Helmut Schmidt, Foto ca.1969

3078/15: Nachruf: Helmut Schmidt (* 23. Dezember 1918 in Hamburg; † 10. November 2015)

Kerze

Helmut Schmidt, Foto ca.1969

Helmut Schmidt, Foto ca.1969

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt starb nach Angaben seines Arztes Heiner Greten am Dienstag gegen 14.30 Uhr im Alter von 96 Jahren in seiner Heimatstadt Hamburg. Sein Gesundheitszustand hatte sich in den vergangenen Tagen deutlich verschlechtert. Er starb in seinem privaten Haus in Hamburg-Langenhorn. (Der Spiegel, hier)

Ich habe es befürchtet. Eines Tages fühlte ich mich verpflichtet, einen Nachruf auf einen der ganz großen Deutschen der letzten aufgerundet 90 Jahre schreiben zu müssen. Großzügig aufgerundet, denn groß wird man erst in der Länge der Zeit. Und nicht in ihrer Größe.

Helmut Schmidt war so einer. Einer der ganz wenigen „in diesem unseren Lande“, dem man bis ins höchste Alter gespannt, gefesselt zuhörte. Der sich zu den wirklich wichtigen, essentiellen Dingen der deutschen Gegenwart dezidiert äußern konnte. Mit Blickwinkeln, die uns zu sehr ums Eck gedacht oder gar sogar abwegig vorgekommen wären. Bis er sie uns analytisch scharf und präzise erläuterte. Sein Faible war aber auch und insbesondere die große Weltpolitik. Er vertrat beispielsweise zur Rolle Chinas eine streitbare, etwas andersartige These als alle anderen. Schmidt hatte viel Verständnis für die Sachzwänge im Reich des etwas verkrampften Lächelns.

Kondolenz Loki Schmidt

Aus dem Nachruf für Loki Schmidt, meinerseits, im Oktober 2010, bei Interesse hier

Jetzt wollte er nicht mehr mitreden. Der Tod seiner Frau Loki hat ihn stark mitgenommen, kürzlich gab er zu, sie im Verlaufe ihrer Jahrhundertehe auch mal betrogen zu haben. Späte Wahrheit, etwas nicht mit ins Grab nehmen wollen, vielleicht. Ein grundehrlicher, solider Charakter. Jetzt wollte er nicht mehr rauchen.

Dann wollte er wohl lieber gar nicht mehr.

In Zeiten einer weltweit veranlassten Ölkrise mit autofreien Wochenenden führte er die Nation, wie im Deutschen Herbst 1977, mit Bader-Meinhof und Co.. Nicht alles, was er damals als Krisenmanager entschied, eignet sich für die Öffentlichkeit. Auch heute nicht. Unaufgeklärt bleiben vielleicht daher so Dinge wie die Häftlingstode in Stuttgart-Stammheim, von denen eine äußerst schwer verletzte Irmgard Möller, gerade überlebend, berichtete. Wir mussten damals die Dinge einordnen. Mogadischu, Häftlingsfreipressungen, die Lufthansa-Maschine Landshut, Ben Wischnewski flog nach Afrika und in Deutschland trat Helmut Schmidt vor die Presse und erklärte der Öffentlichkeit, eine deutsche Regierung dürfe unter gar keinen Umständen erpressbar werden.

Hanns-Martin Schleyer wurde ermordet.

Die Gemeinsamkeit deutscher Demokraten ist massiv ausgedünnt. Das #Schmidteinander entfällt.

Helmut Schmidt bekam letztens eine jugendliche Freundin und Pressesprecherin zur Seite gestellt: Sandra Maischberger ließ wenig Gelegenheiten aus, Schmidt zu Fragen von Weltgeltung genauer auszufragen. Einer der am meisten beliebten Politiker aller Zeiten, der SPD-Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, wurde in den letzten Jahren immer wieder zu relevanten Weltfragen als Zeitzeuge gefragt. Er ist und war der elder statesman, auch im Vergleich zu Helmut Kohl, ungleich fitter, weltgewandt. Als begehrter Raucher Redner auf internationalen Parkett saß er konsequent im Zigarettenrauch, lief äußerst ortskundig über Plätze des Himmlischen Friedens, setzte sich über Rauchverbote hinweg und bezahlte Geldstrafen deswegen sofort ad hoc. Wenige antworteten bescheidener, kompetenter und zugleich altersweise. Helmut Schmidt, eine deutsche Ausnahmeerscheinung. Es gab ihn also doch, den anständigen Deutschen.

Das war zu erwarten. Mit 96 Jahren Kette rauchend, konnte Schmidt dem bereits beschlossenen Verbot gegen Menthol-Zigaretten gelassen entgegensehen. In Menschen bei Maischberger im April 2015 beschloss er bereits, das Eintrittsdatum dieses Verbots nicht mehr miterleben zu wollen. Auch andere Verbote westlicher Art waren sein Thema nicht. Seine Meinung über die Volksrepublik China stand ganz im Gegensatz zur vorherrschenden Auffassung in westlichen Ländern. Niemand traute sich, ihm deswegen nicht genau zuzuhören. Denn es war seinen Auffassungen zu Eigen, dass sie auf seiner persönlichen Lebenserfahrung basierten und nicht auf verständnisfernem Intellekt. Er war schärfsten Verstands.

Zuvor hat Helmut Schmidt fast sein ganzes Leben lang im Dienste der Allgemeinheit gestanden. Nicht ganz wenige Jahre gemeinsam mit seiner liebenswerten, großartigen Frau Hannelore Loki Schmidt, die ihn unabgesprochen verließ. Von nun an gings bergab.

Deutschlands Mitbürger sind seit Jahren mit Schmidt älter geworden, zum Teil auch ganz erheblich. Wenigen Politikern können heute erwachsen gewordene Mitbürger richtig zuhören, um noch etwas lernen zu wollen. Beispielsweise Gesichtspunkte, die sich einem nicht gleich sofort eröffnen, oder Bandbreite, eine Art zu argumentieren, die an Durchblick, Weitsicht und Konstruktivität kaum zu überbieten ist. Man kann es auch den weiten Horizont kluger Menschen nennen.

Eher spartanisch, Bescheidenheit lebend, ohne Chichi, ist Helmut Schmidt der pure Hanseat gewesen. An seinem Beispiel konnten wir das Hanseatentum von innerer Größe bei gleichzeitig bescheidenem Auftritt, Understatement par excellence, begreifen lernen.

Über seine Zeit als bundesdeutscher Kanzler behält man als Erinnerungscluster die deutsche Ölkrise mit autofreien Sonntagen, das Vorantreiben des Nato-Doppelbeschlusses und ein konsequentes Krisenmanagement angesichts des deutschen Herbstes mit RAF-Entführungen, Stuttgart-Stammheim und Mogadischu im Kopf. Ein Titelbild vom SPIEGEL titelte nach seinem Rücktritt: „Der Lotse geht von Bord.“ (Bild)

Mit Helmut Schmidts Gang ist Deutschland ärmer geworden, so unausweichlich und erwartbar sein Gang von Bord der „BR Deutschland“ war. Kreuzfahrten waren seine Sache nicht.

„Schmidt-Schnauze“ war dabei kein Kühler. Wie sehr ihn diese Dinge anfochten, berichtete er später in vielen Interviews, ohne je weinerlich zu wirken. Seit nunmehr 30 Jahren elder statesman, im Weltweisenrat der Unsterblichen zuhause, verließ ihn vor ein paar Jahren Loki als erste, der er jetzt nachfolgt.

Es wird Nebel geben in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren. Lange Zeit war Schmidt jetzt krank. Jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank. Er konnte sich für das Leben welche nehmen, so tat er es auch fürs Sterben. Schmidt war seit langem Mitherausgeber der Zeit.

Meine persönliche Hochachtung, Helmut Schmidt, du warst für mich einer der wichtigsten deutschen Persönlichkeiten der letzten 100 Jahre. Und in diesem Kaisergremium haben gar nicht mal so viele einen Platz. Du schon. Danke für alles.

 

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