1399/11: Extrem diskreter Dialog: Karl-Johannes Schindler hat Wigald Boning auf den Zahn gefühlt #Interviews

Wenn ich den Sumpf trockenlegen will, werde ich ja nicht den Frosch fragen! (sagte der Verwaltungsbeirat über den Tischler, der neue Fenster lieber in Holz und nicht in Kunststoff einbauen mochte) – und forderte nun weitere Angebote, diesmal mit Werkstoff „Kunststoff“ an. Wenn man sich über Humor in Deutschland ein Bild machen möchte, kann man sich aber mit Wigald Boning unterhalten. So wie Karl Johannes Schindler es tat: im extrem diskreten Dialog im Berliner Yorckschlösschen

Wie konnte das passieren? Karl Johannes Schindler hatte Interviews geführt. Die nannte er selbst „extrem diskrete Dialoge“. Und veröffentlichte sie auf facebook. Sie waren sehr beliebt, wurden vielfach „geliked“, angeklickt. Der Grund: sie sind spritzig, frech und verlaufen immer irgendwie unerwartet: so wie Gehirnschmalz-Schmirgelübungen!  Rettet die Freiheit zu denken! Irgendwann kam der nächste facebook-Relaunch. Wieder wurde alles umgestellt, gestrafft, neu organisiert und nichts ist mehr so wie vorher. Den vielleicht „längsten Datensatz der Welt“ und dessen Verschwinden im „Orkut der digitalen Geschichte“. Sie sammeln Daten bei facebook wie nichts anderes. Die „extrem begehrten Interviews“ waren weg. Eins davon ist das Nachfolgende und es konnte mit wenigen anderen gerettet und wiederhergestellt werden. Karl Johannes Schindler hat den „doofen“ (!!) Wigald Boning interviewt. Der ist gar nicht doof, sondern ziemlich intelligent, stellt sich heraus. Das Gespräch wurde am 16.07.2011 erstmals veröffentlicht.


_seitentrenner Flugzeug

Karl Johannes Schindler („K.J.S.“)
„Seid ihr alle doof?“ – „Jaaa!“:  WIGALD BONING im diskreten Dialog

Karl Johannes Schindler

Karl Johannes Schindler

K.J.S.: Ich halte „Mief“, den Superhit der „Doofen“ aus deiner und Olli Dittrichs Feder, für ein von Immanuel Kant inspiriertes Liebeslied. Kant führte ja neben subjektiven Aspekten insbesondere die Art und Weise der Sinnlichkeit in’s Feld…. Olli und du, ihr hattet euch bestimmt gerade mit philosophischen Gesetzmäßigkeiten in Natur und Kunst beschäftigt, oder?

WIGALD: Nein, ehrlich gesagt kam die Inspiration eher von den transpirationsträchtigen Anzügen, die ich damals trug. Olli und ich teilten bei „RTL Samstag Nacht“ eine enge Garderobe, und die von meinen Klamotten ausgehende Geruchsbelästigung mündete in dieses Lied. Kant & Co. hatten jedoch ursächlich mit der Entstehung des Liedes „Warum“ zu tun.

K.J.S.: Ihr dachtet in diesem Werk zum Beispiel über das Warum des Haares in der Nase nach. Einsteins Erklärungen zu solchen Phänomenen waren euch zu relativ und letztlich auch zu primitiv. Gibt es in diesen Dingen mittlerweile neue wissenschaftliche Erkenntnisse?

WIGALD: Nasenhaare werden weiterhin viel zu wenig gewürdigt, ob in der Philosophie oder in der Welt der Haarmode. Ein Jammer. Das Thema beschäftigt mich sehr. Immerhin besitze ich die europaweit führende museale Nasenhaarschneider-Sammlung. Aber frag’ mich nicht nach Einzelheiten – ich habe selber noch nie einen Nasenhaarschneider benutzt, da ich die Originalverpackungen nicht beschädigen möchte.

K.J.S.: Jetzt hatte ich zumindest mal einen Einstieg, was bei dir wegen deiner außerordentlich multiplen Künstlerpersönlichkeit gar nicht so einfach ist. Womit beschäftigt sich denn der jeweils sehr erfolgreiche Musiker, Autor, Schauspieler, Moderator, Comedian et cetera Wigald momentan?

Liegen gelassener Einkaufszettel: Spinat, Eier, Schweinefleisch...

Liegen gelassener Einkaufszettel: Spinat, Eier, Schweinefleisch…

Phänomenale Einkaufszettel: Wigald Boning sammelt Zettel wie diesen hier. Den allerdings habe ich gefunden: in Potsdam am Geldautomaten einer Sparkasse. Zettel wie diesen sammelt und veröffentlicht mit Eifer Wigald Boning und entdeckt darin immer wieder interessante Phänomene

WIGALD: Ich habe gerade ein Buch geschrieben, „Die Geschichte der Fußleiste und ihre Bedeutung für das Abendland“; eine Sammlung privater wissenschaftlicher Studien, die ich in den letzen Jahren zur Buchreife getrieben habe. Das Buch erscheint im September bei Rowohlt und ist extrem empfehlenswert.

K.J.S.: Wie konnte es eigentlich im deutschen Fernsehen zu einer derart raffinierten und wohlfeilen Humorkreation wie „RTL Samstag Nacht“ kommen?

WIGALD: Die besondere Personalkonstellation aus Hugo Egon Balder, dem Produzenten Jacky Drechsler und Marc Conrad, dem Programmdirektor bei RTL, war entscheidend. Wir waren nicht von Anfang an erfolgreich, sondern auf das Durchhaltevermögen des Senders angewiesen. Keine Ahnung, ob man einer solchen Show heute ähnlich viel Zeit gönnen würde. Und auch wir „Comedians“ – ich habe mich bis heute nicht an dieses Wort gewöhnt – passten gut zusammen. Da hatte Hugo ein glückliches Händchen.

K.J.S.: Und wie konnte es dazu kommen, dass heute Mario Barth Fußballstadien füllt? Früher war es wenigstens noch Mario Basler.

Wigald Boning

Wigald Boning (Privatarchiv)

WIGALD: Mario Barth spricht offenbar einem gewichtigen Teil des deutschen Volkes aus der Seele. Ich habe ihn allerdings noch nie im Stadion gesehen und kann ihn daher auch nicht beurteilen. Basler hingegen habe ich mehrfach live gesehen und war entzückt. Und er hat nachweislich mehr Eckbälle direkt verwandelt als Barth. Tja, früher war alles aus Holz, sogar die Stadionattraktionen.

K.J.S.: Deine ungezählten Fans hoffen, dass du ebenfalls in Bälde stundenlang über Monsterbühnen jagen wirst – á la Barth oder Jagger. Als Indiz dafür werten sie deine Anstrengungen im Bereich des Ausdauersports. Du treibst es wild auf Fahrrädern, Schneeschuhen und dem ganzen Zeugs.

WIGALD: Nein, ich bin mit den „Doofen“ schon in Stadien aufgetreten. Das war sehr ulkig: 40.000 Leute, und dann kommen zwei Hanseln mit Blockflöte und Wandergitarre, fragen „Seid ihr alle doof?“, und alle rufen „Jaaa!“ Da kommt man ins Grübeln. Meine sportlichen Unternehmungen sind aber genau so gut. Für den nächsten Winter plane ich 24 Stunden Skilanglauf, auf einer 2,5-Kilometer-Runde. Da kommt man nicht weniger ins Grübeln.

K.J.S.: Stimmt. Magst du Frauenfußball?

WIGALD: Ich bin recht kurzsichtig und kann erst dann erkennen, ob es um Herren- oder Damenfußball geht, wenn ich mich sehr nah vor den Fernseher setze. Im Ernst: Soll doch jeder den Sport ausüben, der ihm gefällt.

K.J.S.: Auf Facebook machen deine Sammlungen von Einkaufszetteln Karriere. Was fuhr da ausschlaggebend in dich?

WIGALD: Ein unglaublich spannendes Sammelgebiet! Fremder Leute Einkaufszettel lassen sich auf die unterschiedlichsten Arten deuten, graphologisch, etwa unter dem Gesichtspunkt des Faltenwurfs und der Produktauswahl. Seit Jahren versammelt sich auf meiner Seite nahezu täglich eine Analytiker-Gemeinde, die die frisch gefundenen Exemplare diskutiert – und es wird einfach nicht langweilig.

K.J.S.: Inzwischen schicken dir wildfremde Menschen ihre einschlägigen Fundsachen nach Hause. Das zieht also internationale Kreise. Wieviele Zettel hast du schon gehortet?

WIGALD: Momentan sind es ungefähr 500 Exemplare.

K.J.S.: Gefühlt verfügst du bisher über ungefähr 25.000 Grimme- und sonstigen Preise. Auf welche hast du es noch abgesehen? Spielen die Zettel dabei eine Rolle?

WIGALD: Nein. Keine. Mein Preisregal ist voll.

K.J.S.: Guckst du Fernsehen?

WIGALD: Gerne morgens, etwa im Herbst, auf dem Zimmerfahrrad sitzend. Am liebsten französisches Dauerwerbefernsehen.

K.J.S.: Wie müsste die Fernsehsendung aussehen, in die sich Wigald Boning sofort, gleichsam blindlings und euphorisch, stürzen würde?

WIGALD: Frauenfußballkommentator, Tatortkommissar, Tagesschausprecher. Und eine Talkrunde mit Experten, etwa zur Geschichte der Fußleiste, fänd‘ ich auch herrlich.

K.J.S.: Verrate doch bitte schon mal ganz kurz, wie das Abendland ohne die Existenz der Fußleiste heute aussähe.

WIGALD: Zum Beispiel wäre die Französische Revolution eventuell ausgefallen, da beim Sturm auf die Bastille Fußleisten die wichtigsten Hieb- und Stichwaffen der Aufständischen waren. Dachlatten wurden kaum eingesetzt, da ihre Demontage Dachstühle zum Einsturz gebracht hätte.

K.J.S.: „In Rio steht ein Hofbräuhaus“ heißt eines deiner überaus lesenswerten Bücher. In Berlin hingegen steht ein legendäres Yorckschlösschen. Dort treffen Jazz-, Blues-, Boogie-, Latin- und übergeordnete internationale Koryphäen aufeinander, etwa in Jam-Sessions. Mit wem möchtest du im Schlösschen mal jammen?

WIGALD: Roberto di Gioia, mit dem ich das Album „Jet Set Jazz“ gemacht habe, sollte in jedem Fall dabei sein. Wann geht’s denn los?

[iframe_youtube video=“t1QvAOrYWS0″]
Wigald Boning – Statement Break (via Youtube)

K.J.S.: Ich vermute mal, sehr bald. Wir haben überdies einen feinen gemeinsamen Freund, Klaus Voormann, den „fünften Beatle“. Ich weiß nicht, ob ich’s verraten darf, aber der sagte schon vor 25 Jahren: „Der Wigald, der Boning, der ist richtig gut.“ Darf Klaus mitspielen?

WIGALD: Aber ja! Sehr gerne! Lustiger Zufall: Wir waren vorgestern Kaffee trinken und haben über gemeinsame Vorhaben geplaudert. Er wohnt nämlich bei mir ganz in der Nähe. Und gestern habe ich mir seinen überaus sehenswerten Film „A Sideman’s Journey“ angeschaut und gedacht: Mit Klaus sollte man mal wieder kämmen! Nein, „jammen“, nicht „kämmen“. Doofe Rechtschreibautomatik.

K.J.S.: Was möchtest du noch loswerden, bevor ich dir für dieses aufschlussreiche Gespräch vielmals danke?

WIGALD: Horrido allerseits!

K.J.S.: Ich danke dir für dieses aufschlussreiche Gespräch vielmals.

Weblotse