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3169/16: Positionen: Zum Schreibschutz von digitalen Geschäftsprozessen in der Energieversorgung Deutschlands

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Die Stimmung in Berlin-Pankow ist wechselhaft.

Einen anderen Gasversorger finden. Die Firma Lekker Gas hat nun Jahre lang das Gas geliefert. Wie das so ist in bestehenden Geschäftsverbindungen: Was lange währt, kann im Vergleich zu hochpreisig werden. Warum? Das ist eigentlich nicht klar. Man kann Kunden auch über einen guten Preis bei der Stange halten.

Wechselwillige Kunden wechseln nach einem Preisvergleich und sparen im ersten Jahr teils 30% der Energiekosten ein. Nicht schlecht.

Doch dann kommt das Vertragsprocedere.

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Dieser Vorgang ist vollelektronisch. Abgeschlossen wird der Vertrag komplett digital. Über die akkreditierte Emailadresse wird „unheimlich viel Zeugs“ geschickt, darunter auch Kleingedrucktes und das hat einen handfesten Vorteil für Brillenträger: Man kann das Dokument auf Augenhöhe zoomen und so lange groß machen, bis es sogar der Halbblinde lesen kann. Und es kommen Emails noch und nöcher. Die meisten dieser durchstandardisierten Textmitteilungen sind Bestandteil eines ausgeklügelten Wertekanons: Der Kunde wird in eine Schablone gepresst.

Der Durchschnittskunde hält die Schnauze, erteilt eine Lastschrifteinzugsermächtigung und zahlt beanstandungsfrei seine Deckungsbeiträge.

Der schwierige Kunde meldet sich zu Wort, wenn ihm was übergeholfen wird.

Die Wechselanbieter machen ihr Fernabsatzgeschäft in vorgestanzten Formularen. Schwierig ist es dort schon, die Kundendaten richtig einzugeben: Zum Beispiel WEG Türkistanstraße 1, 12345 Berlin. Diese vertreten durch die Hausverwaltung Büro Gotthal bla bla bla GmbH bla bla bla. Das ist schon zu viel. Vorgegeben wird Vorname und Nachname. Ein Anruf bei der Supporthotline ergibt: Trage in den Vornamen den Namen der WEG ein und im Nachname die Hausverwaltung. Na klar. Das ist ja einfach.

Die Prüfroutinen sind streng. Man darf nicht alles eingeben. Beispielsweise die Hausnummer 1, das ist eine Zahl. Vornamen mit einer Zahl sind nicht einzugeben, da geht da Feld auf Störung. Witzig: Man schreibt „Eins“ und dann geht’s. Und die Anrede muss stimmen, Herr oder Frau.

So werden wir nun also zur sehr geehrten Frau WEG Türkistanstr. Eins ohne „,“ (Komma, unzulässig) Einszweidreivierfünf Berlin. Dann geht das Vornamefeld nicht auf Störung. Allerdings würde auch kein Standesbeamter derartige Name erlauben. Undsoweiter.

Um es nicht zu lang zu machen.

Es gibt jetzt eine Vertragsbestätigung in elektronischer Form. „Wir würden Sie bitten, diese noch einmal zu überprüfen,“ steht da.

Das machen wir. Wir haben den digitalen Vertrag als pdf vor uns auf dem Bildschirm und besitzen Adobe Acrobat-Vollversionen, das bedeutet, dass wir für den elektronischen Geschäftsprozess Berechtigungen haben, Pdf-Dateien zu bearbeiten, sie mit Kommentaren zu versehen, Anmerkungen zu machen, Bilder einzubetten, Häkchen zu setzen, Unterschriften einzubinden, das volle Besteck. Der Energieversorger Energieversorgung Deutschland GmbH hat die Sicherheitseinstellungen seiner Vertragsbestätigung scharf reglementiert. Zulässig ist, lesen wir, zu drucken. Änderungen, Anmerkungen und dergleichen sind nicht gewünscht.

MyComputer (gif)

Also Pamphlet mit acht Seiten ausdrucken, als Papier.

Ab hier beginnt das analoge Zeitalter wieder.

Kugelschreiber, Geodreieck (für Streichungen) und saubere Normschrift. Das ist noch lange vor der Erfindung der Kugelkopfschreibmaschine von IBM, in die sich Formulare einspannen ließen. Nun sind wir allerdings sehr viel gewitzter. Wir scannen, was wir ausgedruckt haben durften, umgehend wieder ein. Das ist eine Kopie dessen, was uns ohnehin digital vorliegt. Natürlich ist nun die gute Qualität etwas hin. Jedes Ausdrucken und nachfolgendes Einscannen gibt Reibungsverluste.

Okay, egal.

In dem jetzt eingescannten Dokument bewegen wir uns barrierefrei. Wir haben es gescannt. Wir dürfen insofern alles mit dem Dokument machen, das wir wollen. Denn wir sind die Herrscher dieses Systems.

Wir machen jetzt erst einmal das, worum man uns gebeten hat. „Wir würden Sie bitten, diese noch einmal zu überprüfen.“ – Das machen wir: Pdf-Dateien zu bearbeiten, sie mit Kommentaren zu versehen, Anmerkungen zu machen, Bilder einzubetten, Häkchen zu setzen, Unterschriften einzubinden, das volle Besteck.

Am Ende sind wir recht zufrieden. Das Originaldokument ist einfach nur einmal ausgedruckt, dann erneut eingescannt worden und es ist fertig.

Eine Einzugsermächtigung haben wir längst erteilt. Das war Bestandteil des Geschäftsprozesses im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Wie durch ein Wunder fanden wir nun heraus, dass um das Einzugsverfahren in Gang zu setzen, doch noch mal ein Sepa-Mandat erteilt werden muss. Hier fällt jetzt der digitale Geschäftsprozess erneut in die Steinzeit zurück. Besonders wichtig und regelrecht komisch ist die profunde Überschrift, die wie folgt lautet:

Achtung! Das SEPA-Einzugsverfahren bieten wir nur unseren Lastschriftkunden an.

Darunter schreiben wir: „Dieser Satz, das ist ein Pleonasmus.“ – Den könnte man doch weglassen, was?

Na ja, beklag dich nicht, Du sparst.

Zum SEPA-Mandat passend erinnern wir uns wieder an die Schulzeit. Ans Brieftauben falten aus einem DIN A 4 Blatt. Die Strichellinien auf dem dreigeteilten DIN A 4-SEPA-Mandat sind erläutert und fachgerecht gefaltet, bildet es einen analogen Brief per Post (bitte nicht vergessen, mit Klebeband die Falze zu verkleben) mit der Originalunterschrift des Kunden. Dass das formgebunden ist und nicht elektronisch geht, denn es ist ja bereits im ersten Einlogprozess (bei Abschluss des Fernvertrages) erfolgt, ist wieder eine Hürde.

Der Vertrag ist jetzt digital (nicht handschriftlich, unleserlich) auf- und durchgearbeitet, fix und fertig auf dem Bildschirm.

An dieser Stelle stellt sich heraus, dass aus einem Prozess zwei werden. Es gibt die

– Behinderung durch den eingebauten Schreibschutz, der nur durch Papierausdruck umgangen werden kann,
– dann wird das Dokument eingescannt, weil ich niemandem meine unleserliche Handschrift zumuten will,
– dann wird der Vertrag digital sauber lesbar durchgearbeitet,
– um ihn erneut wieder in Papierform auszudrucken,
– erforderlich ist nun die Unterschrift an allen richtigen Stellen.
– also wieder alles ausdrucken, hübsch alles korrigiert mit Anmerkungen,
– an den richtigen Stellen im Original unterschreiben,
– alles wieder einscannen zu Beweiszwecken,
– dann überlegen, dass alles wieder per Email als Pdf zurückgeschickt werden könnte,
– mit Ausnahme der SEPA-Bestätigung, die ja per Post erfolgen soll,
– dann erstmal überlegen, ob sie nicht vielleicht doch die eingescannte Fassung akzeptieren?

Und so weiter und so fort.

Es ist relativ kleinlich, hier alles haarklein aufzuschreiben. Es geht um das System. Das System ist edv-mäßig durchoptimiert, aber nur einseitig zum Vorteil des neuen Gasversorgers, und daher insgesamt kundenunfreundlich. Überall werden Hürden und Fallstricke aufgebaut, dann muss der digitale Geschäftsprozess mehrfach durch Analogarbeiten wie im Steinzeitalter unterbrochen werden und immer wieder erneut digitalisiert werden.

Normal ist das nicht. Die Leute, die diese Geschäftsprozesse bilden, müssen mal noch weiter nachdenken.

In diesem Büro hier gibt es inzwischen einen Banner (ein Bild), das man an solche feindlichen Vorgänge dranhängen kann. Es fordert die Empfänger harsch mit deutlichen Worten auf, mit der eigenen IT- und Orga-Abteilung zu sprechen und die Geschäftsprozesse so zu optimieren, dass der Flow nicht nur beim Unternehmen, sondern auch beim Kunden optimal und reibungswiderstandsfrei ist.

Ein Husten.

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