Ein Spaziergang in Berlin-Mitte war wirklich gut bewacht gestern abend..600 Polizisten räumen aus!

Polizeiticker auf gesichtspunkte.de
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Zitat Das bunte Kreuzberg steht der Stadt gut zu Gesicht. … Meine eigene Familiengeschichte hat viel mit Berlin zu tun; es war die Heimat meiner Großeltern. Mein Großvater arbeitete hier am Gericht, meine Oma wohnte bis zu ihrem Tod am Schlachtensee. Fast alle meine Geschwister studierten in Berlin.“ Campino, Sänger der Toten Hosen, im Interview mit der Berliner Morgenpost, das ganze Interview hier)

Wer gestern am frühen Abend die Zeit sinnlos in Berlin-Mitte verplemperte, fühlte sich zwangsläufig ganz, ganz sicher. Erst heute war aus einigen gutinformierten Medien zu erfahren, was der offenbar geheim gehaltene Grund für einen Großeinsatz von 600 Polizisten in Berlin-Mitte war. Eines der letzten besetzten Häuser (ja, damals war’s) wurde zwangsgeräumt. Das Haus steht in der Brunnenstr. 183 in Berlin-Mitte.

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Hausbesetzerlogik - Stilblüte

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Aktuell etwas lax gepflegt wirkt für uns heute die Seite des Umsonstladens, der in dem Haus beheimatet ist, nein, war muss man ja jetzt sagen. Dass am 18. Juni (2009?) die Räumung drohe, ist inzwischen Geschichte und hat sich im Nachhinein nicht bestätigt. Aktuellere Informationen versprach man vor dem letzten Pflegegang in der Website auf dem Blog des Hauses Brunnenstr. 183. Aber auch hier weit gefehlt, letzter derzeitiger Eintrag (Stand heute) vom 03. Juli 2009. Allerdings gab man sich damals noch recht kämpferisch. Unter selben Datum hieß es dort:

Zitat Der Kiez um den Rosenthaler Platz ist immer mehr zum Vergnügungspark für Yuppies geworden, und diejenigen die nicht mithalten wollten oder konnten beim stylischen Getue der ewig Jungen und Schönen mussten schon lange größtenteils aus der Gegend weichen. Nun sollen auch wir den Weg frei machen für einen gewinnorientierten Investor.“ (Zitat von der Website)

Die Yuppies (young urban professionals) sind derzeit nur unzureichend bei der deutschen Wikipedia beschrieben. Wikipedia hat den Eintrag bereits in die Rubrik Qualitätssicherung eingetragen, da er mangels guter Qualität unter dem dringenden Erfordernis einer notwendigen Überarbeitung zu tragen habe. Dort heißt es:

Zitat Dieser Artikel wurde auf der Qualitätssicherungsseite des Portals Soziologie eingetragen. Dies geschieht, um die Qualität der Artikel aus dem Themengebiet Soziologie auf ein akzeptables Niveau zu bringen. Hilf mit, die inhaltlichen Mängel dieses Artikels zu beseitigen, und beteilige dich an der Diskussion.“ (Quelle: wikipedia – 25.11.09)

Inzwischen ist bekannt, dass bei Wikipedia ein Qualitätssicherungskrieg tobt, in dem Wikipedianer höheren Rangs solchen niedrigeren Rangs die Artikel kategorisch zusammenstreichen, mit Hinweis auf vermeintliche Qualitätsmängel. Dies alles lässt aber nicht darauf schließen, dass hiervon auch der allgemeine Sprachgebrauch der ehemaligen Besetzer des Hauses Brunnenstr. 183 betroffen ist, die -ganz verallgemeinernd- den Vergnügungspark für Yuppies im Kiez um den Rosenthaler Platz ausgemacht haben. Wenn auch die Systemkritik, die hier aus einer schwächeren, gesellschaftlichen Position heraus verständlich vorgebracht wird, nur für den Kiez um den Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte gelten soll, so lässt sich aber längst mit Fug und Recht berechtigte Sorge äußern. Immer mehr stellt sich die Frage, wohin denn nun mit den Yuppies. Überall werden sie gesellschaftlich geächtet, ausgegrenzt, gebrandmarkt und ihre (eventuellen) Wagen werden angezündet. Die Frage ist, ob man mit gesellschaftlicher Ausgrenzung und sprachlicher Abgrenzung wie dieser neue gesamtgesellschaftliche Freiheit, Toleranz und ein aufeinander Zugehen bewerkstelligt? Der Begriff Yuppie scheint uns tatsächlich eher in die Jahre gekommen, er ist sprachlich abgenutzt, abgedroschen und inzwischen darf man ihn auch anders auslegen.  Wir hatten dies bspw. in der Berichterstattung hier schon gesehen.

Im Übrigen kommt es einem wie eine arrogante Geste vor, wenn bestimmte Gruppen auch noch altersbedingt ausgegrenzt werden. Die Frage darf doch wohl erlaubt sein, ob ein Yuppie daher nur ein solcher Mensch ist, der bis zu dreißig Jahre alt ist, während das Gegenteil ja wohl keineswegs der Gruftie (ab 70?) sein dürfte? Was passiert mit der ‚middle aged‘ Menschengruppe zwischen -sagen wir- 35 und 50 Lebensjahren, die sich junggeblieben fühlt, schon immer als Yuppie fühlte und schließlich von derartigen pauschalen Grenzzuweisungen gar nicht mehr ergriffen werden. Fallen sie durch das soziale Raster derer, die sie in bestimmten Kiezen immer wieder als Gruppe von Vertreibungswürdigen ausmachen? In fast jedem derartigen Kiez finden sich neben harsch ins Gericht gehenden, moralinsauer urteilenden Hausbesetzern auch minderwertigere Yuppies oder Oldies (ist das der richtige Begriff?), die (Zitat oben) mitmachen beim ’stylischen Getue der ewig Jungen und Schönen‘.

Am Tage der Zwangsräumung waren die Hausbesetzer alle dort nicht anwesend. Angetroffen wurden rund 23 Personen, die -wie die Morgenpost merkwürdig berichtet- allesamt unberechtigt dort aufhältig waren, und nicht die ‚erwarteten Hausbesetzer‘. Diese Berichterstattung allerdings nimmt Wunder angesichts ihrer Unterteilung in sich dort berechtigt aufhaltende Hausbesetzer, was widersinnig ist, wenn Zwangsräumung ansteht, und unberechtigte Dritte aus dem Osteuroparaum, die nicht einmal Untermietverträge vorweisen können.

Heute, am 25.11.2009, wird der Sänger der Toten Hosen die neue Doppel-CD und DVD der Band ‚Machmallauter: Die Toten Hosen live – Die volle Dröhnung‘ der Presse vorstellen. Im Gespräch mit der Berliner Morgenpost gibt Sänger Campino eine gewisse Berlin-Affinität zum Besten. Und da sich Campino als gelegentlicher Berlin-Besucher mit weit zurückreichenden, familiären Wurzeln in der Stadt, nun andernorts in Kreuzberg für den Erhalt des SO36 einsetzt, haben wir es zwar einerseits mit derselben Kultur wie in Berlin-Mitte zu tun, aber auch mit vollkommen anderen, gewachsenen Strukturen. Der Berliner Westen (bis 1989) hatte eine eigene, ganz anders gestrickte Hausbesetzerszene, als nun die im Berliner Osten  noch vorhandene. Viele der alten, einstmaligen Hausbesetzer sind inzwischen in bürgerlichere Dimensionen abgedriftet. Nicht wenige Hausbesetzer haben mit sehr guten Ergebnissen und einer ‚Politik der ruhigen Hand‘ (Zitat anderswo, hier zweckentfremdet) inzwischen legalistische Nutzungsverträge abgeschlossen, es wurden Bruchteilseigentumsgemeinschaften gegründet und hier und da auch Wohnungseigentümergemeinschaften. Standen damals Häuser leer oder verreckte inzwischen der sich finanziell übernommene Hauseigentümer im Rahmen von Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, dann griffen beherzte Bewohner schon mal zu, handelten kluge, bezahlbare Nutzungsverträge aus und strickten zukunftsfähige Eigentumsformen, in denen sie Illegales in Legales überführten mit Zukunftsperspektive, Herz und Hirn.

Zukunftsperspektive, Herz und Hirn? Es gehört zu den unbequemen Wahrheiten, dass nicht alle besetzten Häuser derartiges in ihrem gemeinsamen Bewohnerportfolio vorweisen konnten. Manche wurden tatsächlich geräumt.

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Weiterführende Links

Berliner Morgenpost, Onlineausgabe 24.11.09 (Interview mit Campino)

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Soll ganz gut abgelaufen sein: Die Legalisierung des einstmals besetzten Hauses Lottumstr. 26, Berlin-Mitte, Trägerverein Trautes Heim e.V.

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Ein Gedanke zu „Ein Spaziergang in Berlin-Mitte war wirklich gut bewacht gestern abend..600 Polizisten räumen aus!

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