945/10: Juristerei: Anspruch auf rechtliches Gehör, Anhörungsrügen und Chinas Nobelpreisträger Liu Xiaobo

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Leih mir dein Ohr und ich sing dir ein Lied und ich bemüh mich die Tonart zu sehen, uh, ja ich schaff´s wenn mir die Freunde helfen! (Deutsche Textversion von „With A Little Help from my Friends“, The Beatles)

Das Recht, angehört zu werden, entstammt nicht den Berufsstatuten der Hörgeräteakustiker-Vereinigung von Deutschland und ist in größeren Teilen im Land des (eingefrorenen?) Lächelns -im Reich der ehemaligen Mitte- in China eher nicht sehr stark verbreitet. Das muss aktuell der chinesische Nobelpreisträger Liu Xiaobo erfahren. Was gäbe er drum, auch nur einmal angemessen angehört und schließlich freigelassen zu werden? Das wird Weile haben, braucht Zeit und währenddessen macht China ordentlich diplomatischen Druck über Skandinavien auf, erschießt den norwegischen Blauling und prügelt auf die Weltmeinung ein. Mir ist die Einflussnahme der chinesischen Regierung (nur von der rede ich) auf die Weltmeinung viel zu stark und „bekomme Kreislauf“, „Hals“ und „Rücken“ auf einmal!

Das chinesische Äquivalent zum deutschen Wort China ist Zhōngguó, das im Deutschen Recht gut mit Reich der Mitte wiedergegeben wird. (Quelle: deutsche Wikipedia) Insofern ist klar, dass damit nicht etwa eine meinungsmäßige Mitte und eine besondere Gemäßigtheit zum Ausdruck kommt! Damit hat das nichts zu tun!

Dass das Nobelpreiskomitee gar nichts mit dem norwegischen Staat zu tun hat, stört die Chinesen nicht, denn es passt nicht ins Denkschema. Für die chinesische Regierung ist, was in Zeitungen steht oder in Komitees beschlossen wird, immer nur eins: das Ergebnis wirksamer Kontrolle, Einflussnahme und äußerst rigider Staatsführung. Möglicherweise können sie sich kaum vorstellen, dass in westlichen Ländern unterschiedliche Meinungen, Strömungen, unabhängige Entscheidungen, Würdigungen und allerhand Freiwilligkeit existieren. Ein Land, das die Anzahl der Kinder gesetzlich vorschreibt, hat keinen besseren Weg gewusst.

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Liu Xiaobo (Quelle: Wikipedia)
Liu Xiaobo (Quelle: Wikipedia)

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Interessant: Was sagt die Charta 08 aus, die der Nobelpreisträger mitunterzeichnete?

Nein, es geht in diesem Beitrag überhaupt nicht um China, sondern um dessen Regierung!  Uns wird im Vergleich mit Chinas Wertesystem und Regierung unsere eigene Existenz klar und deutlich, und dass wir hier in Westeuropa eine Vielzahl von Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten haben, die anderswo keineswegs üblich und verbrieft sind.

Twittertweet @Fischblog: „Was schlimmes wird er schon gemacht haben, sonst hätte ihn die Polizei nicht ins Gefängnis gesteckt“ #friedensnobelpreis

In diesen Zeiten, in denen China den Norwegern mit „drastischen Verschlechterungen“ in den Beziehungen der beiden Staaten droht, weil das norwegische Nobelpreiskomitee einen chinesischen Bürgerrechtler preisgekrönt hat, rufen Menschen überall auf der Welt jetzt China zu: Schäm dich, China! Lasst den Nobelpreisträger frei und hört auf, Menschen weg zu sperren, die nichts anderes tun, als mit Worten für eine erstmalige Schaffung von freiheitlichen Lebensbedingungen in China einzutreten.

China - Land des gefrorenen Lächelns!

China - Land des gefrorenen Lächelns!

Schluss mit China, dem Nobelpreiskomitee, Bürgerrechtlern und einem Quantum Freiheit, das wir meinen einräumen zu müssen. Und direkt nach Berlin.

***

Onkel Pepe sitzt in Kreuzberg in seinem unbeheizten Dachgeschoss und zieht genüsslich an einer langen, gebogenen Pfeife. Die Polizei hat ihn kürzlich angezeigt, weil er in seiner leer stehenden Wohnung artengeschützte Schildkröten hielt. Daran kann sich Onkel Pepe nicht erinnern, es ist schon vier Wochen her. Gedanklich ist er jetzt auf Rügen in Meditation verfallen: auf Fragen wie der nach der „Nichtanhörungsrüge“. Oder Anhörungs-Rügen! Rügen haben kurze Beine! Onkel Pepe lebt seit Jahren in der Zwangsversteigerung. Mittendrin wohnt er und sein Ziel ist zu rügen, dass seine Rechte verletzt würden. Er lebt als Künstler in einem Leben, gelistet in Künstlerverzeichnissen: Überlebenskünstler? Wer weiß das genau? Niemand. Er auch nicht.

Die Anhörungsrüge oder Gehörsrüge ist ein besonderer Rechtsbehelf im deutschen Prozessrecht, der es erlaubt, Verstöße einer Entscheidung gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend zu machen, wenn gegen die Entscheidung sonst ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf nicht gegeben ist. (Aus wikipedia: Anhörungsrüge)

Die CDU hat immer von Subsidiarität geschwafelt, das meinte sie in erster Linie gesellschaftlich. Folglich müsse sich selbst zunächst derjenige helfen, der (später) Anspruch auf  Hilfe geltend machen  wolle. Der Staat dürfe nur (später) hinzutreten, additiv. So fand es juristisch das Bundesverfassungsgericht für den Instanzenzug vor deutschen Gerichten. Es entschied 2004 wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, dass den Menschen ein eigenes Recht gegeben werden müsse, dort wo sich die Instanzen befänden, aus eigenem Recht nicht Nichtanhörung rechtliche Argumente zu rügen. Und zwar innerhalb dieser Instanzen. Merke: Wer zum Hörgeräteakustiker hereinkommt, der kann mit einer „Gehörsrüge“ im verbrieften Fall kaum rechtlich durchdringen, denn zuständig dafür sind immer diejenigen Instanzen deutscher Gerichte, vor denen sich schon etwas von verfahrensgegenständlicher Bedeutung befindet. Compris?

Lassen wir das! Die Gehörsrüge des Antragstellers hätte sich auf einen den Streitstoff betreffenden Sachverhalt der rechtlichen Nichtanhörung beziehen müssen, befand das entscheidende Gericht nun. Es gibt nun eine gerichtliche Entscheidung (die unanfechtbar ist), wonach das rechtliche Gehör ein Verlangen hat. Das Landgericht Berlin meint:

Das rechtliche Gehör verlangt, dass den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit gegeben wird, sich zu sämtlichen entscheidungserheblichen Fragen zu äußern (ZöllerNollkommer, ZPO, 27. Auflage, § 321a Rn. 7 m.w.N.). Hierzu hatte der Schuldner in dem hiesigen Beschwerdeverfahren hinreichend Gelegenheit. Das Beschwerdegericht hat das Vorbringen des Schuldners auch zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung in Erwägung gezogen. (Landgerichtsbeschluss vom 29.09.10)

Zur Begründung führt es aus:

So richtet sich die Gehörsrüge vom 01.09.2010 ihrem Inhalt nach auch gegen die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des Beschwerdegerichts. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts seien rechtsfehlerhaft. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des Beschwerdegerichts ist jedoch nicht Gegenstand des Verfahrens der Gehörsrüge.

Na siehste!

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Moment mal, jetzt fragt sich doch jeder, was nun China (oben) mit der Gehörsrüge (unten) eines Wohnungseigentümers zu tun hat, der in Berlin rechtliches Gehör anmahnt. Mehr, als man auf den ersten Blick meinen mag:

  • Und ist die Entscheidung auch vom Nobelpreis-Komitee, das in Norwegen sitzt: China mag das gar nicht. Es berichtet darüber in Chinas Medien komplett nicht. Das fand gar nicht statt.
  • Und egal, wie viele Menschen überall auf der Welt die unfaire Behandlung des chinesischen Bürgerrechtlers und Nobelpreisträgers und seiner Ehefrau beanstanden und die Freilassung des Inhaftierten fordern, das interessiert in China niemanden, allenfalls fällt ein Reissack um. Wer auch immer sich heute als Beschwerdeführer geriert auf der Welt, soll mal versuchen, auf einer Urlaubsreise in China einzureisen. Das wird auch in fünf Jahren nicht gelingen. Denn sie haben den Mund aufgemacht, egal wo sie auf der Welt wohnen. Ihr werdet es noch sehen!
  • Dies alles hat mit rechtlichem Gehör gar nichts zu tun und an eine Änderung dieser Verhältnisse ist auf längere Sicht nicht zu spekulieren.

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Dass jemand fortgesetzt rechtliche Mittel wie Anhörungsrügen einbringen darf, deren Behandlung, Abarbeitung und Bescheidung mit Beschlüssen erhebliche Steuergelder kostet, das ist doch ein ganz starker Unterschied und dass das Papier geduldig sei, erfährt jeder Regimekritische in der Bundesrepublik Deutschland auch hier und in vollkommen anderem Zusammenhang.  Es ist das gute, verbriefte Recht des hoffnungslosen Querulanten, die Rechtsmittel auszuschöpfen, egal was das kostet.

Und zum fünften zehnten Male schriftlich beschieden zu bekommen, dass auch trotz vermeintlich neuer, sensationeller Argumente eine andere Behandlung des vergleichsweise trivialen und unmaßgeblichen Berliner Schicksals rechtlich geboten sei, dazu gehört schon ein Satz große Ohren.  Geduld und Spucke! Igitt. Womit wir wieder am Anfang sind: Wir leben hier doch vergleichsweise mit einer Art Luxusausstattung an rechtlichem Gehör. Wenn auch Kritiker bereits das Absterben der Demokratie und der Rechtstaatlichkeit voraussagen, weil infolge der Globalisierung die nationalen Rechtsgüter im Regel-Einheitsbrei der europäischen Beliebigkeit zu versinken scheinen. Davon ein andermal mehr! Nein, nein, er darf das: Anhörungsrügen ausbringen!

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Da ist ein Unterschied: Schreiben bis der Arzt kommt oder schreiben, weil kein Arzt kommt!

Währenddessen ist der diesjährige Nobelpreisträger unter scharfen Haftbedingungen eingesperrt und die Chinesen (pardon, die Regierung der Chinesen) halten das für richtig und den Nobelpreisträger für einen Verbrecher, einen „Lumpen“. Und ich gebe zu, der Gedanke ist wirklich sehr schräg, aber da ist er nun mal:

Wir schicken den Schuldner nach China, da kann er Anhörungsrügen verfassen. Mal sehen, wann er ermüdet? Dafür bekommt Liu Xiaobo mit seiner Frau in Deutschland politisches Asyl. So lange er will!  Deutschland ist eine zutiefst menschliche Gesellschaft!

Ach, schwierige Zeiten sind das!

Ein Gedanke zu „945/10: Juristerei: Anspruch auf rechtliches Gehör, Anhörungsrügen und Chinas Nobelpreisträger Liu Xiaobo

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