gedichte und Sprachspielereien sind es bis heute. Heinz Erhardt war einer der ganz Großen. In puncto seine Traurigkeit zu fühlen allerdings erscheint mir schon seit einiger Zeit eine Selma Meerbaum-Eisinger, Jahrgang 1924 als Vorbild. Es wäre nicht einmal abwegig anzunehmen, dass Selma Meerbaum-Eisinger heute noch leben könnte, wenn nicht…

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Herbert Grönemeyer & World Quintet – Trauer (via Youtube)

Trauer - Selma Meerbaum-Eisinger

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….richtig: Dieser Nachruf fällt ein bisschen ungewöhnlich aus!

Wenn da nicht noch dieser Weltkrieg gewesen wäre und diese großmannsdeutschen Nationalistenträume dieses Österreichers und seiner Entourage, die davon träumte, deutschen Lebensraum in den Ostgebieten zu errichten, auch da unten in der Bukowina, wo Selma Meerbaum-Eisinger, Jahrgang 1924, zunächst unbekümmert lebte. Sie verstarb kurz nachdem der Traum vom deutschen Lebensraum zum Alptraum aller Europäer wurde, am Flecktyphus im Arbeitslager der Nationalsozialisten mit lediglich nur 18 Jahren. Zuvor hatte sie einen Band mit insgesamt 57 Gedichten geschrieben, der von unglaublicher sprachlicher Ausdruckskraft zeugt und der Nachwelt nur durch eine Reihe mehr oder minder glücklicher Umstände erhalten geblieben ist.

Selma Meerbaum-Eisinger (Privatarchiv)

Als ich von ihren Gedichten das erste Mal hörte, interessierte mich diese unglaublich sprachversierte Poetin sofort und ich kratze alles zusammen, was ich erhalten konnte, um mir ein Bild von ihr und von ihrem Leben zu machen. Und dann wurde ich ebenfalls sehr, sehr traurig! Wenn ich persönliche Erlebnisse durchlebe, die mir von besonderer emotionaler Tragweite erscheinen, lese und suche ich gern in den Gedichten von Selma ME herum und versuche auf diese Weise, den richtigen Wiederhall in mir zu finden oder das Gedicht als Transporteur der größtmöglichen Gefühle zu benutzen, so als wäre Selma eine Art emotionale Beraterin in besonders schweren Momenten.   

Heute ist wieder so ein Tag, an dem man sich „gern“ an die Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger erinnert. Immer wenn jemand stirbt, fallen einem kaum bessere Worte der Trauer ein, als die von Selma Meerbaum-Eisinger. Ja, vielleicht noch ein Herrmann Hesse oder ein Rainer-Maria Rilke, aber ehrlich gesagt, wer lebt schon sein Leben lang immer mit den Gedichtbänden bedeutender Dichter unter dem Kopfkissen? Vielleicht sollte man es ja tun, vermutet man einen Augenblick.


Bericht des Schweizer Fernsehens: Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. Veranstaltung am 08.09.07 in Berlin (via Youtube)

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Heute hat sie angerufen. Sie ist die Mutter einer siebenjährigen Tochter und er war der Vater ihrer gemeinsamen Tochter. Er ist ein Wohnungseigentümer gewesen, der 2005 voller Zuversicht eine Wohnung in dem Haus in Berlin-Kreuzberg erworben hat. Im September haben die Ärzte bei ihm -wie aus „heiterem Himmel“, die Formulierung verbietet sich ja förmlich- Leukämie festgestellt. Anfang Oktober ging es dann sofort ins Krankenhaus, zu spät übrigens, und jetzt am 3. November ist er gestorben. Das ging so schnell, da hast du gar keine Vorstellung davon! Ehrlich nicht.

Und wie man das mit sieben Jahren wegsteckt? Vielleicht noch gar nicht so richtig. Vielleicht erst viel später. Nach mehreren Jahren!

Er war ein „Baujahr 1965, Februar geboren“. Doch, doch, ziemlich jung! Was wissen wir schon über ihn? Wir waren doch nur die Hausverwaltung. Und doch schnürt sich jetzt der Hals irgendwie zu. Er ist tot. Hurra, wir leben noch? „Ich hab doch neulich noch mit ihm telefoniert“, sagt jemand hier im Büro, als die Nachricht von mir bekannt gemacht wird. Jetzt sind alle eingewiesen in diesen Umstand, von dem niemand etwas wüsste, wenn nicht…., wenn nicht die Mutter seiner Tochter…… Jeder weiß jetzt hier Bescheid. Es geht jetzt um Erbformalitäten, wer hat einen Erbschein, wer beansprucht was und wie sind die Dinge in der Zwischenzeit zu regeln?

Sie hat angerufen und sie wird für ihre Tochter, die auch seine war, das Erbe verwalten, dann, später, nicht jetzt. Es gibt jetzt Wichtigeres. Die Beerdigung findet im Süddeutschen statt. Das ist da so üblich, so eine Art Familiengrabstätte. Hätte wohl auch niemand mit gerechnet, dass der Sohn…..oh Gott, ist das schrecklich. Man sucht nach den richtigen Worten, stammelt irgendwas los, um die Leere zwischen verschiedenen Sätzen aufzufüllen, möglichst nicht mit Nonsens, inhaltsleerem Geschwafel. Einfühlung.

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So zärtlich war Selma Meerbaum-Eisinger, ein schlichtweg junges Mädchen kurz davor, erwachsen zu werden. Sie betrachtete die Welt mit eigenen, ganz selbständigen Augen und auch wenn alles, was sie hinterließ, etwas düster anmutete, so lag doch eine unglaubliche Kraft in ihren Gedichten. Und es nimmt doch auch nicht Wunder, dass dieser Lebenslauf von achtzehn Jahren in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit düster, schwermütig und irgendwie auch lakonisch versandet. Im Flecktyphus, diese Barbaren. Haben sie abkratzen lassen, einfach verrecken. Sie war „lebensunwertes Leben“, wie das heißt. Speiübel wird´s einem.

Er, Baujahr 1965, wird jetzt in Süddeutschland begraben! Friede deiner Asche, B.K., Du warst ein netter Mensch und wir werden dich angenehm in Erinnerung behalten!


Stefanie Kloß – Ja – In Sehnsucht eingehüllt. (via Youtube)

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