Die Jugendgerichtshilfe Spandau ruft an, und die sind richtig nett – von Schuld und Sühne

Portal des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg

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Sie heißt Frau Siegel (* Name von der Redaktion geändert), ist scheinbar jung (oder das geblieben), der Stimme nach zu urteilen und hat -übrigens- (*giggel) eine nette Stimme.  Oder sagte ich das schon? Aber auch ein einnehmendes, sympathisches Wesen. Sie ist die Dame von der Jugendgerichtshilfe Spandau. Wie sie aussieht, tut hier definitiv nichts zur Sache, wenn wir es uns auch vorstellen. Womit wir uns mit Sicherheit schon wieder irren. Allerdings: Ihre Vorgehensweise folgt einem ideellen Anliegen, das uns heute hier erwähnenswert erscheint.

Ausgangspunkt ist folgendes: Der jetzt 16-jährige Hans Wurst (* Name ebenfalls geändert) hat in der Nacht am 24.06.2006 in der Zeit zwischen 3:30 und 4:00 Uhr morgens Tags an die Wand eines Hauses in Berlin-Spandau gesprüht: er ist ein Sprayer!  Tags sind nicht keltische Runen, sondern Spraykünste, wobei der Begriff Kunst von vielen möglicherweise anders verstanden wird.

Und nun ruft Frau Siegel bei der Verwalterin an. Es ist 08:30 Uhr, also vor dem Aufstehen….

Der Täter Hans Wurst wurde polizeilich ermittelt. Das ist nun mal eine Ausnahme. Wir berichteten am 1. Juli 2009 darüber.  Ah, eine Fortsetzungsgeschichte dies. Die allermeisten derartigen Fälle werden tatsächlich nicht ermittelt. Selbst wenn die Polizei in ihren Aufklärungsbroschüren behauptet, anhand der aufgebrachten Graffitos könne sie Rückschlüsse auf den Täter ziehen. Jeder von denen habe eine eigene Handschrift, die man lesen könnte, sozusagen erkennungsdienstlich behandeln. Die Graffitos in Berlin-Spandau, an diesem Haus, das waren nicht die ersten. Das Haus hat im Verlaufe der Jahre immer wieder Heimsuchungen dieser Art erlebt.  Das Haus liegt offenbar an einer gedachten Einlaufschneise für marodierende, jugendliche Sprayerbanden auf dem Weg in die kurzweilige Altstadt. Besucher des legendären Ballhaus Spandau dürften es nicht sein.  Denn dort hat sich seit 35 Jahren nichts verändert, und gab es damals schon Sprayer? Egal.

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Graffity in Berlin-Xberg (Fotograf: Thomas Gotthal)

Graffity in Berlin-Xberg (Fotograf: Thomas Gotthal)

Immer wieder ziehen meist jugendliche Täter in Horden oder Grüppchen durch die Straßen und bemalen anderer Leute Wände und Fassaden.  In unserem Fall war das Haus erst kürzlich (vor zwei Jahren) richtig schön neu gestrichen worden. Das ging noch gut zu entfernen. Der Farbton der Fassade war als RAL-Ton bekannt. Er konnte nachgemischt werden. In anderen Fällen ist es schwieriger. Wenn das Haus schon einige Jahre Farbverwitterung auf dem Buckel hat, müssen ’schmutzige, verlebte‘ Farbtöne nachgemischt werden. In diesen Fällen holt das Büro Gotthal die Experten der Fa. Ungenannt, über die wir hier und da schon berichteten.

Zurück zu Hans Wurst, der in Wirklichkeit ganz anders heißt. Er ist ein ‚reuiges‘ Bürschchen geworden, sagt Frau Siegel (nicht wörtlich, sondern sinngemäß). Er habe da gestern mit seiner Mutter bei ihr auf dem unbesprayten Gerichtsmobiliar gesessen und Reue gezeigt. Vorbei die Zeiten, als er noch ein ‚räudiges‘ Bürschchen gewesen war, hemdsärmelig, kaltschnäuzig, ignorant, pubertär. Das Strafrecht sucht oft nach  Rache bzw. Vergeltung.  Der Wahlberliner Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach (Strafverteidiger) schrieb kürzlich das  empfehlenswerte Buch Verbrechen und beschreibt darin viel davon, wie die Justiz funktioniert.

Hier und heute ist alles vollkommen anders. Nicht so wie im Falle eines Sexualstraftäters, der wegen fortgesetzter Justizverschleppung eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung aufgebrummt bekommt (VÖ: 05.11.2009 – Spiegel-online, hier). Frau Siegel von der Jugendgerichtshilfe Spandau tastet sich telefonisch, vorsichtig und ideenreich in Richtung Wiedergutmachung (durch den ermittelten Täter) an die Hausverwalterin heran. Ihr freundliches Wesen und eine Art ‚Schalk im Nacken‘ helfen ihr dabei, erfolgreich zu sein. Hans Wurst hat da gestern bei ihr auf der Holzbanke gesessen mit seiner Mutter und will jetzt den Schaden wieder gut machen.

Die Graffitos sind unzögerlich beseitigt worden, damals. Die Rechnung für den Handwerker ist längst bezahlt. Eine Rechnung ist ein Vorgang, ein Aktenstück. Soll nun Hans Wurst den Schaden einfach wieder gutmachen, indem er eine ‚kalte‘ Rechnung präsentiert bekommt auf kaltem Hausverwalterpapierbriefbogen und unter Setzung einer Frist zum Ausgleich derselben? Derartiges kann man als ganz normal annehmen. Doch dieser Gedanke kommt uns fremd vor, denn da wir selbst zum ersten Mal in unserem inzwischen in die Jahre gekommenen Leben von einer Jugendgerichtshilfe angerufen werden, sind wir erst einmal verwundert verzaubert.  Kinder sind Kinder, und Erwachsene wünschen sich, nochmal mit den Augen eines Kindes auf die Welt zu schauen. Wer sich noch wundern könne, der könne sich auch verzaubern lassen von der wilden Schönheit dieses Lebens. Das Wort Jugendgerichtshilfe kannten wir schon. Was wir allerdings jetzt erst verstehen, ist eine Art ‚höheren Anliegens‘ dieser gutgemeinten Einrichtung. Es geht um Wiedergutmachung. Ein Mörder kann nicht wieder gut machen, ein Vergewaltiger erst recht nicht – das Mörderopfer ist tot, der/die Vergewaltigte muss den Rest seines/ihres Lebens mit der erlittenen Tat leben. Beide Täter leben weiterhin. Ein Graffitosprayer im Alter von 16 Jahren kann noch lernen. Auf den rechten Weg zurück kommen.

So liegen die Dinge für Hans Wurst. Sofort -intuitiv- spüren wir, dass wir Hans Wurst nicht (nur) die kaltgewordene Rechnung des Graffito-Beseitiger Ungenannt aufbrummen möchten zwecks Ausgleich. Wiedergutmachung kennt in Deutschland die Grenze des erlittenen Schadens, ausgerechnet in EURO. Der finanzielle Schaden beträgt hier round about 150,- €. Nein, wir denken sofort an eine ganz andere Art der Wiedergutmachung, eine, die einem gesamtgesellschaftlichen Anliegen folgt.

Wir werden den jungen Wurst zur Zwangsarbeit verpflichten: Er soll im Hof des Hauses an einem Wochenende gemeinnützige Gartenarbeit leisten, als Frondienst für die geschädigte Wohnungseigentümergemeinschaft. Frau Siegel sagen wir noch, dass wir uns vorstellen könnten, er müsste diese Arbeit im Beisein von Wohnungseigentümern leisten, die sich zu diesem Zweck mit ihm verabreden. Hinterher könne noch gegrillt werden, es gibt Thüringer Rostbratwürstchen bzw. Gemüsebratlinge für Fleischverächter. Erst wenn alles aufgegessen ist, nach getaner Arbeit, darf Hans Wurst gehen. Und eine lebenslange Erinnerung mit nach Hause nehmen: das sind richtige Menschen, das sind Personen, das sind keine Sachen, keine Wände, keine vollkommen kalten Kieskratzputzfassaden. Ein derartiges hätte viel mehr eine Art menschlicher Dimension, als der Ausgleich der Malerrechnung durch die stets hilfewillige Mutter von Hans Wurst, der damit aus der Sache rauskommt, wie er immer rausgekommen ist und weswegen der sich entschloss, anderer Leute Hausfassaden mit dummem Zeugs zu besprühen. Die Bestrafung Wiedergutmachung muss in einer Weise erfolgen, in der sich die Mutter nicht einmischen kann. Oder der Vater.

Die Sache ist jetzt also komplett durchdacht. Nun müssen nur noch die betroffenen Wohnungseigentümer zustimmen. Und dann ruft die Hausverwaltung bei Frau Siegel an und verknackt den Täter zu gemeinnütziger Gartenarbeit mit anschließender Grillgutwendung. Die ausgewählte Art der Zwangsvollstreckung verletzt nicht die Würde dieses Menschen.