1328/11: Kritik: Der Guttenberg-Aspekt einer Fällung von Saalweiden in Berlin-Schöneberg #Skandale

Merke: Eine Ulme ist keine Saalweide. Und umgekehrt. #Gärtnerwissen

Es ist richtig, dass schon seit Jahren das Bemühen der öffentlichen Verwaltung dahin geht, holzfreies Papier zu verwenden. Rettet die Bäume! Und doch ist „holzfreies Papier“ hart und nicht „alt wie ein Baum“. Die Saalweide im Hofe des Mehrfamilienhauses in Berlin-Schöneberg einer Wohnungseigentümergemeinschaft steht da schon seit Jahren dumm rum. Eigentlich ist es ein ansehnliches, schönes Stück, aber es wächst. Flachwurzler oder Tiefwurzler? Keine Ahnung.

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Es gilt wohl die Bloggwartsche Relativitätstheorie: Der Fortschritt ist eine Schnecke (näheres dazu hier)

Der Sachbearbeiter vom Amt für Natur und Umwelt, Fachbereich Umwelt, fertigt seinen Bescheid antragsgemäß aus. Auf den Antrag von 01.06.2011 erfolgt jetzt am 02.08.2011 (Bearbeitungszeit: zwei Monate) die Ausnahmegenehmigung zur Fällung des Baums. Mit ganz überraschenden Details.

Wir freuen uns, dass der Name des Sachbearbeiters vor Hoffnung „schon grün“ anmutet. Es gibt in Berlin mehrere Platzhirschen unter den stadtweit bekannten Gartencentern. Dazu zählt Tentrup, aber auch Pluta und noch ein paar andere tümmeln sich im „grünen Geschäft“. Dass nun der Sachbearbeiter, der unseren Antrag bearbeitet, wohl rein zufällig einen der „großen Berliner Namen“ im Grüngewese trägt, na klar, warum nicht? Es ist auch „Situationskomik“, jedenfalls solange man noch zu lachen weiß.

Wir finden heraus, dass „alle Berliner Grünämter“, die sich mit Baumfällungen befassen, ihre „Gehölzwerte“ aus demselben Unternehmenskatalog der Fa. Lorberg Baumschulen entnehmen. Warum das so ist und was Lorberg dafür tun musste, um sozusagen als „grüne Referenz“ von stadtweiter Relevanz aufgetischt zu werden, entzieht sich unserer Kenntnis. Auch unsere Nachfrage bei einer anderen Sachbearbeiterin des Grünflächenamts erhellt das nicht. Sie weiß es nicht. Ist Lorberg für Berlin, was TEMPO für ganz Deutschland ist, das unzerschnittene Taschentuch der Garten- und Landschaftsbauern? Immerhin heißt es ja auch nicht, man fahre einen Mercedes, wenn man ein Auto meint. Allerdings „kärchert“ man einen Hof, mit welchem Gerät auch immer.

Der Guttenberg-Aspekt (Überschrift) gelangt aber schließlich hinein, wenn wir die „insgesamt sieben Textseiten“ der holzfreien Bescheid-Verschickung per Analogpost gegenwärtigen. Zunächst ist das Crossmedia, denn unsere Anfrage erfolgte komplett papierfrei: eine Datei mit der Endung „pdf“ wurde als „Brief ohne Papier“ an das Grünamt gesendet, die Antwort erfolgt „natural“, wie gesagt. Die Stadt ist noch immer nicht darauf eingerichtet, digital Vorgänge abzuwickeln. Jemand setzt sich hin, fischt aus einem Windows-PC eine Anzahl von Textbausteinen und Briefvorlagen heraus und glaubt nun, einen Vorgang als Behördenbescheid versenden zu können, der dem Anliegen des Bürgers Befriedigung verspricht.

Seit EDV in Verwendung ist, werden die Bescheide immer länger und unübersichtlicher. Sie strotzen vor Belehrungen, die niemand lesen will und was mitzuteilen in vier bis sechs klaren und kurzen Sätzen möglich wäre, versteckt sich vorliegend in sieben Textseiten, natürlich mit Rechtsmittelbelehrung. Das ist so gerecht wie unglaublich blöd.

„Die Genehmigung wird erteilt, weil der Baum Nr. 1 in versiegeltem Umfeld steht und mit seinen oberflächennahen Wurzelausläufern den Pflasterbelag im Innenhofbereich stark anhebt und damit unbenutzbar macht.“ (Begründung des Amts)

Soweit stimmt die Begründung, der wir uns sicherheitshalber anschließen. Allerdings ist „Baum Nr. 1“ nicht, wie ausgedruckt, eine Ulme im Stammumfang von „79/93“ (zwei Stämme), sondern eine einstämmige Saalweide mit anderem Maß, gemessen 1,30 m über Erde. Völlig losgelöst davon fragen wir uns als „gärtnerische Laien“, ob uns eine Bildungslücke gefangen hält? Wir fragen nochmals im Büro herum. „Ist eine Ulme auch eine Saalweide?“ – Neulich fotografierten wir Astern im Garten, aber es waren keine Astern, die derzeit nicht blühen, sondern Dahlien. Shit happens.

Gärtnerei ist nicht unser Kerninteresse. Und dann folgen diese Gesichtspunkte rechtschaffenden Verwaltungshandelns, die zu hinterfragen sich im vorliegenden Fall durchaus lohnen wird. Die Ersatzpflanzung eines Baums als Ersatz für die nichtvorhandene, zweistämmige Ulme kostete lt. Lorberg-Baumschulen einen Nettowarenwert von 702,- EUR. Sofern von der Ersatzpflanzug abgesehen werden soll, ist eine Ausgleichsabgabe im doppelten Wert von 1.404,- EUR zu zahlen.

Das klingt gerecht, ist es aber nicht. Denn die Frage ist: Warum kostet das 702,- EUR? Denn könnte nicht auch anderswo, als im Katalog von Lorberg-Baumschulen etwas besorgt werden, durch diversifizierende Angebotseinholungen? Und doch ist dieses nur oberflächlich richtig. Denn bereits im Grundsatz ist dieser Bescheid in sich falsch. Wir lesen wie zufällig noch weiter und weiter und auch aus grundsätzlichen Erwägungen. So etwas haben wir nicht jeden Tag auf dem Tisch und richtig gut wir Arbeit erst, wenn die sie treibenden Kräfte von grundauf verstanden werden. Eine Ulme bleibt übrigens eine Ulme und eine Saalweide ist eine Saalweide und wird niemals zu einer Ulme. Das ist eine ganz wesentliche Erkenntnis dieses Tages.

Lasen wir vorher noch gedankenverloren auf Seite 2 des sieben Seiten umfassenden Bescheidwerks herum, sind wir nun schon auf Seite 7 von sieben Seiten. Und dort ist etwas, das aussieht wie die Zeile aus einem Tabellenkalkulationsprogramm, aus Excel oder Open Office. Es sieht so aus:

Berechnung Gehölzwert und Ausgleichsabgabe (Quelle: Amt für Natur, Berlin)

Berechnung Gehölzwert, Ausgleichsabgabe (Quelle: Amt für Natur, Berlin)

(aufs Bild klicken für Großansicht)

Der Bescheid sieht also richtig und in sich schlüssig -vom Anfang bis zum Ende- aus, nur:

– Wir haben eine Saalweide. Keine Ulme.

– Ein Baum ist ein Baum und nicht zwei oder drei. Einen Baum durch drei neue zu ersetzen, kommt uns nicht zielführend vor.

– Unser ist nicht so dick. Ob Bäume mehrstämmig austreiben, obwohl sie nur eine Wurzel besitzen, ist zu vertiefen.

Kurzum: Wir sind hier insgesamt einem Plagiat von sieben Seiten Text- nicht Stammumfang aufgesessen. Herr „Gartencenter“ vom Amt für Umwelt hat guttenbergsches „Copy & Paste“ auf erkennbar niedrigem Niveau veranstaltet, wofür er gern Gebühren beanspruchen möchte und Gehölz- und Ausgleichsabgabebeträge ermittelt, die von grundauf zu hoch, falsch und zu Unrecht erhoben werden. Die spannende Rechtsfrage, ob nach dem Verstreichen der Rechtsmittelfrist der Bescheid mit Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden könnten, müssen wir nicht vertiefen. Wir haben ja noch fristgemäß gelesen. Niemand von uns hatte die Absicht, einen solchen Bescheid von Anfang bis Ende durchzulesen, und doch hatte Walter Ulbricht einst ähnliches gesagt und dann stand viele Jahre eine von niemandem ernstlich gewollte Stadtbegrenzungsmauer um Berlin herum und teils sogar mittenmang.

Der neue Bescheid wird anders aussehen, soviel ist sicher. Vielleicht wird er auch richtig sein. Kürzer aber mit Sicherheit nicht.

Sehr geehrtes Amt, bei Überprüfung Ihres Bescheides habe ich Guttenbergsche Fehler festgestellt, die im Ergebnis zur Aufhebung und einer Neuausfertigung führen müssen. Bitte fassen Sie sich bei dem richtigen Bescheid deutlich kürzer, da ich es mir nicht leisten kann, zwei mal sieben Textseiten Bescheid sorgfältig durchzuarbeiten. Bereits mit dem falschen Bescheid musste ich dies tun. Hierdurch sind meinerseits Bearbeitungsgebühren in Höhe von 75,20 EUR für behördlich veranlasste Doppelarbeit entstanden, die ich bei der Gebührenberechnung Ihres Hauses für den richtigen Bescheid der Einfachheit halber in Abzug bringen werde. Ich bitte um gleichlautende Buchung. Herzlichen Gruß, Michael Kohlhaas (* Name geändert)

Lust auf solche atemberaubenden, spannenden Beschäftigungstherapien, Perlenketten goldglänzender Arbeitszeiten-Kontingente mit „untergeordnetem Gehölzwert“ hat niemand und doch muss man sie sich nehmen. Weil die Welt so umfassend gerecht ist, das Bürger Bescheide erhalten müssen, die jede Eventualität textlich in sich bergen. Nein, ein solcher Bescheid könnte, bei guter Organisation der öffentlichen Verwaltung, inzwischen leicht zusammengekürzt werden auf maximal ein, eineinhalb Textseiten. Warum macht sich niemand dort die Arbeit, die Bescheide einzukürzen auf eine lesbare Länge und warum benützen Behörden Briefdokumente-Vorlagen mit den Daten anderer Grundstücke, schicken sie heraus und lassen sie rechtskräftig werden, wenn´s keiner merkt?

Arbeitsqualität lässt sich eben gerade nicht beliebig vervielfältigen, stellten wir dazu hier fest

Dass die wenigen „individuellen Textstellen“ eines solchen standardisierten Bescheids überhaupt unbeanstandet die Postversendestelle des Bezirksamt erreichen, zeigt daher die großen Schwachstellen in der Arbeitsorganisation von öffentlichen Verwaltungen, die dem Inhaltlichen ihrer Tätigkeit lustlos, überfordert und letztlich nur „irgendwie erledigend“ hinterherjagen. Okay, es ist bekannt. Die Stimmung im öffentlichen Dienst ist ausgesprochen mies. Das färbt ab, bzw. schlägt durch.

Und schließlich wird uns beim Recherchieren für diesen Beitrag eines vollkommen klar. So unsinnig lang und vermeintlich offen/transparent auch der Genehmigungsbescheid ist, enthält er eine frappante „Eventualitätenlücke“. Denn die Fa. Lorberg Baumschulen hält eine goldrichtige Überlegung für vermarktungsreif: Rent A Tree, wir mieten uns einfach unsere künftige Hofbegrünung und wenn sie uns nicht mehr gefällt, kündigen wir den Mietvertrag. Keinen Ärger mit Behörden! Für die aber gilt: Macht eure eigene Arbeit einfacher, kürzer, präziser und letztendlich erst damit verständlich!

Man nennt den Kern eines Geschmacks die „Stammwürze“, das ist der Baum, der weg soll und die Überlegung im öffentlichen Interesse, dass ein neuer Baum den wegfallenden ersetzt. Vielmehr muss ein solcher Bescheid nicht enthalten und das muss richtig sein, worauf der Bürger einen Rechtsanspruch hat. Das gilt für Bäume, wie für Ersatzbehausungen von Sperlingen, Fledermäusen, Nebelkrähen und Aasgeiern und erst recht den Öffentlich-Rechtlichen.

 

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