Stimme der Kritik: Amtsgericht Tiergarten ersetzt Eigentümerwillen (AZ: 10 C 127/09 WEG)

Stimme der Kritik

 

Der Kritiker - MRR

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Das Amtsgericht Tiergarten (Aktenzeichen 10 C 127/09 WEG) hat eine Entscheidung gefasst, mit deren Inhalt sich die Zeitschrift DAS GRUNDEIGENTUM (Ausgabe 21/2009, Seite 1414, besprochen durch Rechtsanwalt Manfred Meffert) befasst hat. Wesentlicher Punkt dieser Entscheidung ist folgendes:

Gem. § 29 Abs. 1 WoEigG kann ein Verwaltungsbeirat gewählt werden. Dieser hat eine Mitgliederstärke von drei Personen (ungerade Kopfzahl). In der Praxis kommt es aber häufig vor, dass Wohnungseigentümergemeinschaften mehr oder weniger Mitglieder eines Verwaltungsbeirats wählen. Das kann die unterschiedlichsten Gründe haben, Beispiele:

– Es fehlt an Leistungswilligen, also an Personen, die ein derartiges Ehrenamt auszuüben bereit sind.

– Es ist eine große WEG, die Wohnungseigentümer finden, dass die Arbeitsbelastung im Verwaltungsbeirat aus drei Personen zu groß sei. Sie entschließen sich, vier Mitglieder zu bestellen.

– Eine WEG steht unter dauerhaftem Beschuss durch einen in die Prozess- und Verfahrensführung ‚verliebten‘, weiteren Wohnungseigentümer, der sich das Zurechtrücken von Beschlüssen der Versammlungen auf die Fahne geschrieben hat. Eigentlich ist man der Meinung, es müssten drei Wohnungseigentümer sein, die als Verwaltungsbeirat tätig sind. Angesichts ständiger prozessualer Repressalien, insbesondere gegen einzelne Mitglieder des Verwaltungsbeirats -genannt: Giftspritzen- schießt der prozessverliebte Wohnungseigentümer immer wieder Haftungspfeile ab. Es findet sich daher einfach kein Dritter, der bereit ist, sich ein derartiges ‚Ehrenamt‘ anzutun.

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Zeitschrift DAS GRUNDEIGENTUM (Quelle: Verlag)

Zeitschrift DAS GRUNDEIGENTUM (Quelle: Verlag)

– Ein jahrelang sehr erfolgreicher Beirat aus drei Leuten hat Kernkompetenzen: einer der Mitglieder ist ein gut ausgebildeter Kaufmann. Ein zweiter ist Rechtsanwalt. Der dritte im Bunde ist Diplom-Psychologe. Alle finden dieses Triumvirat gut. Allerdings fehlt beispielsweise eine Kernkompetenz: es ist niemand im Beirat, der Ahnung vom Bauen hat, wie z.B. ein Architekt. Nach einigen Wohnungsverkäufen ist ein neuer Wohnungseigentümer hinzu gekommen, der als Architekt arbeitet. Die WEG begrüßt das und findet, er solle auch noch in den Beirat -hinzuaddiert- bestellt werden.

Man sieht schon. Man muss das Leben eben nehmen, wie das Leben eben ist.

Ausgesprochen ärgerlich dagegen die Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten (Abt. für WEG-Sachen), die u.E. bei weiterer Überprüfung durch höhere Gerichte kaum noch Bestand haben dürfte sollte und daher zum Gegenstand einer angemessenen, professionellen Kritik erhoben wird. Der im GRUNDEIGENTUM besprochene Fall (seit 26 Jahren bestehende, professionell verwaltete WEG mit 76 Wohnungen) steht hier zur Kritik.

Maßgeblich seit vier Jahren erfolgte jeweils jährlich durch die Versammlung ein Verwaltungsbeiratsbeschluss ‚en bloc‘ (nicht einzeln, sondern als Gruppe gewählt). Dies sei unangefochten geblieben und daher rechtskräftig geworden. Einer, von 76!! Eigentümern beanstandete dies jedoch. Wiederholt habe er auf die Vorschrift des § 29 Abs. 1 Satz 2 WEG hingewiesen, wonach der Beirat jeweils nur aus drei Mitgliedern bestehen darf.

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In der betreffenden Teilungserklärung (Gemeinschaftsordnung) fehlte es im Übrigen an einer so genannten Öffnungsklausel, insbesondere aber auch überhaupt an Regelungen, einen Verwaltungsbeirat betreffend, so dass die WEG hier auf den gesetzlichen Mindestrahmen ‚zurückfiel‘.  Zum Gegenstand einer klaren Kritik an dieser Tendenz von Rechtsprechung kommt es durch die stringente Missachtung des ganz überwiegenden Eigentümerwillens (der Gemeinschaft), wenn sich Richter eine Rolle geben, die die Verfechtung von unabdingbaren Gesetzesinhalten zum Ziele hat. Wenn andernorts über Verbraucherrecht Recht gesprochen wird, ist es in der Rechtsprechung weitgehend anerkannt, dass dabei zwischen Kräfteverhältnissen (Beispiel: Mieter im Verhältnis zum Vermieter, Verbraucher im Verhältnis zum Verwender von unzulässigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen) sorgsam unterschieden wird. Relativ neu ist der Wind, der seit September 2000 durch Deutschlands Wohnungseigentumsanlagen rauscht. Hier wird Spitzfindigkeit und Stringenz verfochten, immer mit dem Hinweis auf die schwache Position von Personen, die im Zeitpunkt von Beschlussfassungen wie diesen noch gar nicht Eigentümer geworden sind. Gemeint sind spätere Erwerber, deren Schutz (zu) hoch gehoben wird. Gibt es keine Regelung in der Teilungserklärung (welchen Notar interessiert das schon?) zum Verwaltungsbeirat oder fehlt es an einer so genannten Öffnungsklausel, dann bumms klatsch, fallen lebensbejahende, konstruktive Lösungen auch hinsichtl. eines zu wählenden Verwaltungsbeirats schon mal (zu) schnell durch den richterlichen Rost. Wo es drei geben muss, dürfen zwei es nicht tun, und erst recht auch nicht vier. Das ist allerdings Nonsens und wird der Realität in bundesdeutschen Wohnungseigentümergemeinschaften kaum noch gerecht. Nicht selten auch Kleinst-WEGs, wo drei, vier, fünf Wohnungen da sind. Und die Notare zücken ihre allgemeinen Urkundenvorlagen, Textbausteine, schwupps, dann haben wir einen Drei-Mann/Frau-Beirat und manchmal allerdings nur zwei Wohnungseigentümer, und was dann?

Es ist auch eigentlich gar nicht einsichtig, warum die Minderheitenmeinung eines (anfechtenden) Eigentümers so hoch gehoben werden muss, der sich auf die Unabdingbarkeit von § 29 WoEigG beruft, wenn weitere fünfundsiebzig Wohnungseigentümer das ausdrücklich und trotz gegenteiliger Belehrung durch den Recht haben wollenden Eigentümer ‚aufgedrückt‘ bekommen. Mit wohliger Erinnerung erinnert sich der WEG-Verwalter noch an Zeiten, in denen Berliner Landgerichtsrichter die gestörte Versammlungsöffentlichkeit durch nicht in sich abgeschlossene Räume (in einem Lokal, wie der berühmt gewordenen Pizzeria AMORE in Berlin-Lankwitz) regelwidrig und überraschend dahingehend auslegten, eine derart gestörte Versammlung könne nur dann für unzulässig erklärt werden, wenn nachweisbar die Störung der Vertraulichkeit derartiger, ‚öffentlicher‘ Versammlungen sich auf das Zustandekommen derartiger Beschlüsse ausgewirkt hätte. Brrrr…..da ging es noch darum, die Konstruktivität von Versammlungen hoch zu halten. Oder, was den Ergänzungsanspruch von anfechtenden Wohnungseigentümern anging, denen Abrechnungen teils nicht ausführlich genug waren: bis Gerichte Abrechnungen insgesamt aufhoben, machten sie sich noch die Mühe, über ergänzende Auskunftspflichten (Ergänzungsanspruch) nachzudenken. Nein, die Zeiten haben sich geändert, und Gerichte sprechen auch in immer mehr vermeintlich unwichtig erscheinenden Randbereichen stringent Recht, dass es einem die Schauer über den Rücken jagt.

Die gilt insbesondere auch für die Kostenentscheidung des Amtsgerichts Tiergarten, wobei es entschied, die Kosten des Rechtsstreits dem Verwalter aufzuerlegen, der es demnach wohl pflichtwidrig unterlassen habe, die Wohnungseigentümer auf die Vorschrift genauer hinzuweisen. Das hatte der anfechtende, Recht haben wollende Eigentümer allerdings mehrfach in der Versammlung gemacht und war mit seinen Argumenten bei den übrigen Eigentümern offenbar nicht durchgedrungen. Gut, hat der professionelle Verwalter sicherlich gedacht, wenn es die übrigen Eigentümer anders wollen, dann ist das ihr gutes Recht. Weit gefehlt, der Amtsrichter in Tiergarten maßregelt hier die Mehrheit einschl. des Verwalters, der eigentlich nichts anderes vorhatte, als in dieser Frage nicht streitig zur eigenen Kundschaft zu moderieren. Man fragt sich wirklich, warum ein Amtsrichter den maßgeblichen Mehrheitswillen nicht akzeptieren kann, und was ihn veranlasst, dann auch noch die Kosten des Rechtstreits dem Verwalter aufzuerlegen. Ein guter Verwalter ist ein Dienstleister und nicht ein stringenter Verfechter ’sinnleerer Vorschriftenbeachtung‘. Auch wenn der Streitwert mit nur 500,- € erkennbar wohlwollend angesetzt wurde. Oder absichtlich, etwa um den weiteren Instanzenzug zu verhindern?

Fazit: In der amtsgerichtlichen Entscheidung dürfte einiges fehlentschieden sein. Darüber kann man trefflich streiten, und es wäre auch gut so, wenn Amtsrichter nicht immer mit all ihren Entscheidungen durchkommen. Jeder darf sich mal irren.

2 Gedanken zu „Stimme der Kritik: Amtsgericht Tiergarten ersetzt Eigentümerwillen (AZ: 10 C 127/09 WEG)

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