Stimme der Kritik (Update): Amtsgericht Tiergarten zur Verwaltungsbeiratswahl von vier Personen

Der Kritiker

gesichtspunkte.de hatte kürzlich hier über eine amtsgerichtliche Entscheidung in Tiergarten (Berliner Amtsgerichtsbezirk) berichtet, die unter dem Aktenzeichen 10 C 127/09.WEG am 08.10.09 verkündet wurde. In der (ad hoc) besprochenen Entscheidung ging es um die ‚en bloc‘-Wahl eines Verwaltungsbeirats aus vier Personen. Der Beschluss war für ungültig erklärt worden. Den Wortlaut dieser Entscheidung haben wir uns auch besorgt. Ein kostenloser download-Link befindet sich am Ende dieses Artikels. Der vollständige Wortlaut gibt uns Anlass, noch einmal auf das Thema zurück zu kommen. Wer allerdings die ersten Reaktionen von uns zuerst lesen möchte, bitte hier.

Unsere seinerzeitige Kritik zurück zu nehmen, besteht auch in Kenntnis des (jetzt vorliegenden) kompletten Wortlauts kaum Anlass.  Die Entscheidung lässt uns Verwalter ahnen, dass auf den rechtsprechenden Gerichtsfluren ein Wind von Förmlichkeitserwägungen und stringentem Gedankengut weht, der der Praxis und (was wichtiger ist) dem ganz überwiegenden Eigentümerwillen heftig entgegenweht. Förmlich mag das Leben als Mieter sein. Warum auch Wohnungseigentümer in erster Linie förmliche Erwägungen gegen sich gelten lassen müssen? –  darauf erhalten Ratsuchende gerichtlich kaum eine vernünftige, nachvollziehbare Antwort!

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Berliner Winter 2010 (Foto: Thomas Gotthal)

Berliner Winter 2010 (Foto: Thomas Gotthal)

Das Prinzip der gemeinschaftlichen Mitverwaltung (§ 21 WEG) aller Wohnungseigentümer und was wir die Vorgreiflichkeit von Versammlungen nennen, also die zunächst erforderliche Willensbildung der Versammlung, bevor überhaupt Gerichte eingeschaltet werden (dürfen), wird auf den Kopf gestellt. Was für professionelle Verwalter noch schlimmer erscheint: Der alte, nur anscheinend überkommene Begriff eines konservativ gestrickten Verwaltertypus, der nichts besseres zu tun hat, als Wohnungseigentümer bei ihrer Beschlussfassung mit ständigen Rechtsprechungstendenzen zu quälen, wird hochgehalten. Nicht unbedingt von älteren Richtern aus jener Zeit, sondern (vermutlich) von nachwachsenden Jungrichtern(innen). Es geht nun augenscheinlich darum, dass Verwalter eine Art Filterfunktion ausüben, die ihnen als grunddemokratisch erzogenen, modernen Menschen unverhältnismäßig erscheinen muss. Der Verwalter als willenloser Moderator aller Eigentümeranliegen? Das kann sein, muss aber nicht sein. Und was nicht bedeutet, ohne eigene Meinung zu den Dingen? Der Gestaltungsfreiraum von Wohnungseigentümern und Verwaltern wird stark eingeschränkt und auf gesetzl. Förmeleien zurückgeworfen.

Auszüge (Zitate aus dem Urteil), die dies belegen, sind:

„Zwar steht es den Wohnungseigentümern grundsätzlich frei, ob ein Verwaltungsbeirat gemäß um ein fakultatives Organ handelt. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, wie sich der Verwaltungsbeirat zusammenzusetzen hat. Hierzu gibt es in § 29 Abs.1 Satz eine klare, gesetzliche Vorgabe, nämlich dass der Verwaltungsbeirat aus drei Wohnungseigentümern zu bestehen hat. Diese Vorschrift ist zwar nicht zwingend, kann also abbedungen werden.“

Aha! Und weiter:

„Die Anzahl der Mitglieder kann deshalb (Anm. der Red.: nur) durch Vereinbarung aller Wohnungseigentümer vermindert oder erhöht werden. Durch bloßen Mehrheitsbeschluss können die Wohnungseigentümer die Anzahl der Mitglieder grundsätzlich nicht generell abweichend von 5 29 Abs.1 Satz 2 WEG regeln. Sofern nicht eine Vereinbarung eine entsprechende Beschlusskompetenz einräumt, fehlt den Wohnungseigentümern die Beschlusskompetenz für eine solche Regelung.“

Zweckmäßigkeitserwägungen bleiben außen vor, denn das Amtsgericht sagt:

„Zwar handelt es sich hier um keine generelle, sondern um eine individuelle Beiratsbestellung, jedoch ergibt sich aus dem Vorstehenden, dass der angefochtene
Beschluss zu TOP 7 zwar nicht nichtig, jedoch anfechtbar ist aufgrund seiner Gesetzeswidrigkeit im Hinblick auf 5 29 Abs.1 Satz 2 WEG. Da unstreitig von der gesetzlichen Vorgabe abgewichen wurde und nicht ersichtlich ist, dass die Teilungserklärung eine anderweitige Regelung enthält war der Beschluss für ungültig zu erklären. Unbeachtlich ist daher, ob die Bestellung von vier Beiräten vorliegend angesichts der Größe der Wohnungseigentümergemeinschaft und der Berufstätigkeit der
Beiratsmitglieder zweckmäßiger wäre
.“ (Fettdruck/Hervorhebung durch Redaktion)

Letzteres erwarten folglich künftig weder Verwaltungen noch Wohnungseigentümer von Gerichten, sondern ein blindes (Prinzip der Justitia mit Augenklappen) Abklopfen von Beschlüssen auf rechtliche Formalitäten. Wertet man dies zutreffend aus, so muss dem beurkundenden Notar dieser Teilungserklärung im Nachhinein ‚eine Watschn‘ (nicht berolinisch, sondern bajuwarisch (Bajuwaren: ein merkwürdiges Bergvolk…), aber allgemein verständlich) für die Ursprungs-Teilungserklärung gegeben werden, die nicht einmal eine sinnvolle Öffnungsklausel enthielt. Allerdings muss man dabei bedenken, dass die WEG schon sehr lange existiert und auch nachweislich erst im September 2000 bereits schon, als der Bundesgerichtshof mit dieser Entscheidung alle sinnvollen Praktikabilitäten kippte, die Wohnungseigentümer bei zu harschen Teilungserklärungen ‚zitternd‘ vor sich hin beschlossen. Erst recht hat sogar der Gesetzgeber erkannt, dass eine Vielzahl von rechtlichen Problemen das WoEigG insgesamt modernisierungsgeeignet machten, denn sonst hätte es die WEG-Reform nicht gegeben, an der allerdings nach Meinung einer Vielzahl von Fachleuten auch weiterhin harsche Kritik erlaubt sein muss.

Mit Verwaltern wird hier ganz allgemein Tacheles geredet, wenn es heisst:

“ Die Kostenentscheidung betreffend die Beigeladene folgt aus des Gerichts veranlasst hat und sie grobes Verschulden trifft. Der BGH formuliert im Beschluss vom 23.08.2001 (NJW 2001,3339), dass der Versammlungsvorsitzende dafür zu sorgen hat, dass aus dem Abstimmungsergebnis „nach den maßgeblichen rechtlichen Regeln“ das Beschlussergebnis herzuleiten sei. Hieraus folgt, dass der Feststellungskompetenz eine Prüfungskompetenz des Versammlungsvorsitzenden vorgelagert ist. Diese umfasst zunächst nur das Recht, den Beschluss zu überprüfen. Eine entsprechende Pflicht folgt für den Verwalter aus dem mit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geschlossenen Verwaltervertrag, der insoweit Anknüpfungspunkt für seine Haftung ist. Die Prüfungskompetenz des Versammlungsvorsitzenden erstreckt sich nach zutreffender Ansicht umfassend auf sämtliche Rechtswirksamkeits- und Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen. Denn mit der verbindlichen Beschlussverkündung wird der unterliegenden Minderheit die Anfechtungslast auferlegt. Die Beschlussverkündung soll aber nur der Rechtssicherheit der Wohnungseigentümer dienen (Becker, ZWE 2006, 162).“

S’kalt in Berlin, für alle Beteiligten. Okay, dass das Amtsgericht die Beiratswahl aufgehoben hat, obwohl es objektiv niemandem nützt, weder der WEG, noch dem Verwalter. Denn Sachverstand im Beirat, der aus mehr als drei Köpfen besteht, ist nicht von der WEG-Kante zu stoßen mit guten Gründen. Die Schadenersatzpflicht eines Verwalters wegen der gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten festzustellen, das ist die eigentliche Tortur des quadratischen Kreises, oder wie das heißt…

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Weiterführend

Amtsgericht Tiergarten, vollständiger Wortlaut

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