1673/13: Positionen: Otfried Preußler ist tot, aus dem Neger- wird der Südseekönig und dankbare Menschen sprechen Dinge aus!

Trauerkerze

Wunderbar. Zylinder ist getauscht und man kommt wieder garantiert rein. An dieser Stelle möchte ich nochmal zumindest für meine Person  sagen, dass ich insgesamt sehr zufrieden damit bin, wie Sie die Dinge angehen. Das ist wirklich kein Vergleich mit der bisherigen „Verwaltung“. Ich wollte das nur mal gesagt haben weil man sich ja doch sonst eher meldet wenn etwas nicht so ist, wie man erwartet. (Email eines „neuen“ Verwaltungsbeirats und Kunden, Berlin-Lichtenberg)

Otfried Preußler hat den „Räuber Hotzenplotz“ erfunden und „Die kleine Hexe“ geschrieben. Der uralt gewesene Otfried Preußler ist tot. Gott hab ihn selig. Der Thienemann-Verlag hat das bekanntgemacht, hier.  Preußler, der Dinge beim Namen nannte, in einer alten, teils überkommenen, millionenfach geliebten, verständlichen Sprache für Kinder. Ein großer Teil Deutschlands hat diese Bücher als Kinder vorgelesen bekommen, so wie ein großer Teil der Restwelt, Abermillionen Bücher wurden verkauft. Preußler, der Held guter Geschichten. Ruhe in Frieden. Ob andere nun bessere Bücher schreiben werden? Vielleicht die Angelsachsen? – Pah. Kaum möglich.

„Neger, Neger, Schornsteinfeger“, das ist ein Buch, in dem Hans-Jürgen Massaquoi (gestorben 19.01.13) seine Erinnerungen an das braune „Dunkeldeutschland“ aufschrieb. Das Buch gehört zu den lesenswerten Büchern über Rassismus in Deutschland.

Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage

Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage

„Eines Tages werden die Kinder von heute es sein, denen die Verantwortung der Erwachsenen aufgebürdet ist. Dann werden sie Kraft und Lebensmut brauchen können. Und die Fähigkeit zu lachen. Und Phantasie, Phantasie vor allem, ohne deren Hilfe sich keine Probleme lösen lassen, die kleinen nicht und die großen erst recht nicht.“ (Otfried Preußler, zu Lebzeiten, Quelle: siehe ganz oben, Thienemann Verlag)

In Deutschland gibt es jetzt die „Schulen gegen Rassismus„. Z.B. in Berlin-Zehlendorf, wo Volker Herz als Rektor die Mühlenau-Grundschule leitet. Schule gegen Rassismus, das ist ein klitzekleiner Banner, der vieles bewirken kann. Man geht gedanklich unter so einem Schild drunter durch oder links bzw. (sogar) „rechts“ dran vorbei. Man stolpert über sich selbst, denkt einen Moment nach und -schwupps- wird einem ganz warm ums Herz. Richtig. Laut ruft ein Schild ein Versprechen hinaus: „Wir geben hier Rassismus keine Chance“. In Deutschland keinen Rassismus mehr.

Neger, Neger, Schornsteinfeger (Droemer Knauer Verlag)

Neger, Neger, Schornsteinfeger (Droemer Knauer Verlag)

Von alten und von neuen Sprachgewohnheiten ist die Rede. Otfried Preußler, Jahrgang 1923, war einer mit „alter Sprache“. Seine Geschichten wurden uns in den Sechzigern erzählt und wir prägten uns viele Begrifflichkeiten im Zeichen ihrer Zeit ein. Eine Redewendung wie z.B. „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan“. Das ist heute ein „no speak“, ein „forbidden sprech“. Auch „Negerküsse“ gehen gar nicht. Gleichwohl meldet der Thienemann Verlag nicht wenige, sondern heftige Reaktionen aus Teilen der Leserschaft, die teils in Beschimpfungen gegen notwendige Sprachentrümpelungsversuche schwallartig vorgebracht werden. Nüchtern aber stimmt:

Sprache beeinflusst das Bewusstsein und wo ein diskriminierender Begriff vermieden werden kann, halten wir es für vernünftig ihn wegzulassen. (Thienemann Verlag, hier)

Wenn der dienstbeflissene Hausverwalter namens und im Auftrage seiner Wohnungseigentümer (nein, nicht Schäfchen!) tätig wird und sich hier und da von Kunden „herablassend und unwürdig“ behandelt fühlt, zuckt ein unwillkommener Geistesblitz durch die Gedankengänge. Man denkt, politisch unkorrekt: „Ich bin doch nicht der Neger der Gemeinschaft.“ – Diese Art zu sprechen und zu denken ist „politically incorrect“, „out“,  kurz gesagt nicht mehr zeitgemäß. Am schlimmsten ist nicht das Wort selbst. Der Kontext ist die unerträgliche, leidensvolle Geschichte farbiger Menschen, die von „Herrenmenschen“ vergangener Zeiten erniedrigt, beleidigt, geschlagen und in Ketten gelegt wurden. In Schiffsrümpfen unter Deck, verschifft nach Westindien (Amerika) ins Land solch „unbegrenzter Möglichkeiten“. Sogar das war möglich dort. „Der Neger der Gemeinschaft“ fasst diese Tradition in nicht mehr zeitgemäßer Ausdrucksweise unzulässig zusammen, banalisiert das Böse. Die Wahrheit ist: Weder Hausverwalter, noch Hauswarte, noch irgendein anderer Dienstleister ist der „Neger eines Anderen“. Das ist zu kurz gedachter „Wohlstands-Wauwau“: Pfui Deibel. Man wünscht sich hierfür eine zeitgemäßere Benennungsart und -weise. „Der Sklave von jemand sein“, nun gut.

Diese Art Banalisierung hat System und erfolgt aus einer wohlstandsartigen Infrastruktur, heute las ich, Zitat: „Aus welcher Position regt man sich hier über eine läppische Falschinformation auf, eine Falschinformation, die niemandem weh tut und niemanden schädigt. Das kann doch nur eine sehr saturierte Situation sein. Es geht nicht darum, einem das Leben überhaupt zu ermöglichen, sondern darum, jenseits aller essentiellen Bedürfnisse im Genießen des Überflusses nicht gestört zu werden. Wer um sein Überleben kämpft, ist froh, sich etwas Essbares leisten zu können.“ (Richard Gleim „Wir Sesselpupser“, Düsseldorf, Link- und Lesetipp ganz unten)

Die Sache moderner zu führen, hieße derartiges wohl, sich nicht als „Sklave einer Gemeinschaft“ betätigen bzw. -besser- behandeln zu lassen. Und so entrümpelt auch der Thienemann Verlag als „soziales Gewissen“ der von ihm herausgegebenen Bücher eines kongenialen Schriftstellers namens Otfried Preußler die Druckwerke sorgfältig, wie nachzulesen ist.

Die Kinderbuchklassiker von Michael Ende und Otfried Preußler werden in ihrer Authentizität so bleiben, wie sie bereits Generationen von Kindern kennen. Es geht bei der Modernisierung ausschließlich darum, Begriffe, die nicht mehr zeitgemäß sind, die dem modernen Menschenbild nicht mehr entsprechen und die Kinder der heutigen Zeit, also etwa 50 Jahre nach dem ersten Erscheinen der Bücher, schlicht nicht verstehen, zu ersetzen oder zu streichen. Mit dieser Arbeit sind Fachleute beauftragt und sie wird mit der Familie Preußler abgestimmt. (Thienemann Verlag, hier) (Anmerkung: Und der Familie Ende?)

Die eingangs erwähnte „Belobigung“ eines Wohnungseigentümers und Verwaltungsbeirats aus einer Wohnanlage in Berlin-Lichtenberg ist Zeugnis einer anderen Geisteshaltung als derjenigen, in deren Fahrwasser Menschen versuchen, andere zu unterdrücken, etwa weil sie ihnen untergeordnet erscheinen. Think well, be positive. Über eine solche positive Reaktion freut sich der Hausverwalter. Er ist nicht mehr „Sklave einer bestimmten Menschengruppe“, oder gar der Perfekte Verwalter. Persifliert, umorientiert, herauskatapultiert. Das Sklaventum gehört abgeschafft.

Im Grunde genommen steht nach diesem kleinen Beispiel sprachlicher Unzulänglichkeiten fest: Der Thienemann Verlag beschreitet einen richtigen, zeitgemäßen Weg, wenn er sich vornimmt, sprachliche „Nickligkeiten“, die große Autoren vor 50 Jahren begingen, in Frage zu stellen und eine behutsame, verantwortungsbewusste Korrektur an den Millionensellern vorzunehmen. Otfried Preußler war daran beteiligt. Seine Familie hat das allein zu entscheiden.

Die das kritisieren, wehren sich gegen die Erkenntnis, dass das Leben ein Fluss von kaum wahrnehmbaren Veränderungen ist, die unterm Strich notwendig sind. Modernes Leben führte zu jeder Zeit zu Anpassungen: Das merken wir spielerisch, wenn wir uns heute Fernsehsendungen von 1978 ansehen, wie DISCO (mit Ilja Richter), Dalli Dalli (mit Hans Rosenthal) und 50iger-Jahre Kochbücher lesen, wie das von Hedwig Maria Stuber, das in den fünfziger Jahren bei Hochzeiten jedem deutschen Gründungshaushalt gegeben wurde. Wer nur einmal dies bemerkenswerte Kochbuch (als Reprint neu vor einigen Jahren erschienen) durchblättert, wird bestätigen können, viele der dortigen Allgemeinwissen-Aussagen sind regelrecht „hanebüchen„. Wer sagt heutzutage schon noch „hanebüchen“, ohne nachzugugeln, was dies Wort eigentlich bedeutet?

Hedwig Maria Stuber: Ich helf Dich kochen!

Hedwig Maria Stuber: Ich helf Dich kochen!

So witzig wir das Blättern in alten Büchern von „anno dunnemals“ auch empfinden mögen, so ist doch der Humor dessen zugleich oft auch die Erkenntnis, dass wir uns entwickelt haben. Vielleicht zu wenig. Das mag sein. Unterm Strich bleibt es dabei: Heute ist vieles nicht mehr witzig, was einstmals zu Papier gebracht, auf Zelluloid gebannt wurde oder in Reden für „modern“ gehalten wurde. Alles Vergangene hatte seine Zeit. Unsere Erinnerung wird mit der Zeit unschärfer. Unpräzise und teils auch unsachlich.  Was jetzt geblieben ist? Räuber Hotzenplotz, Die kleine Hexe und eine großartige Erinnerung an Otfried Preußler, der uns seinerzeit verstand, eine zulässige Vorstellung von der Welt zu vermitteln, wie sie war. Otfried Preußler musste nie als B-Promi ins Dschungelcamp, um nur ein Beispiel zu bringen. Ein großer Autor, dessen Lebenswerk wir zu Dank verpflichtet sein können.

Otfried Preußler hätte am 20. Oktober 2013 seinen 90. Geburtstag begangen. Es hat nicht sollen sein. Schade. Aber nicht zu ändern.

Weblotse

(EP)

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