Verwechslung: Höflichkeit und Flirten

1976/13: Redensarten: „Ich will Ihnen ja im Prinzip auch nicht zu nahe treten“ – Von Höflichkeit und mangelndem Respekt!

Verwechslung: Höflichkeit und Flirten

Verwechslung: Höflichkeit und Flirten

Hinsichtlich der Verwaltung eines Mehrfamilienhauses in Berlin-Spandau sagt der Hausbesorger zum Verwalter auf dessen Kritik, die Müllplatzbeschilderung sei noch nicht vorgenommen. Dies sei seit ca. acht Wochen unerledigt beauftragt worden, per Email.

„Ich will Ihnen ja im Prinzip auch nicht zu nahe treten.“

Zur Rede gestellt. Hausbesorger und Hausverwalter sind Compliance-Genossen und zum vertrauensvollen Zusammenspiel beruflich verpflichtet. Sonst leidet die Qualität der Hausbetreuung. Man kann sagen: Das gehöre sich nicht, so etwas zu sagen. Wäre das Standesdünkel? Der Übergebene erbricht, der Untergebene muss schlucken. Wir alle auch. Frei von hierarchischem Denken geht man anders um. Freundlich. Eventuell höflich. Und nun?

Psycho-Logik

Mit Nettigkeit kannste Dir nüscht koofn´ (Berliner Redensart, zur Entschuldigung für „Berliner Schnauze“, die hart aber herzlich sein soll)

Ich will dir nicht zu nahe treten. Rufe laut und verständlich: „Doch, ich will Dir nahe treten.“ Denn der Satz ist ein NoGo, im Arbeitszusammenhang ausgesprochen, impliziert er das Angebot zum unehrlich sein.

Doch nur, wenn er vorgebracht wird in Verteidigungsbereitschaft, bzw. -absicht. Der Satz beinhaltet vorgeschaltete Höflichkeit, als Ersatz für mangelnden Respekt. „Ich stell mir manchmal meinen Chef nackt vor, dann weiß ich, dass er auch nur ein Mensch ist.“ – Eine Mitarbeiterin sagte mal zu ihrem Chef, mit dem sie per Du war: „Ich habe mich daran gewöhnt, dass Du ein Schwein bist.“ – Das ist zwar ekelhaft zu hören, aber wenigstens geraderaus. Der obige Satz ist das krasse Gegenteil dessen.

Es ist der Rest persönlicher Freiheit, denken zu dürfen: „Der kann mich mal.“ Der Verstand ist listig, hinterrücks schafft er sich Rückzugsräume, das Unerträgliche zu ertragen: Vollkommen verantwortlich zu sein, für das was man tut.

Formulierungen, die bedeuten: „Leck mich am Arsch.“ Denn demjenigen ist egal, was Du sagst. Es erreicht ihn nicht.

Rauchen verboten

Er filtert Wahrnehmung wie durch naturbraune Filtertüten. Der so kontert, öffnet nicht die verschlossenen Pforten eigener Wahrnehmung: „Quatsch nicht dummes Zeug. Schweig.“ Bzw. lass mich in Ruhe damit.

Gern kommt die Redewendung als Reaktion auf Unausweichliches. Auf Vorwürfe. Du hast das nicht erledigt, worum ich dich gebeten hatte.

Der in dieser Art in die Ecke Getriebene ist wissend, das die Kritik trifft „wie eine Eins“ Er sagt diesen Satz, der bedeuten soll: „Du bist auch nicht perfekt. Du hast auch Fehler.“

Du erwiderst: „Stimmt, ich habe auch Fehler. Wann möchten wir sie besprechen? Eventuell morgen? Denn jetzt möchte ich erst einmal diesen Fehler ohne Ausflüchte zu Ende klären und erreichen, dass wir uns wieder näher sind.“

Wir nennen es Höflichkeit, nichts zu sagen. Wir könnten etwas sagen, wenn wir ein schlechtes Benehmen hätten. Wir sind die Guten, gut erzogen. Und so sagt jemand: „Ich will Ihnen nicht zu nahe treten.“. Erwidere ihm: „Nein, nein, ich bitte genau darum.“ Sich im Gespräch anzunähern und nahe zu sein ist gut: Es gibt nichts besseres. Nur darum geht es in jedem guten Gespräch.

Will dir nicht zu nahe treten! – Na, dann tue es auch nicht und hör mir zu. Du hast mich nicht ernst genommen. Du hast diese Sache nicht erledigt. Das allein bleibt es. Nicht mehr und nicht weniger. Über alles andere sprechen wir an einem anderen Tag. Wenn du mir endlich wieder näher treten kannst. Mit gutem Gewissen.

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