Rotlichtmilieu: Wie wohnt es sich über einem Puff? – Gedanken dazu

Otto – Soundschnipsel

Rotlicht

Rotlicht

Im Sperrbezirk zu wohnen, oder in einem Haus, in dem auch ein Bordellbetrieb ausgeübt wird, ist den wenigsten vertraut. Es leben definitiv mehr Menschen außerhalb von lüsternen Bewohnerzonen, als in ihnen. In Berlin-Wilmersdorf gibt es ein Haus, in dem das Rotlichtmilieu dezent, aber nicht ohne Spannungen betrieben wird. Die Anwohner hatten es bereits längere Zeit hingenommen. Und sich mit der Zeit damit arrangiert. Irgendwie geht es schon.

Wenn man nur Rücksicht nimmt, lässt es sich vorstellen, dass Rotlicht und Wohnlicht in friedlicher Koexistenz an und bei Bedarf auch ausgeschaltet werden. Im Dunkeln ist gut munkeln. Oder: Aufeinander Rücksicht nehmen. Auf wechselseitige Befindlichkeiten und Schamgrenzen. Die Hausbewohner haben ihre Interessen. Stehen ihnen die Interessen der geschäftlich Interessierten (im Rotlicht) gleichberechtigt gegenüber? Ginge es nach einem demokratischen Bewohner-/Nutzerproporz, eindeutig nicht. Die Rotlichtgeschäftsfrauen wären ‚krass‘ in der Minderheit. Es geht nicht um Demokratie dabei. Es geht um friedliche Koexistenz. Sich gegenseitig akzeptieren und die einen tun lassen, was die anderen nicht erträglich finden, was sie aber nicht ändern können. Was sind dann die Kerninteressen eines florierenden Rotlichtgeschäfts, die man nicht verletzen darf? Ist dieses Geschäft überhaupt noch florierend? Hat es in den letzten Jahren nicht in Wirklichkeit spürbar abgenommen?

Es ist, wie es ist. Geschäfte müssen gemacht werden, es geht für jeden ums Überleben. Für diejenigen, die dort wohnen und schlafen ebenso, wie für diejenigen, die nur hierher kommen, um mit anderen zu schlafen oder Kunden wunschgemäß zu bedienen. Es kommen Freier dorthin, die auf eigenen Kanälen dorthin gelockt wurden. Es sind Männer, die sich bedienen lassen wollen. Wer gut bedient wurde, kommt gern wieder. Stammkundschaft. Im Gegensatz dazu: Laufkundschaft.

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Under the Cherry Moon - Rotlichtmilieu

Under the Cherry Moon - Rotlichtmilieu

Es geht um intimste Träume, Wünsche, Visionen, es geht um Sexualität. Es geht darum, seine Wünsche auszuleben.  Es geht (sogar) um den Austausch von Körperflüssigkeiten. Dagegen kann man wenig einwenden. Denn es gehört zur Natur des Menschen, wie essen, arbeiten, schlafen. Das ist ganz normal. Unnormal erscheint den Anderen, dass für diese Sache handfest Geld über den Tisch (oder über die Bettkante) gereicht werden muss. Das empfinden ‚Normalos‘ als schräg. Das empfinden ‚Moralos‘ als widerwärtig.

Im Mehrfamilienhaus mit einer solchen Mischnutzung aus Wohnen und ‚Arbeiten‘ gibt es  Situationen wie diese: du schließt dein Fahrrad im Hof an, aber das Fenster vom Rotlichtmilieu ist offen. Die Mädels vom Puff machen Pause, Raucherpause. Eine sagt, der Freier eben, der war ein Schlappschwanz. Die anderen gackern. Während eine weitere entgegnet, der andere, der habe nicht gut gerochen. Aus dem Fenster zum Hof wabern nikotingeschwängerte Rauchschwaden der in der Betriebsküche sitzenden Damen. Ein andermal sind zwei oder drei von den Damen ‚im Studio‘ dabei, einen Kunden wunschgemäß etwas zu verhauen. Sie haben erneut vergessen, das Fenster zum Hof sorgfältig zu verschließen. Es tönen ein ‚Uhhh‘ und ein ‚ahhh‘ laut vernehmlich in den Hof hinein. Eine Mutter bringt mit ihrer 15-jährigen Tochter gerade ein paar Mülltüten nach unten zum Müllplatz. Beide hören die ‚Uhhhs‘ und ‚ahhhhsss‘ und die Tochter fragt ihre Mutter, warum da so ‚Uhhhsss‘ und ‚aahhhhhsss‘ zu hören sind? Die Mutter ist etwas verlegen um eine Antwort. In ihrer Welt gehört es nicht zum unmittelbaren ‚grande effect‘ erwachsener Sexualität, den Ehepartner gezielt mit Stockhieben zu versohlen. Wenn’s gefällt? Das ist der eine Aspekt, den kann man ja noch erklären, aber es stellt sich wohl die Frage, müssen wir -wir Normalos, Mutter und Tochter- tatsächlich Ohrenzeuge von derlei Verhauaktionen sein?

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Auf einer Eigentümerversammlung wird derlei angesprochen, nicht von der Mutter mit Tochter. Es ist eine andere Hausbewohnerin. Sie ärgert sich schon seit Jahren darüber. Sie konnten nie etwas Wirkungsvolles dagegen unternehmen. Die Verwalterin denkt sich ihren Teil. In den letzten Jahren hat sich wegen dieses Studios viel getan. Der frühere Eigentümer des Teileigentums ist verstorben, seine Frau hat das Teileigentum samt vermietetem ‚Studio‘ geerbt. Sie hat weniger direkten Draht zu ‚Immobilienverwaltungsfragen‘ wie diesen, braucht eventuell eine ‚helfende Hand‘. Noch hat sie keine. Die WEG-Verwalterin weiß das. Sie sagt es den anwesenden Wohnungseigentümern. Die Beschwerdeführerin wird gebeten, mal eine Art brainstorming zu veranstalten. Das geht so: Man löst sich aus seiner eigenen unmittelbaren Beschwerdewelt. Dann  schreibt man in einem meditativen Zustand des gelöst seins Punkte auf. Gesichtspunkte. Sie betreffen die Frage: Was stört mich eigentlich an denen? Was sind die vier oder fünf Punkte, die ich sehr konkret ansprechen kann und habe ich eventuell Vorschläge, wie man diese Punkte (zu meiner Zufriedenheit) lösen könnte im Sinne wechselseitigen guten Benehmens? Ein anderer Wohnungseigentümer ruft dazwischen: ‚Dafür haben wir doch das Gewerbeaufsichtsamt.‘

Das ist richtig, sagt die WEG-Verwalterin, aber das löst am allerwenigsten Gesichtspunkte von uns nur in einem einseitig uns begünstigenden Sinne. Es ist nicht dafür da, die Hausordnung zu befrieden. Es schaut nach gewerberechtlichen Rahmenkriterien: nach illegalen vietnamesischen Minderjährigen, die dort arbeiten könnten, was nicht der Fall ist, oder nach ausreichend Wasch- und Sanitärräumen, nach Kriterien wie dem dauernden Aufenthalt in unterirdischen Folterwerkstätten, wo sich Freier anketten lassen können. Sind die Ketten auch desinfiziert?

Die WEG-Verwalterin kommt wieder auf diesen Gesichtspunkt der ‚Spiritualität‘ zurück: Es geht hier nicht um Gesetze. Die Gesetze wurden schon mal bemüht. Sie stellten sich als jahrelange Schattengefechte in einem deutschen Ballungsraum namens Berlin heraus. Als Instanzen mit geldfressenden Zwischenstationen auf der Suche nach Recht und Gesetz. Es geht hier um ganz normale Rücksichtnahme, wechselseitig. Die gewerbetreibenden Rotlichtler sollen auch mal spirituell werden. Sie sollen in sich gehen und sich fragen, wie sie selbst am liebsten in diesem Haus wohnen würden, und obgleich dort ein ‚Studio‘ wie dieses betrieben wird, Frieden, Harmonie und gute Nachbarschaft ausgestrahlt werden soll? Bewohnerzufriedenheit.

Der Punkt wird an diesem Abend schließlich nicht mehr zufriedenstellend gelöst. Aber es wurde drüber gesprochen. Die Beschwerdeführerin sagt, das sei ihr mal (wieder) wichtig gewesen. Die WEG-Verwalterin hat noch gesagt, sie wird sich mal derartige spirituelle Gedanken  machen und eine Nachricht versenden, von der man denken könnte, dass sie ankommen kann im Rotlichtmilieu. So dass das Rotlichtmilieu sich nicht ungerechtfertigt angegriffen fühlt oder eingeengt, sondern das ein Verständnis für derartige Zusammenhänge ‚auf freiwilliger Einsichtsbasis‘ denkbar ist. Abwarten, was sich diese WEG-Verwalterin dazu ausdenkt.

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Über Erfahrungen zu diesem Thema empfangen wir gern Zuschriften, Kommentare oder Anregungen. Wir werden bei passender Gelegenheit ohne Schwerpunktverlagerung der Website gesichtspunkte.de auf das Rotlichtmilieu weiter berichten. So wie wir mit dem Rotlichtmilieu immer mal wieder zu tun haben, aus beruflichen Gründen.

7 Gedanken zu „Rotlichtmilieu: Wie wohnt es sich über einem Puff? – Gedanken dazu

  1. Eine schwierige Situation. Der Artikel beshriebt sehr schön, wie es für beidei Seiten darum geht „zu leben“ oder zu „überleben“. Auch wenn man in der heutigen Zeit nicht gleich peinlich berührt ist, wenn man auf die Lebensverhältnisse in einem Rotlichtmilieu trifft, so ist es doch auch wichtig, als „normaler“ Anwohner nicht ständig damit konfrontiert zu werden, vielleicht gerade dann, wenn man noch recht junge Kinder hat.
    Aber wenn man behutsam und offen mit beiden Parteien redet, lassen sich eigentlich häufig zufriedenstellende Kompromisse finden.

  2. @Hausverwalter Koeln: Das war der Sinn dieses Artikels. Die Leute sollen ‚open minded‘, mit Verständnis, an diese Frage herangehen. Die Resonanz auf diese wirkl. vorgekommene Geschichte war positiv. Ziel erreicht. Danke für den Kommentar. (Die Redaktion)

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