724/2010: Der Aspekt Ordnungshaft: Von Zwangsgeld, Ordnungshaft und Rankünen vor Gericht

Aspekt Ordnungshaft

 Hab‘ immer mich zur Wehr gesetzt.
Von außen wurd‘ ich hart wie Stein
und doch hat man mich oft verletzt.
Irgendwo tief in mir bin ich ein Kind geblieben.
Erst dann wenn ich’s nicht mehr spüren kann
weiß ich es ist für mich zu spät – zu spät zu spät.“

(Peter Maffay, Ich wollte nie erwachsen sein) 

Beschluss Amtsgericht - Zwangsvollstreckung - Ausfrierung

Beschluss Amtsgericht - Zwangsvollstreckung - Ausfrierung

Oder die folgende Frage: Was kostet einen Schuldner, eine Ordnungsstrafe abzubrummen, weil er sie nicht bezahlen will kann? Antwort: 100,- € pro Tag, hier 3.000,- €, ergo 30 Tage Haftaufenthalt. Haftgrund: Wohnungseigentümer sein. Hintergrund: Der Widerspenstigen Zähmung (Shakespeare, hier aus anderem Grund). Man merkt schon: Der heutige Beitrag ist wieder ein kulturbeflissener, es geht um „die Szene Berlin“. Die Wohnungseigentümerszene.

Langsam, langsam mahlen die Mühlen und es quietscht, knattert und gurgelt im Gebälk der öffentlichen Verwaltung, Abteilung Gerichte. So gehen die Jahre dahin. Frühling um Frühling, Sommer um Sommer, Herbst für Herbst und, was noch wesentlicher ist, Winter um Winter. Ausfrierung. Von wegen frieren: Der Winter ist schon wieder fast vorbei!

_seitentrenner Flugzeug


Peter Maffay – Ich wollte nie erwachsen sein! Live (via youtube)

Der Romanautor Michael Ende hat sie geschrieben: Die Unendliche Geschichte. Und so ähnlich lautet ein neues Buch, dass dieser Tage in Berlin neu geschrieben wird. Es geht ums Frieren, um Bibelforschung, fröhliche Musik in und ums Haus herum, nicht das eigene, und um Ruhe und Besinnung, ja sogar um Haft, um sich nicht zu verbeugen. Die Zeit der Höflichkeitsknickse ist längst abgelaufen. Der Schuldner hat die Frage gestellt: Wie tief verbeugt man sich vor einem König, wenn dieser zu fallen droht? Und müssen Frauen da nicht besonders aufpassen? (Frage hier) – Nein, König Kallewirsch aus Kreuzberg fällt selbst tief. König Kallewirsch lebt hier und jetzt und nicht im Altertum.

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graugewordener Bart

graugewordener Bart

Der Vollstreckungsschuldner ist ein Wohnungseigentümer. Als die Sache anfing, hatte er braunes Haar und einen normalen Dreitagebart. Der Bart und auch der Mensch kommen in die Jahre. Woran es genau liegt, dass die Haare sich im Alter grau färben, wird vermutet, genau weiß das noch keiner. Man sagt gemeinhin, dass auf der Kopfhaut dann vermehrt Wasserstoffperoxid produziert wird. Wodurch ist sichergestellt, dass dieses lediglich nur nach oben hin austritt und nicht auch direkt unter die Schädeldecke? Mit am Ende weitreichenden Folgen, beispielsweise für die Vernunft. Ist’s am Ende auch der Ärger über das eigene Schicksal oder der Ärger über die Verwaltung der Wohnungseigentümer, die einfach immer nur „Stress“ bereitet? Ja, er ist schon etwas ziemlich grau geworden, der Schuldner, in all den Jahren. Die Haare werden schütter mit den Jahren und die, die bleiben, werden grau. Mausgrau.

Mit der bräunlichen Haarfärbung scheint dem Schuldner auch jeder Ansatz von Redlichkeit abhanden gekommen zu sein. So vermuten es zumindest die Anderen. Er macht jetzt eine Art persönlicher Katastrophe durch. Er ist in einem Faraday Käfig gefangen, der eine Außenhülle um ihn herum bildet. Alle Gewitterblitze guter Erkenntnisse leiten sich ab und fahren zur Hölle. Er gilt als beratungsresistent, eigenbrötlerisch und „nicht mehr therapierbar“. Das sagen zumindest die Anderen, der Rest, die Wohnungseigentümergemeinschaft im Übrigen.

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Inzwischen sieht er einem ehemaligen Gefangenen nicht unähnlich und sein Versteckspiel ist vergleichbar. Allerdings haust er nicht in einem Erdloch und das amerikanische Militär hat sich noch nicht einmal auf die Suche nach ihm gemacht. Die deutsche „Gewalt  der Rechtsprechung“ (das Wort Gewalt!), die Jurisdiktion, bzw. die Judikative, und bitte wo ist zwischen beiden ein Unterschied? Der Apparat, die Zwangsvollstreckung, so geduldig, wie sie auch sein mag: sie alle bilden kein nennenswertes Gegengewicht zu ihm. Er denkt, er hat das gut im Griff. Er beherrscht die Klaviatur, denkt er, wie man den Apparat sinnlos weiter beschäftigt. Mit immer neuen, wenn auch dämlichen Anträgen. Allerdings: Die Lebensuhr schreitet unaufhörlich voran und lohnt diese pure Zeitverschwendung? Noch?

Private Vollstreckung „aus Rache“ ist in Deutschland verboten. Dies gilt vor allem für seine Opfer, die Wohnungseigentümer. Die droht ihm nicht. Dazu ist das Haus, in dem er vormals lebte, arbeitete und ganz zu Anfang auch mal regelmäßig Wohngeld bezahlte, zu friedfertig. Die Bewohner sind gutmütig, man sagt „grundgütig“. Niemand schreit „Zeter und Mordio„, wünscht die inzwischen aufgelaufenen Forderungen zu vollstrecken, notfalls mit Hilfe äußerst breitschultriger Herren. So Herren, die dem sagen, dass das jetzt ihr ganz persönliches Anliegen ist und dass sie sich nichts mehr wünschten, als seine Zahlung und nur die allein könne sie befriedigen. Jeder diesbezügliche Wunsch wurde den Menschen sofort ausgeredet. Was die Ärzte in ihrem Song (Video unten) singen, ist zwar als menschlicher Urinstinkt verständlich, darf aber nicht Schule machen. Und da ist das Liedchen der „besten Band der Welt“ auch eher eine Art pubertierender Texttransporter für Urängste und Rachegelüste von Jugendlichen, die glauben regeln zu können, dass sie endlich in Ruhe gelassen werden. In der christlichen Tradition des Abendlandes, und in Berlin-Kreuzberg, fahren die Bewohner eines Mehrfamilienhauses eine gänzlich andere Schiene. Bisher. Die Zauberformel heißt Mediation, auch wenn es unter Umständen mal weh tut.


Die Ärzte – Immer mitten in die Fresse rein (via Youtube)

Sie haben einfach Zeit. So wie der Zwangsvollstreckungsschuldner, der seit nachweislich mehr als 13 Jahren seine monatlichen Beiträge zu „echter Gemeinschaft“ einfach schuldig bleibt, nicht bezahlt, und stattdessen nicht einfach „die Fresse hält“, wie man meinen würde. Der Zwangsvollstreckungsschuldner hat einen großen „vaterländischen Krieg“ angezettelt gegen die übrigen Wohnungseigentümer, die Verwalterin, die Justiz und gegen jeden, der nicht so denkt wie er.

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Doch jetzt droht Haft, schon wieder! Unter fest voraussehbaren Bedingungen. Erstens: du musst zahlen, 3.000,- €. Zahlst du nicht, gehst du in den Knast, Bruder! So in etwa, also mit unfreundlichem Unterton, sagt es die Justiz, wenn auch durch die Blume der sachlichen Belletristik, wie man dem gerichtlichen Beschluss entnehmen kann. Brüder kann man sich nicht aussuchen. Die Deutlichkeit allerdings lässt kaum zu wünschen übrig. Allerdings: Haft unter menschlichen Bedingungen: Zentralbeheizt, bei regelmäßigem, kostenlosen, warmen Mittagessen. Und die Wohnungstür bleibt derweil zu. Wo kein Schuldner sein kann, und er in diesem Fall „entschuldigt fehlt“ (Urlaub in Plötzensee), da darf der Gläubiger nicht vollstrecken. 3.000,- € oder 30 Tage Haft: Was besser ist von beidem, ist unerfindlich und hängt möglicherweise von persönlichen Empfindungen ab. Es ist, wie es ist, und der liebe Gott allein weiß, dass es Dinge gibt, die wir nicht ändern können. Wir warten mal ab.

Dass er einem international zunächst gesuchten und dann inhaftierten Flüchtling so ähnlich sieht, ist ein harmloses Gedankenspiel. Das Spielen mit solchen Gedanken bringt einen allerdings nicht weiter. Zu wünschen bleibt indes nur, dass nicht dasselbe Schicksal widerfährt. Auch für sowas muss der Verwalterberuf zuweilen herhalten: für Beruhigung, Befriedung und Schlichtung. Damit nicht ganz schlichte Gemüter auf irreversible Ideen kommen!

Eins blieb aber unbeantwortet, obwohl es bereits in der Überschrift steht: Was ist eine Ranküne?

Weblotse

2 Gedanken zu „724/2010: Der Aspekt Ordnungshaft: Von Zwangsgeld, Ordnungshaft und Rankünen vor Gericht

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