Mario Neumann (Quelle: Privatarchiv)

2000/14: Personen & Porträts: Mario Naumann, seine Krankheit Parkinson und Sand, der uns umher weht….

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Mario Naumann (Quelle: Privatarchiv)

Mario Naumann (Quelle: Privatarchiv)

Ich bin wie Sand, der Wind weht mich umher, Deine Liebe macht wie Regen mich sehr nass, sehr schwer…. (Dirk Zöllner)

Ich bin Mario Naumann, werde bald 50 Jahre alt, bin verheiratet und an der unheilbaren Krankheit Parkinson erkrankt.

Erste Anzeichen
Alles begann vor ungefähr vier Jahren: Ich spürte oft Verspannungen, anfangs leichte Muskelschmerzen und hatte starke Probleme mit dem ein- und durchschlafen. Vor circa zwei Jahren kam dann eine motorische Störung in der linken Hand dazu. Ich konnte plötzlich nicht mehr rhythmisch „mittrommeln“, wenn zum Beispiel ein gutes Lied im Radio kam, und die Bewegung der Gabel machte mir Probleme. Ich schob damals natürlich alles auf den stressreichen Job im Außendienst, der mich unter anderem 80.000 Kilometer im Jahr durch die Lande fahren ließ. Das ging dann alles noch so weiter, obgleich ich schon Probleme hatte, meinen Job mit 100 Prozent auszufüllen.

Mario Naumann (Quelle: Privatarchiv)

Mario Naumann (Quelle: Privatarchiv)

Katastrophe und Erleichterung
Ständige Schlafattacken, Müdigkeit und ein beginnender Tremor (Zittern) in der rechten Hand ließen mich dann aber doch zu einem Neurologen gehen, da meine Hausärztin meinte, das solle fachkundig untersucht werden. Ergebnis war die unheilbare Krankheit Morbus Parkinson. Das war Mitte Dezember 2012. Für meine Frau und meine Eltern sowie auch für meine Freunde war das natürlich ein Schock. Für mich allerdings war es wie eine Erleichterung, weil ich endlich jemanden hatte, dem ich meine jahrelangen Symptome anhängen konnte. Und wie das Leben nun einmal ist, wenn ein Unglück kommt, dann kommt ein zweites hinzu: Ende Dezember teilte mir mein Arbeitgeber mit, dass er die Zukunft ohne mich plane. Nun war die Katastrophe perfekt.

Das Arrangement mit Herrn Parkinson
„Unheilbar krank“ und eine nicht finanziell gesicherte Zukunft standen Ende des Jahres 2012 auf dem Plan. Für mich stand fest, das wird wieder mal eine Herausforderung, die nicht spurlos an uns vorbeigehen wird. Weil ich anfangs „vergessen“ hatte, meine Frau mit ins Boot zu holen, hatte sie große Probleme, mit der Krankheit umzugehen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben wir es aber geschafft, uns zusammen mit Herrn Parkinson auseinander zu setzen. Wir kennen ihn jetzt, er wird uns ständig begleiten, und wir werden ihn immer näher und intensiver spüren. Wie die Krankheit verlaufen wird, das wissen wir aber auch nicht. Jeder Patient hat nahezu einen anderen Krankheitsverlauf. Wir richten uns jetzt auf die Zukunft ein, müssen den Gürtel extremst enger schnallen, wissen aber noch nicht genau, ob wir es überhaupt schaffen, gehen aber mittlerweile zusammen gestärkt in die Zukunft.

Erste Behandlungsschritte
Sehr wichtig für einen langsamen Krankheitsverlauf ist eine intakte Familie, seelische Ausgeglichenheit und, dass man den Alltag möglichst stressfrei bewältigen kann. Mittlerweile war ich im vergangenen September in der Parkinson-Spezialklinik in Bernburg, wo ich mit den vielen Medikamenten gut eingestellt wurde. Dort wurde mir in der Kürze der Zeit auch beigebracht, wie wichtig ausreichend Gymnastik und Bewegung ist.

Etwa zeitgleich sollte ich auf Anraten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse einen Reha-Antrag stellen, um auszuloten, wie mein Leistungsprofil aussieht und ob eine berufliche Zukunft überhaupt möglich ist. Ich war gerade wieder richtig zu Hause angekommen, da lag die Post mit den Aufnahme-Unterlagen der Moritz Klinik in Bad Klosterlausnitz schon im Briefkasten. Eine Woche später ging es los. Geplant waren drei bis vier Wochen. Dass es aber fünf Wochen werden würden, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Reha in der Moritz Klinik
Ich ließ mich von meiner Frau bringen, da ich lange Autofahrten nicht durchhalte, ohne einzuschlafen. Angekommen in der Moritz Klinik staunte ich nicht schlecht, alles sah aus wie ein Wellnessbereich im Drei- bis Vier-Sterne-Hotel. Eine nette Dame an der Rezeption kümmerte sich um uns und die Zeit verging kurzweilig. Dann wurden wir ins wirklich gemütliche Einbett-Zimmer gebracht, meine Frau packte schnell die Taschen aus, damit wir noch ein wenig Zeit hatten, um diese für die Verabschiedung zu nutzen.

Erste Untersuchungen wie Zuckerwert, Blutdruck, Blutentnahme sowie ein erstes Arztgespräch folgten am Nachmittag des Anreisetages. Ab dem ersten Tag gab es täglich einen relativ straffen Plan, den es abzuarbeiten galt. Die täglichen Stationen und Anwendungen setzten sich aus ernährungsrelevanten Vorträgen, Einzel- und Gruppengymnastik, Wassergymnastik, psychologischen Übungen sowie aus Entspannungstherapien zusammen.

Mario Naumann & seine Frau (Quelle: Privatarchiv)

Mario Naumann & seine Frau (Quelle: Privatarchiv)

Was soll ich hier?
Zwischenzeitlich keimte in mir allerdings immer mal wieder die Frage auf: „Warum bist du eigentlich hier? Deine Krankheit ist unheilbar, kann bestenfalls aufgehalten werden, woran ich allerdings nicht glaube. Eine Besserung des Krankheitsbildes ist wahrscheinlich nicht zu erreichen, bestenfalls eine Verlangsamung. Also was soll ich hier?“ An den anderen vielen Schlaganfallpatienten, Amputationspatienten und Verbrennungsopfern war eine fast tägliche Besserung zu sehen, und bei mir: nichts. Aber im täglichen Klinikalltag begriff ich immer mehr, dass mir diese Anwendungen, gerade aus dem sportlich gymnastischen Teil, sehr gut tun. Abgesehen mal vom Gewichtsverlust hatte ich weniger Schmerzen in Muskeln und Gelenken, zugleich spürte ich ein stärkeres Selbstbewusstsein. Viele Parkinsonpatienten leiden an Depressionen, welche oft dramatische Auswirkungen haben können.

„Sand“ – Die Zöllner

Reha-Alltag
Der innere Schweinehund hatte gar keine Chance, weil sich alle Therapeuten sehr große Mühe gaben, damit es mir besser geht. Alle waren flexibel, zum Beispiel baute Ergotherapeut Torsten auch mal Trommelstunden ein, um die Motorik zu verbessern, weil er im Gespräch erfahren hatte, dass ich mal Schlagzeug gespielt hatte. Oder die gesamte Physiotherapie, die bei allen Übungen, die auch schweißtreibend waren, den Spaß nicht vergaß. Für mich als schwergewichtiger Patient war auch die Wassergymnastik sehr wichtig, weil ich gelenkschonender arbeiten konnte. Obgleich ich bei vielen Übungen als Parkinsonpatient wegen fehlendem Gleichgewicht nicht folgen konnte; das war egal, der Spaß machte diese Übungen dann letztendlich doch erfolgreich. Als Ausgleich zu den schweißtreibenden Anwendungen gab es mehrere Hitzepackungen und angenehme und intensive Hals-Rückenmassagen, um die jahrelang angesammelten Anspannungen wieder aus dem Hals-Schulter-Bereich sowie aus Körper und Rücken zu bekommen. Und nicht vergessen möchte ich auch, auf die entspannenden Relax-Massagen hinzuweisen, die gerade uns als Parkinson-Patienten sehr gut tun.

Zu einer rundum erfolgreichen Reha-Behandlung gehört natürlich auch eine gute Küche. Und die gab es hier wirklich. Morgens und am Abend gab es ein sehr ausgewogenes und sehr reichhaltiges Buffet. Mittags konnte man aus drei Gerichten wählen. Ich hab hier viel Fisch gegessen und konnte anhand der Gerichte auch immer eine schonende Vollwert- oder Diabeteskost wählen.

Ganz wichtig sind auch die täglichen Unterhaltungen, Begegnungen und Diskussionen im Klinikalltag. Man hat sich ausgetauscht, es wurde einem zugehört und man konnte sich auch Erfahrungen anhören oder um Hilfe bitten, wenn einem im täglichen Anwendungsalltag der Durchblick fehlte. Überhaupt ist eine Reha-Klinik ein Faszinosum, denn hier sitzen Menschen an einem Tisch, die sonst im gesunden Alltag nie zusammen finden würden. Alle Berufsgruppen, alle Jahrgänge und alle sozialen Gruppen, arm oder reich, sitzen hier zusammen und unterhalten und helfen sich auch gegenseitig: Es gibt Tipps für die Reha, aber auch Wissen im Kampf um sozialrechtliche Ansprüche im täglichen Behördenstress. Es bilden sich auch kleine Interessengemeinschaften, die zwar nur von kurzer Dauer sind, und oft auch mit Abschiedstränen enden, aber im gesamten Heilverfahren sicherlich auch nicht ungünstig zu bewerten sind.

Es gibt nicht nur dich
Die Patienten kamen und gingen, ich beobachtete viel, weil ich mich während der Anwendungspausen oft in der Kliniklobby aufhielt und versuchte, Parkinson-Patienten auszumachen, aber ich war wohl der einzige unter den circa 300 Patienten. Beim Zuschauen kommt man natürlich auch mit anderen Patienten ins Gespräch und stellt fest: Es gibt nicht nur dich, der du unheilbar krank bist, es gibt auch noch andere Patienten, denen es ähnlich geht, wie zum Beispiel Menschen mit Multipler Sklerose oder ALS. Und alle die ich getroffen habe, waren froh, hier in der Klinik zu sein. Allein schon, um sich mit anderen Patienten auszutauschen, und es war deutlich spürbar, wie einige extrem sicherer und selbstbewusster wurden. Viele berichteten, dass sie jedes Jahr einen solchen Klinikaufenthalt machen würden, weil es einen positiven Schub gäbe.

Aufprall in der heimischen Realität
Inzwischen wieder zuhause, hatte ich Probleme mit der Wiedereingliederung in das häusliche Umfeld – der Alltag hatte mich wieder. Das täglich „Rundumumsorgtsein“ kann abhängig machen. Ein gesunder Mensch mag das anders sehen, gut möglich, aber ich hab es als äußerst positiv empfunden. Nun haben wir, meine Frau und ich, alle Weichen für die Zukunft gestellt und warten darauf was kommt. Der Reha-Abschlussbericht ist da, und sagt aus, dass ich weniger als drei Stunden arbeiten kann, eine insgesamte Verlangsamung der Bewegung festgestellt wurde und, und, und. Ergebnis: Erwerbsunfähigkeit. Was mit einer geringen Rente und gesellschaftlichen Abstrichen einhergehen wird.

Parkinsonsche Stimmungen
Im Moment bin ich noch krankgeschrieben und weiß eigentlich noch nicht, wer jetzt den Rentenantrag stellen muss, es gibt widersprüchliche Aussagen. Dieses in der Luft hängen ist nicht gut für mich, ich spüre bei jeder kleinen Aufregung den Parkinson, der mir täglich zeigt, wo meine Grenzen sind. Ich will das nicht und weiß aber auch genau, dass diese Parkinsonschen Stimmungen nicht besser werden, sondern sich eher verschlimmern und andere noch hinzukommen werden.

Blick nach vorn
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass meine Frau und ich den neuen Weg gemeinsam und mit positiven Weitblick gehen können, dass ich medizinisch in guten Händen bleiben kann, dass mein gesamtes Umfeld erhalten bleibt und dass langfristig gesehen der Parkinson nicht näher kommt, sondern auf Abstand bleibt. Also insgesamt gesehen ist ein Reha-Klinik-Aufenthalt für nichtheilbare Krankheiten sehr sinnvoll, weil dort durch gezielte Maßnahmen die Krankheit zwar nicht geheilt werden kann, aber gezeigt wird, das Leben mit der Krankheit etwas erträglicher und vielleicht auch lebenswerter zu machen. Allein schon der psychische Aspekt, der das Selbstbewusstsein stärkt und uns Kranke in bessere Positionen setzt, um unsere Ansprüche gegenüber der Gesellschaft durchzusetzen.

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Mario Naumann hat diesen Text selbst aufgeschrieben. Er ist von besonders berührender Ehrlich- und Gründlichkeit. Mario Naumann mag Dirk Zöllner. Wir auch. Das ist ein Gesichtspunkt, der verbindet. Und wie.

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