1378/11: Elternabend: Am Droste-Hülshoff-Gymnasium in Berlin-Zehlendorf geht es um Lehrerballett und Elternskills

Skurril: Eltern & Rosétrinker (Zitat des Tages)

Skurril: Eltern & Rosétrinker (Zitat des Tages)

„Kind, mach bitte deine Schule ordentlich, ja? Sonst musst du später Straßenmusiker werden.“ -„Au ja, Mama, fein! Aber, Mama, für Straßenmusik braucht man Abitur, oder?“

Irgendwie ist jetzt Alltag eingekehrt. Seit Beginn dieses Schuljahres haben sich die Kinder in der neuen, siebenten Klasse am Droste-Hülshoff-Gymnasium irgendwie eingelebt. Ihre Schulsituation hat sich stark geändert. Aus der Grundschule „mit Dank entlassen“, hoffen sie nun auf ein Abitur „in spe“. Doch langsam: Zuvor gilt es ein Probejahr durchzuhalten und in die Klasse 8 versetzt zu werden. Erst mit Bestehen des Probejahrs, früher Probe-Halbjahres, gilt man als „aufgenommen am Gymnasium“. Die Versetzung reicht. Ein Jahr der sorgfältigen Prüfung. Gut Ding will Weile haben.

_seitentrenner Flugzeug

[iframe_youtube video=“kONigDUkUZw“]
Rupert’s Kitchen Orchestra Live im Quasimodo – Schüttel das (via Youtube) 

Alle mal schütteln, alle mal schütteln, alle mal schütteln, alle sagen: Schüttel das! #Rupert´s Kitchen Orchestra #Lyrics

Die Eltern der heranwachsenden, inzwischen Pubertierenden sind schon irgendwie gesettled, angekommen im Eltern sein. Sie schauen nicht mehr so dämlich dienstbeflissen drein, wenn die Klassenlehrerin vorn wichtige Dinge erzählt. Inzwischen ist alles ein Stück relativer. Okay, einige melden sich immer und haben fast zu jedem Thema was zu sagen. Das wenige, was Eltern an solch einem ersten Elternabend sagen, ist erstens schon mit Lampenfieber der Podiumsredner getränkt. Man kennt sich noch nicht. Und zweitens schärft schon das den Eindruck. Der Anderen. Sie schauen aufmerksam zu. Sie bilden sich ihre Meinung.

Ist der Redebeitrags-Geltendmacher ein Schönredner, ein Hasardeur? Blickt aus dessen Augen ein eitler Fatzke? Oder ein selbstloser, liebender und deswegen besorgter Vater? Hat der Vater schon im Überfluss Intelligenz gepachtet und deswegen ist die Tochter auch auf dem Gymnasium? Ist das Gymnasium am Ende doch ein Beweis für eine „bessere Herkunft“ aus gutem Elternhaus? All das schwummert als Gesichtspunkt im Klassenzimmer herum. Und übrigens auch die Mücken, davon nicht wenige. Einer klatscht fleißig in die Hände, nicht um zu applaudieren. Manchmal erwischt er eine Mücke und das war´s dann für die Mücke. Klatsch, tot. Die anderen Mücken sterben jetzt bald, denn es wird kälter. So wie die guten Vorsätze der Eltern, routiniert.

Am Eingang des Elternabends, also eingangs, das ist wenn alle reinkamen und alle sich setzten, die Tür aber längst zu ist, gibt es an die Wand geworfene Fotos von der ersten Klassenreise. Die Bilder hinterlassen keine Flecken, sie bestehen aus eingefärbtem Licht. An der Decke hängt ein Beamer und die Klassenlehrerin hat einen PC am Lehrertisch und eine Fernbedienung. Multimedia ist angekommen in den altbackenen Schulräumen, Windows Sieben hängt wie Pik Sieben vor dem Bildervortrag. Die 7. Klassen sind gleich am Anfang ihres Bestehens auf eine Klassenreise verreist. Um sich gleich kennen zu lernen und nicht erst später.

[iframe_youtube video=“lCram3WUCUc“]
Ausschnitte aus dem Super 8 Film „Berlin K40“ von Joachim Meinicke, Schnitt: Andreas Meinicke, Musik: Rupert´s Kitchen Orchestra (via Youtube)

Heute Abend sind alle Eltern gekommen, auf den ersten Blick fehlt niemand, auf den zweiten wissen wir es nicht genau, denn was alle Eltern gemeinsam haben, habe auch ich, und das ganz aktiv: ich habe noch keinen Überblick. Es sieht nur so aus, als wären alle erschienen, nicht alle pünktlich, einige regelrecht zu spät. Sie sind noch voller guter Vorsätze. So wie die neuen, alten Lehrer, die schon seit Jahren ihre Dienste hier schieben. Obwohl sie es seit Jahren tun, machen die Lehrer alle und ohne Ausnahme einen guten, engagierten und dienstbeflissenen Eindruck. Es ist, als dienten sie in Liebe. Zur Sache der ihnen anvertrauten Kinder.

Hervorhebenswert ist der „Auftritt“ des Musiklehrers Herrn Wiesel (* Name geändert). Während er noch auf seinen Auftritt wartet, weil die Vorrednerin die Eltern sorgsam benetzt mit Wissenswertem über das Schulfach „Ethik“, steht er unauffällig im hinteren Halb des Klassenzimmers an der Wand. Doch als die Hauptregisseurin dieses Elternabends ihm souffliert, rennt er regelrecht strikt nach vorn und gibt seinen Auftritt gekonnt. Dazu ruft er, ohne schon vorn angekommen zu sein: „Bitte stellen sie sich hin“ und dreht sich vorn angekommen mit dem Gesicht zur Klasse. Es geht ihm jetzt um „den Puls“ seiner Sache, der Musik, rechtes Bein, linkes Bein, hüpf und seit, schluss hopps und links und rechts, ich überlege, wie viel „beats per minute“? Rhythmisch ist das noch nicht vertrackt. Heute Abend gibt es Geschlechterproporz: Mutti und Vati sind Bewegung, Frauenbewegung, Männerbewegung, ich liebe es, so lange es rhythmisch ist. Und damit erinnere ich an den Kündigungsgrund für den Radio DJ Lord Knut.  Schwierigkeiten bereitet den ersten dann das „Nachklatschen“ zum Puls. „Alle mal schütteln, alle mal schütteln, alle mal schütteln, alle sagen: Schüttel das!“

Wir verstehen den Rhythmus vom Puls -eins-zwei-drei-vier- und dann addiert der Mann, flink wie ein Wiesel, Klatschkombinationen vom handclap und später auch vom „body talk“ (auf Brustkorb usw.) hinzu. Die Vorbelasteten unter uns erkennen Viertel, Achtel undsoweiter, auch Triolen zak-zak-zak und bumms-klatsch, nennen wir das Claven. Weil der ganze Elternabend nun aufgestanden ist und Eltern im Grundsatz keine begnadeten Tänzer sein müssen, führt das vorgeführte, rhythmische Elternballett von Herrn Wiesel nach ca. vier Minuten Darbietung zum abschließenden „danke schön“ seinerseits. Das Elternballett wechselt nun zurück zum Modus „Lehrerballett“, alle artig nacheinander vorstellen. Aufgewärmt, nachgewärmt und noch pulsierend in uns Rhythmus und wir verstehen, wie man sich fühlt, wenn man Musik fühlt. Aha. Das stimmt. Dieser Gesellschaftstanz der Eltern, das war die erste Pina Colada des Abends, ein Erfrischungstanz, allerdings ohne Eis, im Schweiße unseres Herzbluts. Eltern haben Skills.

Während Herr Wiesel die weiteren, musikalischen Gesichtspunkte seines Lehrauftrags verdeutlicht, stehen schon artig die weiteren Fachlehrer anderer Unterrichtsfächer in Reih und Glied. Sie haben heute viel zu tun. Irgendwie postsozialistisch finden heute alle Elternabende der Siebenten Klassen statt und die Lehrer werden von Zimmer zu Zimmer rumgereicht. Artig vorstellen. Gute Idee das.

Nach dem systematischen Vorgestelle der einzelnen Fachlehrer und anschließendem „Danke schön“ und Applaus der Eltern übernimmt die Klassenlehrerin wieder das Zepter und dirigiert einem unklaren Ende des Elternabends entgegen. Das Thema „Wahl von Elternvertretern“ steht auf der Agenda und bedarf einer gekonnten Wahlleitung durch einen Wahlleiter. Niemand will das machen, schließlich erklärt sich eine Frau, Hauptberuf Mutter, bereit, es zu tun. Darin ist sie nicht sonderlich geübt. Meinen Antrag auf  „en bloque“-Abstimmung beider Kandidaten kontert sie mit „Gern“ und verliest dann separat abgestimmt „dafür-dagegen-Enthaltung“ für die zwei zur Wahl stehenden Eltern. Von wegen Blockabstimmung. Jetzt steht es in einem Blog. Dass es überhaupt Kandidaten gibt, ist schließlich das einzige, wesentliche Verdienst meinerseits. Hervorhebenswert ist, dass im Fach Englisch von „fünf Skills“ die Rede ist, die man zu beherrschen habe. Aha. Skills. Wie viele Skills benötigen eigentlich Eltern? Proud to be a Local Hero, beginne ich zu entwerfen! Nur im Geiste. Sage heute Abend nicht, was ich alles denke! Tut nichts zur Sache tun. Die erklären mich sonst für verrückt.

Nachdem die Frage der Wahlleiterin nämlich fast ungehört verhallt, wer wen vorzuschlagen beabsichtige und ob sich jemand selbst für dieses Amt zur Verfügung stellt, passiert gar nichts. Da beschließen wir, schon um einem baldigen Ende dieses Elternabends behilflich zu sein, unsere ganze berufliche Reputation als geübter Versammlungsleiter in die Waagschale zu werfen – to throw all my skills as community leader in to the weight can? Würde man das so sagen? Ab sofort wird es lustig: ich melde mich mit gut zu hörenden, systematisch das Klassenzimmer durchdringenden Wortbeiträgen. Alle Beiträge sind bewusst lust- und spaßdurchtränkt, die Anderen lachen. Schüttel das! Be locker! – Ihre Verkrampftheit und mangelnde Lockerheit endlich abwerfen, to throw away a summary of minus moods! – Ich sage, mit dem nackten Finger auf eine Mutter zeigend: „Diese Frau hat den ganzen Abend über äußerst präzise und gekonnte Wortmeldungen gemacht, die ist ideal für das Amt!“ Gelächter.

Wäge sorgfältig ab, was du beabsichtigst, in die Waagschale zu werfen. #Zentaurismus meinerseits, soeben selbst entworfen © Bloggwart, 2011, zu Zentaurismus google-Abfrage

Eine andere Kandidatin, auf die ich zeige, ist Frau Hugendubel (* Name geändert). Sie ist mir seit Jahren als äußerst zuverlässige Verwalterin der Klassenklasse aus Grundschulzeiten bekannt, da stimmte die Abrechnung immer auf den letzten Cent. Gelächter. Eine andere Mutter hat rote Haare und vor sich ein Schild, auf dem Tom steht, das ist ihr Sohn. Ich rufe ins Klassenzimmer: „Ich könnte mir nichts schöneres vorstellen, als Sie als meine Klassesprecherin!“ Gelächter. Sie winkt sofort ab und sagt, sie hat keine Zeit für sowas.

CD "Wir wollen keine Party" (Quelle: Rupert´s Kitchen Orchestra)

CD "Wir wollen keine Party" (Quelle: Rupert´s Kitchen Orchestra)

Schließlich verhaften die Eltern zwei Elternvertreter und zwei Elternvertreter-Vertreter mit „einfachen Mehrheitsbeschlüssen“, die einstimmig und allstimmig mit einer Enthaltung (des Gewählten, aha, fein!) ausfallen. Das Ergebnis wird in kein Protokoll geschrieben, sondern an die Tafel mit Tafelkreide. Eine Beschlusssammlung der Elternabende ist hier nicht vorgesehen. Das Entscheidende aber war: Ich habe mit meiner beruflichen Erfahrung Schwung in die „müde Masse Elternfleisch“ (engl. „parent meat“) gebracht und die Menschen dazu bewegt, ihre Lethargie abzustreifen. Wenn ich was kann, dann war es schon immer, den Klassenclown zu geben. Ich muss aufpassen, sonst ist mein Ruf ruiniert.

Hinter mir sitzt die als Schauspielerin bekannte Mutter einer anderen Tochter. Sie fragt mich: „Was sind sie von Beruf?“ Ich sage die Wahrheit, ohne zu flunkern: „Ich leite beruflich oft Eigentümerversammlungen, deswegen sind mir solche Wahlen vertraut.“ Sie lacht und sagt: „Ich hätte gedacht, sie sind Aufnahmeleiter!“ Aufnahmeleiter beim Film? Müssen die auch so sein wie Wohnungseigentumsverwalter? Den Haufen zusammenhalten und dafür sorgen, dass endlich was passiert, weil alle irgendwie jeck sind? Na ja, Aufnahmeleiter, okay, ich denk mal drüber nach, wär wohl auch nicht so schlecht. Der Abend ist endlich vorüber. Alle rennen auseinander, es folgt der schmerzlichste Prozess des gesamten Abends: die Auflösung. In Salzsäure.

[iframe_youtube video=“syrUI1ubn7w“]
Rupert’s Kitchen Orchestra – Skankin‘ Karl Marx Str. U-Bhf. (via Youtube) 

English for Runaways, Englisch für Fortgeschrittene: „Rupert’s Kitchen Orchestra performs on a crosswalk on Karl-Marx-Str., Berlin/Neukölln. Filmed by Cem Mete.“

Wenn das Kind dieses Video vom „Skankin´“ –to skank is a form of dancing- sieht, wer weiß: Straßenmusik scheint Spaß zu machen. Skankin´oder Buskin´: ach, die Welt ist voller Fachbegriffe und Anglizismen. Oder sie wird Schauspielerin? Und ich ihr Aufnahmeleiter, Talent dazu hätte ich ja, weiß ich seit heute Abend. Das Rupert´s Kitchen Orchestra hat allerdings erklärt: Wir wollen keine Party! So heißt jedenfalls der aktuelle Tonträger des Quartetts aus Berlin.

Weblotse

 (EP)

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.