Unternehmen Berlin: Schlagkraft versus Lahmarschigkeit versus ’neue Sachlichkeit‘

Positionen

Berlin hat sich vor mehreren Jahren Unternehmensberater geleistet. Die sollten die ‚olle Verwaltung aufmüpfen‘ und daraus etwas machen, was später seinen Niederschlag in den Poststellen der Ämter und Behörden fand. Die Frankatur-Maschinen der öffentlichen Verwaltung wurden mit einer psychologischen Leerformel aufgehübscht. Die Verwaltung frankierte ihre Briefe fortan mit dem tiefsinnigen Signet ‚Unternehmen Berlin‘ und einem Haken dran. Nun konnte der Empfänger solcher Post interpretieren, ob das lediglich eine Maßnahme zur Bildung von Corporate Identity wäre, oder ob das ganze inhaltlich richtig ist. (Eigen)Werbung, die nach hinten losgeht, kennen wir aus der Satire zu genüge. Der Haken dran, das ließe sich eventuell so interpretieren: Berlin, ein Unternehmen? Das kannst Du abhaken! Denn da wird nie was draus.

Psychologische Leerformel

Nein, es wäre unsachlich, derartiges zu behaupten. ‚Berlin ist arm, aber sexy‚, so lautet das Credo des Bürgermeisters Klaus Wowereit. Und der Spruch hat es tatsächlich in sich. Er legt offen, und zwar ehrlich, was hier ein Riesenproblem ist. Berlin hat kein Geld.

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Ausriss aus Brief der KFZ-Zulassungsbehörde

Ausriss aus Brief der KFZ-Zulassungsbehörde

Dessen ungeachtet liegt ein schleichender Modernisierungsdruck über dem gesamten Stadtgebiet. Und hat auch die öffentliche Verwaltung schon erreicht. Wir sehen seit neuestem Finanzamts-Prüfer, die mit zwar älteren, aber immerhin tragbaren Laptops ausgestattet sind. Wir sehen neu entstandene ‚Bürgerämter‘, und hier ist der Gedanke, die Ansprechbarkeit von üblen Bürokolossen zu verschlanken durch ‚durchschreitbare Eintrittsportale‘ (Bürgerämter) sicherlich richtig. Doch -wie immer, wenn Vater Staat Dinge tut- ist die Umsetzung leider hundsmiserabel. Die Dinge sind nicht ‚auf dem Stand der Technik‘. In der Praxis verlaufen sich hilflose Personen in Bürgerämtern, in denen sich stets viel zu lange Warteschlangen bilden. Es sind Hartz IV-Empfänger, Besucher beim Jugendamt oder schlichtweg sonstige Normalbürger, die Formalitäten zu erledigen hätten. Man darf sich eine Nummer ziehen und nun erfolgt eine gnadenlose und vollkommen unangemessene Warterei von leicht mehreren Stunden. Rote Displays rollen langsam und behäbig aufwärts und stets starrt der Wartende gierig auf sein Ticket, dessen Nummer er sich nicht merken kann und will, und erfährt nun, es sind nur noch zwanzig, zehn, acht, fünf Nummern vor dir dran. Es gibt gute Gründe dafür, dass die öffentliche Verwaltung ein sogenanntes eGovernment einführen möchte. Nach dieser (amerikanischen) Idee soll der Bürger mit Internetanschluss eine Vielzahl von Behördengängen bereits virtuell komplett erledigen können. In Kürze wird zusätzlich zur Email die D-Email (dimäil) eingeführt, und damit sind richtige Autorisierungen möglich. Das gibt Rechtssicherheit. Bei all diesen Behördengängen zählt aber stets: Du kannst die Dinge höchstens anstoßen, beeinflussen kannst du ihren weiteren Werdegang nicht. Frag doch mal telefonisch nach, was aus dem Behördendings von dir geworden ist, und wann du mit Antwort rechnen kannst. Das geht gar nicht. Telefonisch sind die Mitarbeiter schon gar nicht zu erreichen.

Miriam Winkels schreibt in ihrem Blog pisastudio folgendes auszugsweise:

Zitat Letzte Woche habe ich mich wieder 2h auf dem Bürgeramt verlustiert. Das übliche Prozedere begann mit dem Anstehen für Essensmarken eine Wartenummer, der Orientierungsphase, der Platzsuche und ging dann nahtlos ins Warten über. Das kann ich eigentlich ganz gut; ich bin ein geduldiger Mensch. Ich war die 154. Der Stand auf der Anzeigentafel 75. Die Nummern haben sich durch permanentes Anstarren oder den Versuch, die Elektronik durch Synchronisieren mit meinen Gehirnströmen zu hacken, nicht beeindrucken lassen.“ (Weblog-Beitrag vom 31.01.09 mit der Überschrift ’so putzig bürokratisch'“ 

Willst Du Strom bestellen, ist ein Callcenter telefonisch erreichbar, das mit dem Stromanbieter gar nichts gemein hat. Bei den Behörden darf das zwar nicht ‚outgesourct‚ werden auf private Firmen, aber das Prinzip ist ähnlich. Outgesourct wird in Behörden grundsätzlich nur an weitere Behörden, die sich dazu gründen, die Bürger ein Stück mehr von ihrem eigentlichen Sachbearbeiter zu entfernen. Beispiel: Die umstrukturierten Telefonzentralen der öffentlichen Verwaltung haben erkennbar nicht dazu geführt, schnellere, erfolgreichere Verbindungen herzustellen. Die Warteschlangen anrufender Bürger treffend grundsätzlich auf längere Wartezeiten, gefüllt mit sinnloser, vermutlich gemafreier Fahrstuhlmusik.

In diesen Tagen gehen ePetitionen rund im Netz, in dem sich die Petenten wünschen, die Politik solle die als unfair empfundene, rigide Praxis der GEMA überprüfen, bei Auftritten in Kleinstveranstaltungslokalen gnadenlos GEMA-Gebühren abzufragen. Die GEMA-Vorstellungen seien so unfinanzierbar, dass praktisch die gesamte Kleinstkunst zum Erliegen kommen müsse. Uns beschleicht die Idee, man solle der GEMA nun vorschlagen, der öffentlichen Verwaltung ordentlich GEMA-Gebühren aufzudrücken, eindeutig mit Strafzoll-Charakter. Denn eventuell würde dies bewirken, dass Warteschleifen nicht mehr mit ekelhafter Pausenmusik bespielt werden, stattdessen Totenstille beim Vorgang des Wartens. Und deutlich würde: die öffentliche Verwaltung ist bereits tot.

Die Petenten führen zur GEMA-Problematik in ihrer Begründung an:

Zitat Das Ziel dieser Petition ist nicht die Abschaffung der GEMA, denn geistiges Gut ist schützenswert und die Künstler, sprich die GEMA-Mitglieder und Mitglieder anderer Verwertungsgesellschaften sollen zu ihrem Recht kommen. Leider werden die GEMA-GESETZE weder der Musik im Allgemeinen und schon gar nicht der großen Mehrheit ihrer eigenen Mitglieder gerecht.“

Unsere sinnentsprechende Begründung für die Belegung sämtlicher Pausenmusiken bei telefonischen Callcentern, ob privatwirtschaftlich oder behördlich betrieben, fällt nicht anders aus: „Das Ziel dieser drastischen Maßnahme ist die Abschaffung von Pausenmusiken dort und die erhebliche Verkürzung von Wartezeiten der Anrufer, ersatzweise die Offenlegung erheblicher Organisationsmängel.“ Mit einer weiteren Petition „Privatisiert die Bezirks- und Finanzämter sowie das Gerichtswesen“ ließe sich noch obendrauf für einen Übergang in Effektivität, Schnelligkeit und Direktheit werben. Mein Bürgeramt hat nicht reagiert? Pah, dann nehme ich eben einen Mitbewerber.

Hausverwaltus maximus

Hausverwaltus maximus

Ahnungslose ‚Generale‘ sitzen am Telefon, unfähig über intensive, aber richtige Fragen von Bürgern zu entscheiden. Kompetenz darf von diesen Leuten nicht erwartet werden. Das Ziel dieser Mitarbeiter ist auch nicht die Vernetzung des suchenden Bürgers mit dem richtigen Lösungsansatz, bzw. dem Bearbeiter, sondern das Fernhalten von zu viel Publikumsverkehr vor den Behörden. Der Bürger stellt sich im Bereich der Gerichtsbarkeit und der Polizei sowie der Ordnungsämter tatkräftiger Behörden der ‚Exekutive‘ vor: Das Gegenteil ist der Fall. Einstweilige Verfügungen werden nicht erlassen, ein Hinweis ans Ordnungsamt über einen übelriechenden Bauschuttcontainer, an dem sich bereits die Ratten tummeln, wird wochenlang nicht bearbeitet. Es gibt keine ‚Task Force‚ – eine Eingreiftruppe. Schickst Du einen solchen Hinweis ans Ordnungsamt, verlieren sich die Mitarbeiter des Rathauses erst einmal in Kompetenz- und Zuständigkeitsfragen. Ein Fax dorthin lenkt die Energie der Empfänger zunächst im Wesentlichen auf Formfragen: Hat der Empfänger auch deutlich das Aktenzeichen genannt? ‚Der Vorgang konnte nicht zugeordnet werden!‘ Ist der Beschwerdeführer überhaupt erkennbar? Oder der Bürger, gegen den sich die Beschwerde richtet? ‚Wir konnten nichts machen, der Verursacher der Störung konnte nicht so schnell ermittelt werden!‘ – Bei Gericht (bspw. Landgericht Littenstr.) sind ganze Schriftsätze monatelang nicht aufzufinden. Denn einerseits steht die Kammer unter starker ‚Gesamtmodernisierung‘ (Gerichtsgebäude wird renoviert), andererseits ist die ganze Kammer (Geschäftsstelle) nicht besetzt. Die mündliche Verhandlung ist ein Possenspiel wechselseitiger Missverständnisse darüber, dass der eine Beschwerdeführer meint, das Gericht und die Gegenseite kenne die maßgeblichen Schriftsätze. Diese liegen aber weder dem Richter vor, noch sind die den Parteien bekannt. Und über alle dem liegt ‚Schlagsahne wie auf warmem Kuchen‘ (Liedzeile Peter Gabriel): eine ’neue Sachlichkeit‘ hat Einzug genommen, bis hin zur Wirkungslosigkeit ‚öffentlicher Verwaltung‘.

Die ‚neue Sachlichkeit‚, das ist ein Begriff aus der Architektur, aber er kann auf diese Malaise genauso gut angewendet werden. Er bedeutet: Du kannst den Tatsachen ins Auge blicken, aber du darfst die Tatsachen nicht ansprechen. Denn immer, wenn du einen Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung in emotionaler Weise auf einen Missstand hinweist, der in der konkreten Abwicklung vorgekommen ist, dann weist dieser als erstes jede Art von persönlicher Schuld daran von sich und verweist dich in die Schranke ‚mangelnder Sachlichkeit‘. Wer ist schon betroffen vom persönlichen Elend eines Behördengängers, der als Bittsteller in den Büroinstanzen der öffentlichen Verwaltung verzweifelt?

Dafür muss niemand Verständnis haben. Und beispielsweise hier seitenlang Ursachenforschung betreiben. Es reicht vollkommen aus, die Unfähigkeit im öffentlichen Dienst auszudrücken und zu benennen. Über die Beseitigung dieser ’neuen Sachlichkeit‘, die sich als Wirkungslosigkeit darstellt, müssen sich andere einen Kopf machen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder werden fähige Re-Organisatoren beauftragt, das zu beseitigen und das  Geld dafür wird zur Verfügung gestellt. Naheliegender erscheint aber eine andere Möglichkeit: der Staat muss sein Aufgabenspektrum ganz, ganz wesentlich reduzieren und zurückfahren auf ein Level unumgänglicher Aufgaben, die aber die Kernkompetenz des Staates darstellen und wirkungsvoll erledigt werden. Wir ahnen es schon: wie Friedrich Merz vorgeschlagen hat, wird es dann endlich die ‚Steuererklärung auf dem Bierdeckel‘ (kurz: Bierdeckelsteuer) geben. Das Thema kann hier nicht abschließend durchleuchtet werden. Geschweige denn befriedigend.

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UpdateHeute, am 13.07.09, endlich ruft eine Dame vom Ordnungsamt an. Sie spricht auf den Anrufbeantworter: Sie hätten jetzt den Schuttcontainer vor dem Haus kontrolliert und er sei geleert gewesen, und daneben seien auch die Spuren des Baudrecks beseitigt (übrigens von uns, Frau Ordnungsamt). Der Ursprungsartikel war also in die richtige Richtung gelenkt. Lahmarschigkeit der Berliner Verwaltung. Sie hinterlässt ihre Rufnummer, falls noch Fragen bestehen. Ich versuche es drei Mal zu verschiedenen Zeiten. Nie geht einer ans Telefon, es ist zwecklos. Das Leben hat sich seinen Weg geschlagen, das Ordnungsamt kam zu spät. Es hatte keine nationale Eingreiftruppe, die binnen 24 Stunden schlagkräftig gegen Umweltsünder vorgeht. Der Sünder selbst war gewarnt, er hatte eine entsprechende Aufforderung von uns. Merke: Es ist wenig ratsam, die Behörden um Hilfe zu bitten. Denn sie brauchen mehr als 10 Tage, um auf so eine Kleinigkeit zu reagieren.

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