1244/11: Bundesgerichtshof: Die Wohnfläche bei Vermietung, Nutzung und als Abrechnungsschlüssel #Recht

Rechtliches

Es spricht 2009 der Bundesgerichtshof (VIII. Senat, Mietrecht) folgenden Leitsatz:

Bei der Ermittlung der Wohnfläche einer Maisonettewohnung ist die Fläche des zu Wohnzwecken mitvermieteten Galeriegeschosses unabhängig davon zu berücksichtigen, ob die Räume des Galeriegeschosses nach bauordnungsrechtlichen Vorschriften deswegen nicht zur Wohnfläche zu rechnen sind, weil sie zu weniger als der Hälfte der Grundfläche eine lichte Höhe von mehr als 2,20 m aufweisen und deshalb nicht als Aufenthaltsräume gelten (im Anschluss an BGH, Urteil vom 16. September 2009 – VIII ZR 275/08, NJW 2009, 3421).BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 – VIII ZR 39/09 – LG Frankfurt/Main – AG Königstein

Und warum ist das jetzt interessant? Dem liegt -ganz gebietsübergreifend- folgender Fall aus einer Eigentumswohnanlage in Berlin-Spandau zugrunde:

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Bundesgerichtshof

Die Wohnungseigentümergemeinschaft wurde irgendwann in den Achtzigern gegründet, unwichtig wann. Die Teilungserklärung der Anlage gibt nicht viel her. Allerdings gibt sie doch her, dass bestimmte Eigentümer berechtigt sind, die über ihren Wohnungen liegenden Dachgeschosse zu Wohnzwecken auszubauen und so geschieht es aus. Nachdem dies von fast allen erledigt wurde, trägt sich die Gemeinschaft mit dem Gedanken, die den Jahresabrechnungen und Wirtschaftsplänen zugrundeliegenden Abrechnungsschlüssel (hier: Wohnflächen) nach Lage der Dinge und Ausbaustand anzupassen.

Namentlich beabsichtigt man, die Nutzungen, Lasten bzw. Kosten nach Maßgabe der (neu ermittelten) Gesamt-Wohnflächen umzuverteilen. Das empfinden alle als recht und billig. Allerdings war das noch deutlich vor dem 01.07.2007 (Reform des WoEigG). Zur Wirksamkeit einer Abänderung des neu zu bildenden Kostenverteilungsschlüssels müssen demnach sämtliche (Hervorhebung: sämtliche, also ohne eine Ausnahme!) Wohnungseigentümer dem zustimmen. Die Sache soll als Nachtrag zur Teilungserklärung und zur Inhaltsänderung in die Wohnungsgrundbücher der Anlage eingetragen werden. Das scheitert aus bekannten Gründen: es gibt immer einen, der seine Hausaufgaben nicht macht.

Nach mehreren Jahren und einer WoEigG-Rechtsreform 2007 kommt frischer Wind in die Sache, auch durch einen Verwalterwechsel. Nun wird es leichter. Denn nach neuester Regelung dürfen die Wohnungseigentümer mit einfacher Mehrheit eine „Abänderung des Kostenverteilungsschlüssels“ inzwischen beschliessen. Allerdings regt sich nun auch Widerstand, und zwar vornehmlich, nein eigentlich ganz allein bei einem einzigen Wohnungseigentümer. Auch er hat sein Dachgeschoss ausgebaut und nutzt es seit Jahren als Wohnraum. Das unterscheidet seine persönliche Situation allerdings nicht von der der anderen Miteigentümer, die oben im Dachraum Wohnraum geschaffen haben. Seine Position allerdings fällt mir der der anderen auseinander: er wendet nun ein, dass das da oben im Dachjuché kein Wohnraum sei. Vielmehr sei das Hobbyraum. Ausgangspunkt dafür ist die Aussage, dass die Flächen dort oben bauaufsichtlich nicht die erforderliche Deckenhöhe besitzen (in Berlin: 2,50 m), um als „Geschoß mit der Eignung zum dauernden Aufenthalt“ geeignet zu sein.

Letztlich beschliesst die Gemeinschaft eine Art Interimslösung. Zunächst wird der Schlüssel angesetzt, soweit er unstreitig ist und gut ist. Nach einem Jahr des Nachdenkens sind allerdings die gegenseitigen Positionen erneut aufgeflammt.  Das Thema ist furchtbar emotional, es gibt auch Beleidigungen, von Betrug ist die Rede, vom sich bereichern wollen, von Gerechtigkeit, von Fachleuten, die keine Ahnung haben und solchen, die zugelassene Fachleute sind. Alles Quatsch. Interessant ist in diesem Zusammenhang die erwähnte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die uns erst aufgrund der vorliegenden Problematik „zufällig ins Haus schneite“ und das, obwohl gerade gar nicht Winter ist.

Was der Bundesgerichtshof zur Berücksichtigung von Wohnflächen hier sagt

Zunächst einmal: Das Rechtsgebiet ist BGB § 536 Abs. 1 Satz 1, das ist Mietrecht. Für unseren Fall gilt das WoEigG (Wohnungseigentumsgesetz). Also folgt hier die Erklärungstiefe nur so flach nach, als wie man Parallelen aus der juristischen Argumentation in der Lage ist zu ziehen. Und das kann man durchaus, findet der Berichterstatter.

  • Denn es geht um die allgemeine Auffassung des BGH darüber, was man „in der Verkehrssitte“ als Wohnfläche zu begreifen hat. Deutlich wird: Jene, die sich stringent auf Vorschriften (hier: II. BerechnungsVO, als Norm bereits abgeschafft, bspw. aber auch: Wohnflächenverordnung, bzw. öffentliches Baurecht) berufen, aus denen sich der Ansatz von Wohnfläche herleitet, bekommen vom BGH Unrecht. Im vorliegenden Fall ein Mieter, der etwas in einer Nutzungsabsicht und mit Mietvertrag anmietet. In unserem Fall nutzt ein Wohnungseigentümer vermeintliche „Hobbyräume“ wie Wohnraum, eine lediglich nur hobbyraummässige Nutzung entfällt nach allen vorliegenden Kenntnissen. Was entscheidend ist: der BGH hält sich nicht mit Normenketten auf, sondern er hangelt seine Argumentation an der „tatsächlichen Nutzung“ entlang. Beides kann -offenbar!- auseinanderfallen. Interessant.

Und auch das ist durchaus mit unserem Fall vergleichbar, Zitat aus dem Beschluss des BGH:

Nach einem von der Beklagten eingeholten Privatgutachten beträgt die Wohnfläche lediglich 72,55 qm, weil die Grundfläche des (oberen) Galeriege-schosses von insgesamt 23,58 qm, unter Berücksichtigung der Schrägen berechnet mit 11,79 qm, gemäß § 41 Abs. 2 der Hessischen Bauordnung außer Ansatz zu bleiben habe, da die Raumteile mit einer lichten Höhe von über 2,20 m weniger als die Hälfte der Grundfläche dieses Bereichs ausmachten.

Insoweit ein „verwalterisches Deja Vu“. Mietrechtlich führt der BGH die „Beschaffenheitsvereinbarung“ ins Feld. Er hält den Begriff der Wohnfläche für auslegungsbedürftig, weil er keinen festen Inhalt hat. Man könne zwar die für preisgebundenen Wohnraum geltenden Vorschriften zur Auslegung heranziehen, ob ein anderer Abrechnungsmodus aber ortsüblich sei oder nach der konkreten Art der Wohnung naheliegender, weiß der Senat aufgrund der vorgetragenen Umstände jedenfalls nicht.

Die Frage ist natürlich auch, ob Wohnungseigentümer untereinander eine Art Beschaffenheitsvereinbarung abschliessen, wenn sie einerseits hinnehmen, dass Dachgeschosse zu Wohnzwecken ausgebaut werden, andererseits aber davon Kenntnis haben, dass dort gar nicht gewohnt werden dürfe. Jedenfalls nach bauordnungsrechtlichen Kriterien. Auch hier ist bereits unsere Vorberichterstattung aussagekräftig. Wir berichteteten bereits über andere Fälle, in denen sich einzelne Wohnungseigentümer gegen die Nutzung von Untergeschossen als Büro (Teileigentum, nichtstörendes Gewerbe) wendeten. Auch hier schnitt das Landgericht den Klägern diesbezügliche Rechte -jedenfalls wohnungseigentumsrechtlich- ab, mit guten Gründen. Die Beschaffenheitsvereinbarung dieses Falls war die Teilungserklärung.

Der Fall beim BGH betrifft im Ergebnis die unwidersprochene Nutzung eines Galeriegeschosses als nutzbarem Wohnraum, eine Nutzung zu anderen als Wohnzwecken ist fernliegend und wurde von dem Beklagten (Mieter) auch nicht vorgebracht. Was auch in unserem Fall gilt. Der Wohnungseigentümer kann eine andere als eine Wohnnutzung wohl kaum für sich reklamieren.  In unserem Fall kommt hinzu, dass die Wohnungseigentümer (mit Dachgeschossanteilen) „untereinander gleich zu behandeln“ sind und nicht unterschiedlich.

Wie der Senat bereits entschieden hat, sind die Flächen von Räumen, die nach dem Vertrag zu Wohnzwecken vermietet sind, bei der Wohnflächenermittlung unabhängig davon mit einzurechnen, ob sie wegen öffentlich-rechtlicher Nutzungsbeschränkungen bei einer Flächenberechnung nach den Bestimmungen der Zweiten Berechnungsverordnung als Wohnraum anzurechen sind (Senatsurteil vom 16. September 2009, aaO). Für die Frage einer Wohnflächenberechnung nach den im vorliegenden Fall anzuwendenden Bestimmungen der Wohnflächenverordnung kann nichts anderes gelten. (BGH, Wortlaut Begründung, siehe unten)

Der Hinweis muss der Vollständigkeit halber erfolgen: diese Rechtsprechung bezieht sich auf einen konkreten Einzelfall im Mietrecht. Aus ihm Honig zu saugen, um einen anderen Einzelfall „zu atomisieren“ (aufzulösen), ist Vorsicht geboten. Doch man kann sich Anschauungen zu eigen machen, sich belesen und „das übergeordnete Argumentationsgerüst“ versuchen zu verstehen. Und dann hilft einem dieser Fall doch schon, eine Art Grundgefühl zu bekommen, sein eigenes rechtliches Pendel auf den weiteren, unseren Fall einzuschwingen wie ein Foccault´sches Pendel und es herabschwingen zu lassen auf den „messerscharfen Einzelfall“. Das Thema ist damit nicht erschöpfend vom Tisch. Dies war -nomen est omen- nur ein Gesichtspunkt, aber ein interessanter.

Der Wortlaut der Entscheidung ist hier anliegend beigefügt als kostenloser, nichtkommerzieller Service.

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Ein Gedanke zu „1244/11: Bundesgerichtshof: Die Wohnfläche bei Vermietung, Nutzung und als Abrechnungsschlüssel #Recht

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