682/2010: Grrrr..: EnEV kann seit Dez. 2009 umgesetzt werden, allerdings (nur) ohne Bauaufsicht!

Grrrrr..... etwas ungehalten darüber!

Grrrrr..... etwas ungehalten darüber!

Award from the wood - Award aus dem Wald

Award from the wood - Award aus dem Wald

„Ich verstehe nicht, warum du den Beamten böse bist! Die tun doch nichts.“ (vollkommen abwegiger Beamtenwitz, Quelle unbekannt)

Jubel im Raubtierhaus im Dezember 2009. Auf Antrag der SPD-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses und mit Zustimmung aller Parteien wird das Gesetz durch gewunken, das eine nur als skurril zu bezeichnende Rechtslücke schließt. Und jetzt wieder eine Preisverleihung: gesichtspunkte.de verleiht den selten vergebenen AWARD FROM THE WOOD! Die Initiative, die Gesetzeslücke zu schließen, hatte seinerzeit der Betreiber dieses Blogs gestartet. Wir ersparen uns Wiederholungen, verweisen lediglich auf den Abschlussbericht  und bitten Nichteingeweihte, dort die weiterführenden Links anzuklicken.

Das Berliner NachbarrechtsG wurde geändert wie folgt, Zitat:

_seitentrenner Flugzeug

„§ 16a Wärmeschutzüberbau der Grenzwand

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks hat die Überbauung seines Grundstücks für Zwecke der Wärmedämmung zu dulden, wenn das zu dämmende Gebäude auf dem Nachbargrundstück bereits besteht. (Hinweis der Redaktion: es steht dort nicht, er hat eine Zustimmung zu erteilen)

(2) Im Falle des Wärmeschutzüberbaus ist der duldungsverpflichtete Nachbar berechtigt, die Beseitigung des Überbaus zu verlangen, wenn und soweit er selbst zulässigerweise an die Grenzwand anbauen will.

(3) Der Begünstigte des Wärmeschutzüberbaus muss die Wärmedämmung in einem ordnungsgemäßen und funktionsgerechten Zustand erhalten. Er ist zur baulichen Unterhaltung der wärmegedämmten Grenzwand verpflichtet.“

Was scheinbar nicht mit bedacht wurde: die Eigendynamik der Berliner Beamtenschaft. Das konkrete Bauvorhaben in Berlin-Wedding (Rathaus Berlin-Mitte) steht nun an und es ist erforderlich, einen Bauantrag bei der Bauaufsicht zu stellen. Wobei das im vereinfachten Verfahren läuft. Es gibt  im Rathaus eine Sitzung, der eingegangene Antrag wird „durch gewunken“, reine Formsache, und das war’s dann. So soll es sein, dem Grundgedanken nach.

Die Begründung des SPD-Antrags, der am 10.12. durchging, liest sich populär, von uns verkürzt wiedergegeben zur besseren Übersichtlichkeit:

„Die Anbringung einer Wärmeschutzisolierung an einer Fassade führt zwangsläufig zu einer dickeren Außenmauer, also zu mehr Platzbedarf. Relevant wird diese Frage besonders im typischen Berliner Altbaubestand, bei dem zumeist ein Teil des Gebäudes genau an der Grenze zum Nachbargrundstück steht. Soll eine solche Grenzwand gedämmt werden, entsteht durch die Dämmschicht ein Überbau auf das Nachbargrundstück, der nur mit Zustimmung des Nachbarn errichtet werden darf. Der Nachbar ist jedoch nicht zur Zustimmung verpflichtet. Sanierungswillige Berliner Hausbesitzer und Hausverwaltungen machen zunehmend die Erfahrung, dass eine solche Zustimmung an erhebliche Bedingungen des Nachbarn geknüpft wird, die eine Durchführung der Sanierung erschweren oder gar verhindern. So werden mitunter finanzielle Entschädigungen verlangt, deren Höhe von 300 Euro in relativ einvernehmlichen Fällen bis zu 5.000 Euro und mehr reichen können. Konkrete Beispiele von Hausverwaltungen zeigen, dass darüber hinaus häufig monatelange Verhandlungen und Schriftverkehr die Sanierung erschweren und verlangsamen. In Einzelfällen müssen Eigentümer oder Verwaltungen sogar mit mehreren Nachbarn über Zustimmungen verhandeln, wenn die Giebelwand an mehr als ein Nachbargrundstück angrenzt.“

Und jetzt haben die obersten Bauaufsichtsbeamten aller Bezirke getagt. Das tun sie mit einer FAQ-Liste (häufig gestellte Fragen) und sie veranlassen berlinweit gemeinsame Vorgehensweisen. Gute Idee! Zu begrüßen ist aber gar nicht, was unmittelbar nach obiger Gesetzesänderung daraus wird: Genau das Gegenteil dessen, was das Gesetz sagt!

  • Dass auch weiterhin ein Bauantrag gestellt werden muss, ist klar und nicht zu kritisieren. Es handelt sich um das vereinfachte Antragsverfahren.
  • Aber: Dass die Bauaufsicht Mitte fordert, eine schriftliche Zustimmungserklärung des „grantelnden“ Nachbarn beizubringen, der mit der Wärmedämmung seit Jahren hadert, beizubringen, ist gesetzwidrig und überflüssig wie ein Kropf.

Auf die Rechtslage hingewiesen, wie sie jetzt ist, macht sich der Bauaufsichtsbeamte schlau. Wenn das Gesetz nichts hergibt, in kurzen klaren Worten, greifen die Fachbeamten aller Bauaufsichtsbehörden in Berlin auf „gemeinsame Entscheidungshilfen für das Baugenehmigungsverfahren“ zurück, die hier nachzulesen sind.  Gemeinsame Entscheidungshilfen der Bauaufsicht sind aber nicht Gesetze mit landesweiter Geltung. Sie müssen die Umsetzung der Gesetze sicherstellen, und im konkreten Fall hat die Bauaufsicht nichts, gar nichts, anzugeben, ob und ggf. mit welchen (rechtlichen oder tatsächlichen) Argumenten sich ein Verpflichteter (Grundstücksnachbar) einer Wärmedämmung durch den Bauherrn verweigert. Denn da der Nachbar diese zu dulden hat, ist damit automatisch impliziert, dass dieses bauaufsichtlich nicht zu überprüfen ist. Kommissar Umstandswauwau, der umständehalber tätig werdende Baupolizist, regelt nun -wie eingehend überprüft wurde- wörtlich folgendes (exakt hier), und damit wird der Sinn des § 16 a NachbarrechtsG wieder komplett ausgehebelt, wörtlich:

„Bedarf es bei der nachträglichen Anbringung einer Wärmedämmung an der Grenzwand eines Gebäudes für das Übergreifen der Wärmedämmung auf das Nachbargrundstück einer Abweichungsentscheidung oder der Eintragung einer Baulast? Nein. Es bedarf weder der Erteilung einer Abweichung noch der Eintragung einer Baulast. Die Einverständniserklärung des Nachbarn ist jedoch Voraussetzung. Dieser Beitrag wurde als Nr. 278 des FAQ Bauaufsicht behandelt.“ (wörtlich zitiert) – Stichtag: 19.02.2010 

Das ist nicht nur der berlinsche Umstandswauwau, das ist ein brandneuer „dicker Hund“. Interessant: Die Anfrage unseres Architekten erfolgt exakt am selben Tag. Gut gebrieft zeigte sich die Bauaufsicht in ihrer Absicht, den „puristischen Selbstzweck“ der Gesetzesinitiative von vornherein komplett zu unterlaufen.

Ja, meine Herren und Damen, mir san ja net in Bayern, aber **kruzifixhallelujahscheissglumpverrecks…***, das nennt man einen dreifach rückwärts orientierten, doppelten Rittberger mit anschließender Bielmann-Pirouette. Genau das wollte der Gesetzesentwurf beenden. Es sollte gerade nicht vom Wohlwollen eines benachbarten Eigentümers abhängen, ob ein derartiges Vorhaben rasch und verzögerungsfrei durchgeführt werden kann. Die bauaufsichtliche Auflage haut die modernisierungswilligen Bauherren erneut „in die Pfanne“ der Beliebigkeit nachbarschaftlicher Willkür und öffnet diesen Tür und Tor, sich die Erlangung der schriftlichen Genehmigung widerrechtlich Zug um Zug gegen Gewährung von Zugeständnissen versilbern zu lassen. Genau darüber wurde im Vorfeld lange gesprochen, und übrigens hier ausführlich berichtet.

Ist alles so schön bunt hier, ich kann mich gar nicht entscheiden.” (Nina Hagen, Ich glotz TV, 1978)

 _seitentrenner Flugzeug
Keep it under control!

Keep it under control!

Nein, genau das nicht, denn das bedeutet im Verhältnis störrischen, uneinsichtigen Nachbarn genau das, was der Gesetzentwurf ausräumen wollte: einen umständlichen, jahrelangen Rechtsweg für sich gesetzeskonform verhaltene Grundstückseigentümer. Pfui Deibel, das muss nachgehakt werden. Keep it under control! Da sind wir aber mächtig böse, mächtig böse! Fassen wir zusammen:

  • Das war gut gemeint, der Gesetzesentwurf.
  • Die Mitwirkung von Fachbeamten auf nicht vorhandener Ermächtigungsgrundlage wurde nicht mit bedacht.
  • Das Abgeordnetenhaus muss sich erneut mit dem Vorgang befassen.
  • Die Sache ist preiswürdig: die Redaktion von gesichtspunkte.de hat sich deshalb heute in einer Sondersitzung entschlossen, den Berliner Bauaufsichten den selten vergebenen und daher heiß begehrten AWARD FROM THE WOOD zu verleihen, Monatsaward 02.2010. Der AWARD kann nach Empfang der entsprechenden Baugenehmigung direkt in Empfang genommen werden!

Vielleicht sehen wir ja nur den Wald vor lauter Bäumen nicht? Auf eine Stellungnahme, die die Erforderlichkeit des bauaufsichtlichen Vorgehens auf gesetzlicher Grundlage glaubwürdig unter Beweis stellt, werden wir warten. Anderenfalls dürfte es sich wieder einmal um ein Paradebeispiel für eine enervierende öffentliche Verwaltung handeln, die wirklichen Veränderungen gegenüber wehrhaft gegenübersteht. Ein Volljurist im Ruhestand, zuvor Richter, sprach heute Abend von den in der Verwaltung allerorten vorhandenen „Reichsbedenkenträgern“. Aber wenn eine glaubwürdige Antwort kommt, die erkennen lässt, dass der Sinn der Neufassung des § 16 a umfassend bei dieser ungesetzlichen Regelung berücksichtigt wurde, werden wir hier darüber unverzüglich nachberichten. Allerdings fällt auch nach längerem, intensiven Nachdenken keine denkbare Begründung ein. Nobody is perfect!

Weblotse

Berlin, 23.02.2010

Bloggwart schreibt an Daniel Buchholz (SPD-Abgeordneter), Textauszug:

 Der Gesetzgeber kann etwas klipp und klar beschliessen, aber er muss auch bedenken reinzuschreiben, was die nachgeordnete Beamtenschaft nicht machen darf: Etwa eine Zustimmung zu fordern, die gesetzlich gar nicht gefordert bzw. sogar regelrecht ausgeschlossen wurde. Wenn ich mir vorstelle, dass dies sozusagen systemimmanent ist für eine Vielzahl von anderen Gesetzen und deren nachfolgender Umsetzung, dann habe ich jetzt verstanden, wie kommunizierende Röhren funktionieren: ähnlich wie Stille Post.“

Stille Post: Es geht immer ein Stück vom Ursprünglichen verloren. Dazu passend, auch schon mal gesagt, in anderem Zusammenhang hier:

Skurril: Eltern & Rosétrinker (Zitat des Tages)

Skurril: Eltern & Rosétrinker (Zitat des Tages)

Wobei: Das Wort Eltern durch „Beamte“ und das Wort Kindern durch „Entscheidungshilfen“ ersetzen, um beim Thema zu bleiben.