665/2010: Berolinismus: Berliner Mundart at it’s best – Der Müllkutscher

Berolinismus - Banner (Definition)

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Jede Zelle meines Körpers ist glücklich – via youtube

Morgens bevor ich auf die Straße muss, singe ich immer dieses Lied „Jede Zelle meines Körpers ist glücklich. Doch dann muss ich auf die Straße. Dort spielen sich derzeit Szenen ab, über die man etwas niederschreiben kann. Szenen wie diese.

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Es ist kalt auf den Straßen von Berlin. Noch liegt der Schnee, den der Wetterfrosch in den nächsten Tagen zur Schmelze bringen will, jedenfalls unkt er das. Auch in Berlin-Zehlendorf sind die Parkplätze rar geworden. Denn in Nebenstraßen fegt die Berliner Stadtreinigung den Schnee nicht weg. Sie sind diesen Winter geschätzt zweimal da gewesen. Überall und mitten auf der Straße große Schneehaufen. Einige Zehlendorfer haben ihr Auto, seitdem Schnee liegt, nicht mehr bewegt. Inzwischen rufen ältere Nachbarn an und beschweren sich, es sei eine Rücksichtslosigkeit, im öffentlichen Straßenland vor ihrem Haus zu parken. Wie bitte? Ja, wo denn dann?

Heute Morgen ist die „Mülle“ (Berolinismus für Berliner Stadtreinigung, Müllabfuhr) in der Straße. In der Straße ist nur eine mittig angelegte Spurschneise frei, das sind Spurrillen, die haben sich die Durchquerer in den letzten Wochen hart erkämpft. Sie haben gebremst, geruckelt, sind schnell und langsam gefahren, haben die Reifen durchdrehen lassen, damit überhaupt was passiert. Die Spurrillen sind die übliche Fahrtbreite eines Personenkraftwagens. Zwischen den beiden Spurrillen ist der Schnee als Eiskruste so hoch, dass der Unterboden Blessuren bekommt.

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Die Berliner Orangen! BSR

Die Berliner Orangen! BSR

Es ist kurz vor acht Uhr, die Kinder müssen zur Schule. Wo gerade noch ein Parkplatz ist, kratzt ein Vater von zwei Töchtern, die zur Schule müssen, die Scheiben frei. Sie sind vollkommen zugefroren. Es eilt, es ist schon 7:51 Uhr . Der „Müllkutscher“ hält sein orange gewordenen Traum von Müll-Lastkraftwagen exakt auf  gleicher Höhe beim Scheiben freikratzenden Vater, der sein dort geparktes Auto vor der Inbetriebnahme zunächst freikratzen will. In einer Minute straßenseitig ins Auto zu steigen, dürfte ihm daher nicht ganz leicht fallen. Allerdings genießt Herr Familienvater offenbar das Wohlwollen des Müllkutschersfahrers. Dem Wohlwollen der Müllmänner ausgeliefert zu sein, ist eine in Berlin gebräuchliche Geisteshaltung. Der schaut ihm offensiv und ermunternd ins Gesicht, nach dem Motto: „Mach, du schaffst das!“ Dazu hat er das Fenster runtergefahren. Es ist eine Art frühmorgendlicher Kuschelkurs mit „die Mülle“.

Berolinisch ist auch das Sozialverhalten der Müllmänner kurz vor Weihnachten, vor zwei Jahren gewesen. Sie steckten Weihnachtskarten an die Mülltonnen und wünschten frohes Fest. Diese indirekte, liebevolle Art zu sagen, jetzt wäre mal eine Weihnachtsgratifikation fällig, ist bekannt. Unbekannt war den Müllmännern bis dahin allerdings die Antwort, die man ebenfalls als Berolinismus auffassen kann: eine weitere Weihnachtskarte, diesmal ausgestellt von den Hausbewohnern, steckte zwei Tage später an denselben Mülltonnen. Die Bewohner sagen danke und wünschen ebenfalls frohes Fest. Damit hatten sie nicht gerechnet.

Weihnachten ist vorbei. Von hinten nähert sich eine Mutter mit rotem Auto an. Jetzt, wo „Mülle“ und Familienvater auf selber Höhe stehen, ist partout kein Durchkommen mehr. Die Straße ist komplett blockiert. Die Kindesmutter steht selbst unter Zeitdruck, aber nun ist sie festgefahren in dieser Situation. Sie will das Kind pünktlich an der Schule abliefern. Dazu müsste sie jetzt vermutlich zurücksetzen, wenden und anders lang fahren. Wo die „Mülle“ steht, ist jetzt partout kein Durchkommen. Sie hupt einfach mal so kurz und prägnant. Der Kindesvater schaut sie entgeistert an. Sein Auto ist noch lange nicht startbereit, die Scheiben sind komplett vereist. „Hier bin ich, nun lasst mich durch“, soll das Hupen wohl ausdrücken. Unmöglich allerdings, das Auto schon jetzt aus der Parksituation wegzufahren. Aber der Müllkutscherfahrer, der sagt etwas, das wahrscheinlich nur in Berlin gesagt wird und das deshalb als Berolinismus hier jetzt nachzulesen ist. Es sagt kurz und prägnant nur ein einziges Wort: Jeht!

Die Hupe funktioniert. Trocken. Zwei Minuten später löst sich die Totalblockade auf. Mit gutem Willen jeht vieles. Gibt es eigentlich, wie in anderen Unternehmen, bei der Berliner Stadtreinigung auch ein ‚Handbuch für Müllkutscher‘, beinhaltend einen Ehren- bzw. Verhaltenskodex bei der Jobausübung? Die unten zu sehenden singenden sechs Müllmänner sind ganz offensichtlich nicht Berliner, kommen allerdings ebenfalls aus einer Gegend, in der Mundart eine große Bedeutung hat: sie singen und sprechen Kölsch. In all den möglichen Nuancen. Verhaltenskodex für Müllmänner: Habe noch nichts derartiges gehört.


Wir sind die 6 von der Müllabfuhr – Die Sendung mit der Maus (via Youtube)

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