775/2010: Jahrestag: Der 12. April 2010 als Gedenktag wurde/wird in Berlin unbeachtet begangen

55696 ermordete Berliner Juden

Über die Berliner umgekommenen Juden während der Naziherrschaft (1933-1945) ist offenbar genau Buch geführt worden. Allerdings ist wahrscheinlicher, dass auch noch welche nicht erfasst sind. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein. Am 12. April ist der Holocaustgedenktag der Juden. Diese Feier setzte gestern in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in der Fasanenstr. in Berlin-Wilmersdorf ein und dauert noch fort: Es werden jetzt die Namen der 55.696 erfassten, ermordeten Juden aus dem Buch vorgelesen.

_seitentrenner Flugzeug


Berlin-Wilmersdorf, Jüdische Gemeinde Berlin – 12. April 2010 (via Youtube)

In der Berliner Fasanenstr. war es gestern Nachmittag relativ bescheiden gefüllt. Ein Rabbi sang Lieder, in denen die Worte Ausschwitz, Buchenwald, Treblinka fallen. Es wird der Opfer gedacht, die die Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten „bearbeitet“ hat, gewissenhaft, perfekt und deutsch.

Wer sich vor Augen führt, dass es näherungsweise 55.700 bis unklar mehr Juden waren, die infolge des Nationalsozialismus umgekommen sind, dem wir spätestens jetzt klar, dass die Anzahl der in Berliner bislang verlegten Stolpersteine mit dieser Opferzahl noch nicht korrespondiert.

Dazu heißt es bei Wikipedia (und durch uns überprüft) auszugsweise derzeit:

 „Bis Januar 2010 hat Gunter Demnig über 23.000 Steine in etwa 550 Städten und Gemeinden in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Österreich, Polen, Tschechien, der Ukraine und Ungarn gesetzt. Erste Stolpersteine in Norwegen und Dänemark sind im Jahr 2010 geplant.“ (Wikipedia, Stichwort Stolpersteine hier, telefonisch noch erfragt bei der Projektkoordinatorin Uta Franke)

2.704 (Stand März 2010) Stolpersteine sind lt. Auskunft von Carola Weinholz von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin verlegt. Es wird deutlich: da fehlen noch rund 53.000 Stolpersteine (Zahl gerundet) allein für die Berliner Juden, und ganz zu schweigen von der weitaus größeren Anzahl weiterer Opfer aus allen gesellschaftlichen Schichten der Zeit von 1933 bis 1945. Dass diese Zahl mindestens sechsstellig ist, aber nicht genau nachrechenbar, stört vielleicht die Buchhalter, lässt aber die Vermutung zu, dass wir noch lange nicht alles getan haben, um derer zu erinnern, deren Gedenken wir in einem guten Sinne im Schilde führen sollten.

Klar ist: es gibt nur noch sehr wenige Überlebende des Holocaust und die es noch gibt, werden bald eines natürlichen Todes sterben. Sich der Gestorbenen bis 1945 zu erinnern, heißt, die Geschichte wachzuhalten. Und dazu besteht auch hinreichender Anlass. Nur weil die Jahre ins Land gegangen sind, wird die Erinnerung daran nicht unwichtiger. Das öffentlich rechtliche Fernsehen strahlte Anfang dieser Woche eine lange Dokumentation über den Genozid an den Armeniern (1916) aus, die in der Türkei auf einen langen Todesmarsch geschickt wurden. Über die Ära Stalin in der nachrevolutionären UdSSR ist inzwischen viel bekannt. Das letzte Jahrhundert war noch bis zur Jahrtausendwende eines der Massenmörder, überall auf der Welt, u.a. in Ruanda.

Wer angesichts dessen sagt, das sei Vergangenheit und die müsse man ruhen lassen, irrt. Wir könnten noch viel mehr tun, wenn es uns nur bewusst wäre…

Weblotse