Guten Morgen, Deutschland – Niederst-Temperaturen, Grauzonen und (m)eine Eisprinzessin


Grauzone, 1981 – Ich möchte ein Eisbär sein (via youtube)

Die Temperaturen dieser Tage lassen sich als ein bisschen ungemütlich beschreiben. Heute Morgen waren es Minus 12 Grad Celsius. Eins ist heute allerdings erfreulich: Ich habe heute Morgen eine richtige Eisprinzessin gesehen.

Sie heißt Nicola R. und fährt tagaus tagein und bei jeder Witterung mit dem Fahrrad aus dem äußersten Süden von Berlin in den -gelinde gesagt- etwas nördlicheren Teil von Zehlendorf zu einer Grundschule, wo sie ihren Dienst als Lehrerin versieht. Täglich. Während inzwischen viele Menschen morgens erst am PC nachsehen, was wetter.com oder ein vergleichbarer Internetdienst für Wetter prognostiziert, anstatt die Tür aufzumachen und zu fühlen, fährt Nicola R. bei jedem Wetter mit dem Fahrrad auf einen geschätzt 8 bis 10 km langen Arbeitsweg zur Schule. Man kann allerdings nicht sagen, dass sie keinen Internetanschluss besitzt. Nur einmal, letztes Jahr, fuhr sie ein paar Tage mit dem Auto. Eine Sportverletzung. Es müssen für Nicola R. schon sehr gewichtige Gründe vorliegen, warum sie nicht mit dem Fahrrad… 

Bei ihren Schülern ist sie beliebt. Sie gilt als freundliches Wesen und grüßt immer mit einem strahlenden Lächeln. Zur Witterung passend trägt sie auch während der kälteren Tage dieses Jahres stets stechende, kristallblaue Augen, die kein Wässerchen trüben könnte. Heute Morgen sagte einer: Alle Achtung, und ein anderer ‚Sie ist wirklich eine taffe Frau.‘ Das ist sie.

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Fahrradständer, abgelaufenes Modell

Fahrradständer, abgelaufenes Modell

Ich selbst bin nicht von ähnlichem Holz gestrickt und fahre nicht jeden Morgen, oder auch nachmittags, zur und von der Schule, um eines der Kinder abzuholen. Es wäre natürlich besser, das mit dem Fahrrad zu tun, aber wer will sich schon den A…. abfrieren? Ich nicht. Nicola R. hat einen schwarzen Ganzkörperüberzieher gegen die Witterung, den kann sie vor dem Betreten des Schulgebäudes abstreifen und einpacken, drunter passende Kleidung fürs Alltagsgeschäft. Sie ist mit einer gewissen Pragmatik und auch mit zweckentsprechender ‚Arbeitskleidung‘ ausgerüstet, was das Absolvieren eines längeren Arbeitsweges auf dem Fahrrad angeht. Das Tragen von verschiedenen Schichten Kleidung zur optimalen Temperierung des Körpers bei jeder Gelegenheit nennt man layer-Technik. Wahrscheinlich ist sie Extremsportlerin, Wildwasser-Kanutin oder Degenfechterin mit Olympia-Qualifizierung oder schlicht Iron Woman. Sie ist fit wie ein Turnschuh.

Wer so was jeden Tag macht, und sei es auch noch so kalt, verdient meinen Respekt, meine Hochachtung und wird daher zur Eisprinzessin des Monats Januar 2010 gekürt. Den Titel muss man sich verdienen. Ich verneige mich mit tiefem Respekt vor dieser beachtlichen Leistung. Und schiebe die Gedanken an meine eigene körperliche Fitness beiseite. Ich fühle mich manchmal wie ein Eisbär. Nicht so kälteresistent, aber so gemütlich behäbig. Das alles stört meine Eisprinzessin wenig. Ach, wäre ich doch gleichermaßen eloquent und sportbeflissen, dann führe ich morgens hinter ihr her, freundlich klingelnd, auf dem Gepäckträger zwei Kinder. Links und rechts noch eine Satteltasche und ein isotonisches Getränk als Proviant für unterwegs. Mit Sportstrohhalm, eingefroren. Bis es so weit ist, fahre ich doch mit dem Auto zur Schule und zurück. Bewundere die Eisprinzessin. Das Gegenteil von Fremdschämen: fremdfreuen. Derzeit daher kein Grund zu weinen….

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