1990/14: Positionen: Im Büroalltag sind Textbausteine nicht immer ein probates Mittel zur Aufgabenerledigung. Manche sind Sprachmüll.

Positionen

Green.Man.Walking

Kürzestmöglich heißt es, wir kennen die Redewendung:

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.

In der Praxis bereitet dem „Textscanner in uns allen“ das vorgebrachte Fragment des Briefeschreibers Mühe. Wir müssen lesen. Wir sind „Absatzreiniger“, Textbereiniger, irgendwie. Nicht Tatortreiniger: Als der Text verfasst wurde, hat man uns nicht gefragt.

Man war nicht höflich, hat nicht zurückgefragt, ob auch verständlich ist, was aufgeschrieben da steht. Jemand schreibt etwas mit (zu vielen, unpräzisen) Worten. Also müssen wir den Kern dessen freilegen, ihn vom überflüssig Gesagten befreien. Die Botschaft des Absenders muss uns erreichen. Er hatte vielleicht einen schlechten Tag. Jeder hat mal…. – Wir verfügen über eine gute, aber zuweilen getrübte Auffassungsgabe.

Emailregeln_02.2012

Jeder hat mal so „seine Tage“, eine schlechte, diffuse Gemütslage. Man ist genervt. Der Alltag frisst einen auf, dafür gibt es sie: Die Textbausteine. Jeder benützt sie gern und legt sie sich individuell oder unternehmensweit an, um damit der Routine des Schaffensprozesses zu entkommen. Wer zwei mal mit demselben pent (von „to use a pencil“, „to pen“, schreibt..) gehört schon zum Establishment.

Der Textbaustein muss die Gesichtspunkte umfassend umreißen und gleichzeitig verunschärfen. Er muss in der Absicht daher kommen, bereits mit seiner erstmaligen Verwendung den Sachverhalt so endgültig totzuschlagen, dass künftige Nachfragen von vornherein ausgeschlossen sind. In der Kirche ist das die Stelle der Predigt. Tief beeindruckt und irgendwie ergriffen gehen wir aus der Kirche weg, gestärkt für unseren labilen Alltag. So ist die Absicht des Textbausteins, der richtig formuliert ist.

Du schicken Elektric! Ein Stück Herd ist krach. #Mängelmeldungen (Handgeschriebener Zettel eines vietnamesischen Mieters im sozialen Wohnungsbau, ca. 1987, ich habe den Zettel inzwischen verlegt, aber fest in meinem Gehirn abgespeichert.)

Wir kennen dies auch aus der Finanzverwaltung, wobei dort die Verwender dieser Fragmente von ganz anderen Motiven geleitet sind: Sie sind verfasste allgemein gültige und textsichere Leertexte als Phrasen, damit der Bürger sie am Ende gar nicht mehr versteht. Denn nur wenn der Bürger weiß, dass die „da oben“ sowieso machen, was sie wollen, wird er kürzer kurz oder lang aufgeben, Rechtsbehelfe gegen Steuerungsgerechtigkeiten wie diese nutzlos ins Feld zu führen.

Inder Tat

Halten wir fest. Das Leben ist insgesamt nicht einfacher geworden und genau, weil es so hundsartig komplex geworden ist, schuf man Textbausteine. Sie müssen jetzt anstatt nachzudenken und zu verstehen, einem Regelalltag die notwendige Standfestigkeit verleihen. Der auch unzutreffend angewendete Textbaustein löst eine Unschuldsvermutung beim Empfänger aus und Mitleid: Der Absender könne ja nichts dafür, dass er den Brief nicht verstanden hat. Bearbeitungsfehler passieren schließlich jedem mal, aber gekümmert hat er sich… – Mitleid: Die arme Sau, der hat wirklich gar nichts verstanden. Mühe allein genügt eben nicht.

Dabei gibt sich kaum einer genügend Mühe. Das ist das Irreführende daran. Textbausteine verwendet man, um weniger Mühe zu haben, sich gleichzeitig aber den „Anschein des Bemühten“ zu geben.

Die vorgebrachte Bitte des Petenten auf eine allgemein funktionierende Art und Weise inhaltlich komplett zu erschlagen, ohne etwas zu sagen: Das ist vermutlich die Kunst des Bausteineverfassens. Das kann verunglücken.

Dieser Fall ist hier gemeint.

Ganz übel stößt uns die zunehmende Verwendung von standardisierenden Texten auf, die sprachlich „auf alles“ zutreffen – ohne nachzudenken, nachdenken zu wollen.

Kommt aus einer sorgfältig aufgestellten, präzisen Notiz neben zu viel an Präzision und Text auch noch Umfang heraus, dann macht das Gehirn „uhhh“ und „och“ und bietet uns an, anstatt richtig lediglich nur kursorisch zu lesen, also überblicksmäßig. Die einzelnen Sätze verlieren an Bedeutung, verschwimmen. Das Gehirn sagt in unserem Beispiel: „Diese Email von dem Hausverwalter sagt was von „Umverlegung Müllplatz“, „anderer Hauszugang“ und „Schlüsseln“. Da nehme ich den Textbaustein Nr. R2 D2 (interne Vordruckbezeichnung). Der sagt Leuten mit „Schlüsselproblemen“ in grundsätzlicher Art und Weise immer alles richtig, ohne die Hälfte zu vergessen. #Vereinfachungsstrategien

Ein solcher Fall ist hier beispielhaft dargelegt.

Wir hatten uns vorher mehrere Arbeitstage Mühe gemacht und die Verlegung eines Müllplatzes von A nach B in einer Notiz zusammengestellt. Diese haben wir mehrfach überarbeitet und erst als alles klar war wie „dicke Tinte und Plumpudding“ (Redewendung meines Englischlehrers in der Schulzeit), haben wir die Endfassung abgesendet. Sie ist von erschreckender Präzision. Es stimmt einfach alles genau so, wie wir es schrieben.

(kostenloser) Servicehinweise

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Umso überraschter erreichte uns ein Textbaustein (siehe oben) von  „Tante Müll“ aus dem Entsorgungssubstem. Sie schrieb:

(Zitat)
vielen Dank für Ihre E-Mail.

Wir entsorgen im Objekt Hastenichtgesehen-Straße 28, 13599 Berlin die Wertstoffbehälter. Wir haben Ihre Information an die entsprechende Tour weitergeleitet.

Ist der Müllraum verschlossen, benötigen wir einen Schlüssel. Zum Schlüsseltresor haben wir keinen Zugriff. Diesen bitte senden an XY Berlin GmbH, z. H. Frau Dill, 12123 Berlin, Ananas-Damm 340. Eine weitere Möglichkeit wäre die Bereitstellung ab 06:00 Uhr am Entsorgungstag, dieser ist freitags, ungerade Woche. Für weitere Rückfragen stehen wir Ihnen gern zur Beantwortung zur Verfügung.

(Ende Zitat) – Hinweis Straßenangaben verändert

Strategien: Konrad Adenauer beim Boccia

Strategien: Konrad Adenauer beim Boccia

 

Ich ärgerte mich entschlossen, kurz, und

An den Absender einer Email aus der Müllentsorgungsbranche:

Sofortige Beanstandung meinerseits:

(Zitat)

Wenn im Text einer Nachricht an Sie eine klare Message über die Klärung des
bereits ausgegebenen Schlüssels steht, verwende man Texte, die man für
jeden Standardfall vorsorglich bereithält, nicht.

Man verzichte dann darauf, weil ein solcher Text (wie der hier) impliziert,
wir hätten noch etwas zu tun. Tatsächlich war der übermittelte Text bereits
ein geschlossenes System abgeschlossener Sachverhaltsaufklärung. Mit
weniger blümeranter Formulierung:

Sie haben einen Schlüssel. Zu veranlassen ist: Nichts. Alles ist erledigt.
Wir danken mit einem systematischen Hinweis zur Notwendigkeit des Lesens.

(Ende Zitat)

Ärgerlich. R2 D2 (siehe oben) hat nicht funktioniert. Verärgerung über zu viel falsch angewendete Sprache. Hätte Tante Müll richtig gelesen, hätte sie folgendes geantwortet und jetzt verwende ich einen 10 Minuten nach meiner Email neu eingetroffenen, aber individuellen Text von Tante Müll, der den komplizierten Sachverhalt hier oben wie folgt eindeutig erledigt und damit insgesamt abhakt:

(Zitat)

Sehr geehrte Herr Gotthal,

vielen Dank für Ihren Hinweis.

Mit freundlichen Grüßen

(Ende Zitat)

Okay, es steht nicht drin, was sie dachte: So ein arroganter Arsch, diese Verwalter. Aber das interessiert mich ja auch gar nicht. Ich will einfach nur meine Arbeit beachtet, besser aber geachtet wissen. Sie kann ja nicht wissen, dass ich äußerst präzise dran gearbeitet habe. Sie hatte es nicht einmal erkannt.

Verkanntes Genie, das ich bin. Oder anders herum ausgedrückt: Was habe ich versagt, mich nicht gleich zu erkennen gegeben zu haben. 😉

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