Karl Ranseier (© Jacky Dreksler, mit Dank)

1894/13: Nachruf: Karl Ranseier ist tot

Kerze

Karl Ranseier ist tot.

Der wohl erfolgloseste Minijob-Hausverwalter Deutschlands starb letzte Woche unter seinem Büroschreibtisch in Bergisch Gladbach, direkt im Berliner Speckgürtel, beim Zuschneiden von Postwurfsendungen Weihnachtssternen für seine Mieter. Über die genauen Umstände ist nichts bekannt.

Ranseier hatte rechtzeitig vor Weihnachten für die 65 Mietparteien von drei von ihm verwalteten Mehrfamilienhäusern Weihnachtgrüße geschrieben. Mit Umsicht, Raffinesse und persönlicher Note hatte er zeitlebens in Köln-Chorweiler, Düsseldorf-Carlstadt und Münster-Kinderhaus umsichtig verwaltet, engagiert gewaltet und präzise mitgedacht bei der Schöpfung des Mehrwerts. War das vielleicht ein Leben?

Und scheiterte letzten Endes mit diesem Vorhaben.

Karl Ranseier (© Jacky Dreksler, mit Dank)

Karl Ranseier (© Jacky Dreksler, mit Dank)

Sein berufliches Tun war nicht unumstritten. Viele seiner Berufskollegen lästerten über den „eigenwilligen Berufsinnovator“ hinter vorgehaltener Hand. Ranseier führte für monatliche Mietezahlung als erster die so genannten Treueherzchen ein, wie wir sie schon aus anderen Zusammenhängen kennen. Eine Idee, die ihm viele seiner Berufskollegen mächtig neideten. So war er.

Ranseier gründete seine Hausverwaltung 2003 als so genannte „Ich AG“, um den Antragsformularen des Jobcenters Bergisch Gladbach künftig zu entgehen. Sein spröder Humor, sein Widerwille gegen jede Art von zu beherrschender Staatstreue, machte ihm schon zu Lebzeiten zu schaffen. Einen Ausweg sah er am Ende im Lebkuchen. Und bei Zimtgebäck. 2003 hatten ihn drei Mehrfamilienhaus-Eigentümer um ein Angebot für die künftige Verwaltung ihrer Häuser gebeten. Eine todsichere Sache.

In die Zeit seiner Existenzgründung fallen so wichtige Reformen wie die Überarbeitung des Wohnungseigentumsgesetzes (2007), die steuerliche Anerkennung von „Haushaltsnahen Dienstleistungen“ nach § 35a EStG und die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs über die Ausgruppierung von Instandhaltungsrücklagen aus Wohngeldabrechnungen im Übrigen.

Gern erwähnte Ranseier im Gespräch, beruflich zur Gruppe der Leidtragenden zu gehören. Vergeblich suchte er die Berufs- und Tätigkeitsschlüssel seiner Sozialversicherung nach diesem Tätigkeitsmerkmal ab.

An all diesen beispielhaft genannten, weitreichenden Modernisierungsschüben im Nachkriegs-Deutschland seit 1945 wirkte Ranseier erwiesenermaßen nicht mit und verweigerte die Zusammenarbeit mit „denen da oben“ konsequent. Legendär sind seine von Hand auf Bütten verfassten Betriebs- und Heizkostenabrechnungen, die er zur Freude seiner Mieter stets mit gutgemeinten, persönlichen Kommentaren versah. In blauer Tinte war zu lesen: „Denken Sie auch an den Küchenheizkörper.“ Oder: „Im Klo viel zu hoher Wasserverbrauch.“ Einmal musste er den Brief den nordrhein-westfäligen Datenschutzbeauftragten abwehren, den er sich einhandelte, als es dem Mieter Krause aus Köln schrieb: „2012 wird jetzt das Jahr des Duschens.“ – Er war ein Original, wie man es heute nur noch selten findet.

Seine Nebenkostenabrechnungen trafen stets pünktlich ein, nachdem Ranseier sie zunächst handgeschrieben verfertigte und sodann sorgsam kopierte, indem er sie erneut abschrieb. Sein Bürostempel lautete „Abschrift“, nicht „Kopie“, denn einen Kopierer hatte er (noch) nicht. Ganz generell verweigerte sich der Widerspenstige allzu moderner Bürotechnik.

Ranseier war vom alten Schlage. Sein Brevier das Spaltenbuch, das Hausbuch, jenes mehrspaltige ‚Oppossum der Geschichte‘ aus dem Verlag RNK, in dem Hauseigentümer ihre Mieteingänge von Hand eintrugen. Die Miete abzukassieren, nahm der Delinquent des Barzahlungsverkehrs noch treppenpodestweise vor. In geschickten Arbeitsentwürfen legte er die Reihenfolge der Mietzahlungen stets anders fest, seine Mieter wussten über den Rhythmus der Inkassobesuche nichts. Sie erfolgten „random“, also zufällig, aber wiederkehrend monatlich und stets zuverlässig.

Immer wieder trat Ranseier als kühner „Michel Kohlhaas“ gegen bestehende Gesetze, das deutsche Recht und die Verordnungen im Übrigen auf. Bei der Gesellschaft für mechanische Wiederaufführungsrechte GEMA reichte er die C-DUR-Tonleiter als Komposition seinerseits ein und ließ sie damit ein für allemal urheberrechtlich schützen.  Erst der Versuch, selbiges auch für „die Pause“ anzumelden, scheiterte an den aufmerksamen Sachbearbeitern des deutschen Urheberrechts (Beweis, Link unten)

Am Abend vor dem großen Tage (24 Stunden nach „Ultimo“) warf Ranseier DM-Münzen nach oben (‚die DM noch ehren‘) und entschied nach einem zufällig aufgeschnappten Algorithmus über die Reihenfolge. Ernsthafte, erste gesundheitliche Schäden deuteten sich an, als Ranseier die Sortierfolge „alphabetisch über alles“ abzuarbeiten beabsichtigte und das „zu Fuß“.  Objektnähe, pünktliche, regelmäßig wiederkehrende Besuche und sein „alltäglicher Kampf“ gegen die zunehmende Entpersonalisierung von Mieter-Hausverwalter-Kontakten schufen eine in seinem letzten Lebensjahr geradezu bedrohliche, gesundheitliche Verschlechterung.

Mit der Einführung von grundsätzlich nur noch edv-gestützter Lohnabrechnung befassten sich die Bundesknappschaft, das Finanzamt und der Verband der Sozialversicherungen. Ranseier beschäftigte drei Hauswarte, geringfügig beschäftigt und geringstmöglich entlohnt. Um seine treuhänderischen Arbeitgeberverpflichtungen nicht zu verletzen, weil sein Büro noch nicht über einen Personalcomputer, geschweige denn eine ISDN-Leitung zur elektronischen Übermittlung der Arbeitsnehmer-Meldedaten verfügte, klapperte der zu Tode gekommene, gehetzte Minijob-Hausverwalter die Behörden jeden Monat pünktlich persönlich ab. Es hieß, der Pförtner der Bundesknappschaft sei bereits „per Du“ mit ihm gewesen. Allen Aufforderungen zum Trotz lehnte Ranseier die Anschaffung von persönlichen Computern als „zu unpersönlich“ ab.

Es steckt viel Spaß in Toffifee!

Es steckt viel Spaß in Toffifee!

Die Kriminalpolizei Bergisch Gladbach fand im Büro des Verstorbenen unweit vom Fundort der Leiche einen Abschiedsbrief. Darin heißt es, mit der Umstellung des europäischen Zahlungsverkehrs im Rahmen von SEPA sei er nunmehr zu dem Entschluss gekommen, in einem weiteren Leben wie diesen keinen Sinn mehr zu sehen.

Er hatte inzwischen entdeckt, einem Irrtum seinerseits aufgesessen zu sein. Keines der drei Miethäuser war ihm vom Hauseigentümer zur Betreuung übertragen worden. Die Briefe mit den entsprechenden Absagen aus dem Jahre 2003 hatte ihm seine geringfügig beschäftigte Sekretärin Kriemhild Hübennagel seinerzeit einfach nicht vorgelegt und unbeachtet in der Schublade in jenem Schreibtisch abgelegt, unter dem Ranseiers Leichnam aufgefunden wurde.

Karl Ranseier wird auf dem Zentralfriedhof von Bergisch Gladbach beigesetzt, seine Asche in den Rhein geschüttet. Er hinterlässt sein Büro, einen ungeleert gebliebenen Büromülleimer und zwei Schachteln Toffifee.

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(EP)

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