3014/15: Kommentar: Darf oder sollte es ein Vergessen geben? – Von Tagesschau-Kommentatoren, Hugo Egon Balder und Dresden

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„Es gibt keinen Schlussstrich“: Kommentar zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

„Es gibt keinen Schlussstrich in der Geschichte – in keiner. Klar, lieber erinnern wir uns an Karl den Großen, Bismarck oder die Wiedervereinigung – aber Auschwitz ist nun mal passiert. Wieso sollten wir ausgerechnet das Kapitel der Judenverfolgung hinter uns lassen? Dieser Teil unserer Geschichte ist in seiner Abartigkeit so einzigartig, dass er gar nicht vergessen werden kann.“ Von Anja Reschke (NDR)

Ganz ehrlich, Hand aufs Herz: Normalerweise mag ich die Übung der öffentlich Rechtlichen nicht, wenn in der ‪Tagesschau‬ Kommentare im Rotationsprinzip, fair und ausgewogen, für den Senderländerproporz, gesprochen werden dürfen: Dieser Kommentar in der Tagessschau allerdings trifft mich mitten ins Herz und ich begrüße ihn mit Zustimmung. Und deswegen verteile ich ihn noch einmal weiter. Mit Dank dafür.

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Audio: Fremdbeitrag vom WDR3, Udo Eling über „Das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen“ (Quelle: hier)

Ländersenderproporz bzw. andersrum: Ein Schachtelwort. Es bezeichnet die altbackene Tradition der ARD, den angeschlossenen Sendern der Anstalt im Rotationsprinzip vergleichbar lange, also „ausgewogene“ Sendeplätze für den Kommentar einzuräumen. Diese Praxis steht seit langem in der Kritik von Fernsehzuschauern. Viele Kommentare kann man wie Werbung wegschalten oder was zu trinken holen. Anja Reschke allerdings hat einen wohlfeilen Kommentar abgesondert.

Sich bei Hugo Egon Balder zu bedanken, nicht für Tutti Frutti, obwohl das seinerzeit hier und da ganz schön anzusehen war. Erdbeere, Kiwi und Orange sind mir im Gedächtnis hängen geblieben. Einiges andere, was Hugo Egon Balder fernsehtechnisch verzapft hat, ebenfalls. Ferner, dass er Gründungsmitglied der deutschen Krautrockband Birth Control als Schlagzeuger war.

Was Hugo Egon Balder jetzt an- und aus-, ja tiefenmoderiert hat, berührte. Im ZDF moderierte Balder „Mit dem Mut der Verzweiflung“ im ZDF und erzählte die Geschichte seiner Familie. Da war weniges, nichts gut. Aber dass er es tat, wie er es tat: Das war wirklich gut so.

Dafür ein Chapeau, der fast höchste Award dieser Website, der nur selten vergeben wird. Sein Laudator, Charlie Chaplin, ist wie wir wissen, stets ein schwieriger Ehemann und Familienvater gewesen, aber immer ein Mensch mit dem Herzen auf dem rechten Fleck.

Wenn wir in diesen Tagen mehrmals Chapeau rufen (zuletzt für Herbert Grönemeyer, der in Dresden weise Worte sagte), so liegt diese Anhäufung von Glückwünschen auch daran, dass die Zeit ins Kraut schießt. Es ist jetzt siebzig Jahre her, dass die Russen Auschwitz befreiten im Januar. In diesen Monaten des Jahres 1945 wurden mehrere solcher Verbrecherlager befreit von unterschiedlichen Alliierten. Es ist soviel Zeit ins Kraut geschossen, dass nachwachsende Generationen und viele früher Jugendliche, inzwischen erwachsene, so sehr danach trachten, endlich vergessen zu dürfen.

Diese Frage ist von zentraler Bedeutung für Deutschland.

Die Gnade und die Ungnade zur späten Geburt.

Die Gnade und die Ungnade zur späten Geburt.

Für das Vergessen von zwölf Jahren Terror, Unrecht und Menschenverachtung in einer um ein vielfaches größeren Zeitgeschichte der Deutschen insgesamt ist dabei kein Raum. Ohne sich in Grund und Boden zu schämen fürs deutsch sein, kann und darf, ja sollte man sich für Hitler-, Himmler-, Eichmann-Deutschland (das dunkle der Spießer und von Gott verlassenen) in Grund und Boden schämen, indem man sicher weiß: Wir waren als Deutsche nie davor und nie danach so schlecht. Aber das waren wir. Kein Zweifel.

Nicht persönlich wir alle, wenn wir persönlich darin nicht involviert waren, aus welchen Gründen auch immer. Wir als Kulturnation  Deutschland  schon, in unserer Geschichte. Ähnlich dürfen Russen und Georgier über Stalin denken, ohne dass es eine nationale Schande wäre und so können die Chinesen noch heute an die große Kulturrevolution von Mao Tse Tung in Andacht verfallen: Dass sich derartiges niemals mehr wiederholen dürfe und welche klaren Ursachen es hat, dürfte sich -wenn wir so weiter machen- auch sogar schon bald bis Dresden herumsprechen. Ja, gut, dass wir mal drüber reden. Denn gerade wenn wir so „gutdeutsch“ sind, müssen wir nicht gegen andere zu Felde ziehen: Wir sind einfach viel zu klug dafür. Außer die da…von der ….

Genau das macht uns Mut, diese Dreifaltigkeit der Hölle niemals wieder zuzulassen.

Dresden hat im Zweiten Weltkrieg so gelitten. Sobald die Demonstranten gegen was weiß ich in Europa sinnvoll im gesamtdeutschen Zusammenhang denken lernen, werden sie verstehen, dass das, was sie verlangen in der Zeitgeschichte erprobt ist: Dresden wurde fast vollständig vernichtet. Es tut einem in der Seele leid, dass wir nun schon bundesweit über „die Dresdner“ so reden, als wären ein paar Klopse mit braunverschimmelten Kapern schon ein fertiges Gericht.  Bitte differenziert.

Chapeau! Demnächst!

Chapeau! Demnächst!

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