Stolpersteine sind aktive Erinnerungsbrücken und bedürfen individueller Befragung bei den Bewohnern

Verlegebeispiel (Quelle: stolpersteine)

Verlegebeispiel (Quelle: stolpersteine)

Über das Projekt Stolpersteine ist auf der Website des Büro Gotthal seit längerem gezielt berichtet worden. Und auch auf gesichtspunkte.de wurde das Thema immer wieder neu berichtet, aus den jeweils dort genannten Gründen. Ein Erfahrungsbericht aus Anfang September 2009 berichtet über erste Befragungen und Erfahrungen. Verwalter von Mehrfamilienhäusern müssen derartige Erfahrungen erst einmal machen. Privatleute vielleicht nicht. Oder doch? Wohnungseigentümer kommen in Versammlungen zusammen. Bis die Versammlung stattfindet, legt sich die Verwalterin aufgrund von Anregungen oder aufgrund vollkommen freien, eigenen Ermessens Erinnerungskrümel an, darüber wurde hier berichtet. Was Krümel sind. Krümel sind Gesichtspunkte. Nichts anderes.

Das Projekt Stolpersteine wird von bezirklich unterschiedlichen Projektkoordinatoren betreut, die Einsicht nehmen in das Berliner Gedenkbuch für die Verfolgten des NS-Regimes. Wohnanschriften müssen verzeichnet sein. Eine ganz bestimmte Adresse lässt sich recherchieren. Manchmal muss das Vermessungsamt helfen. Hat die Straße eine Namensänderung erhalten? Wurde sie, nach Einführung der aktuellen GrundstücksnummerierungsVO, umnummeriert. So entgeht kein Opfer des NS-Regimes, das verzeichnet ist, einer nochmaligen, gewissenhaften Recherche.

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Wohnungseigentümer wollen, worüber wir ebenfalls berichtet hatten, vielfach nur solche Stolpersteine sponsoren, die auch einen ganz direkten Bezug zur konkreten Hausadresse haben. Das ist irgendwie auch verständlich, selbst wenn der Berichterstatter darüber etwas anders denkt. Denn ich laufe ja auch manchmal durch Berlin-Mitte, Nähe Oranienburger Str., und dann bin ich tief berührt, wenn ich an jeder Hausadresse gleich ein paar solcher Steine sehe. Überhaupt bin ich nur „durch frischen Wind in meiner Nase“ überhaupt auf diese Idee gekommen, Stolpersteine gezielt zu fördern. Und ich war in Auschwitz.

Da haben früher viele Juden gelebt, in Mitte war was los. Bevor sie alle deportiert wurden. Aber auch Andersdenkende, sexuell anders orientierte Menschen, Zigeuner usw. usw… Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Das Projekt Stolpersteine ist kein Projekt zum massenhaften Gedenken an die umgekommenen Juden, obwohl diese nachweislich die allergrößte Bevölkerungsgruppe der Opfer des NS-Regimes darstellen. Das Projekt erinnert an „alle Verfolgten“ des NS-Regimes an der mutmaßlichen Stelle ihres letzten freiwillig gewählten Aufenthaltsorts (der Wohnanschrift). Die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, hat sich beispielsweise eher ablehnend dem Projekt gegenüber geäußert. Frau Knobloch ist eine sympathische, freundliche Frau mit einer anderen Meinung. Das ist ihr gutes Recht. Ihre Bedenken, Stolpersteine seien eine Missachtung der Opfer, deren Würde werde buchstäblich nochmals mit Füssen getreten“, teilt gesichtspunkte.de jedoch nicht. Wer reinen Herzens ist, empfindet den Anblick eines Stolpersteines rein und nicht umgedeutet als Fußtritt. Er wird zu jeder Zeit und an jedem Ort in angemessener, würdiger Weise an einen lieben, armen Menschen erinnert, der einmal gelebt hat und der vor langer Zeit verschleppt und ermordet wurde. Eine persönlichere Berührung mit ehemals lebenden Menschen und ihrem Gedenken -in liebender Sicht- halten wir anderweitig kaum für möglich, insbesondere nicht, indem man an einem ganz bestimmten Platz in Berlin gesichtslose, schwarz gestrichene Betonstelen durchwandert, an denen sich unbeobachtete Hirnis „auspinkeln“, und geschichtsunbewusste Jugendliche den Walkman über die Ohren streifen, bzw. Handygames spielen. Stolpersteine sind viel kleiner und wenigstens sehr konkret. Ein Mensch, ein Leben. Ein Schicksal.

Zuerst fragst du also an, ob ein Betroffener des NS-Regimes an der konkreten Wohnadresse gelebt hat? Die Antwort kann durchaus „Nein“ lauten. Und dann machst du dir weitere Gedanken, denn du findest den Gedanken wichtig, das Projekt zu unterstützen.

erstens gibt es an der unmittelbaren Adresse (Haus Nr. ) keine Verfolgten des NS-Regimes, derer mit einem Stolperstein gedacht werden könnte,
zweitens stellt sich die Überlegung, ob beispielsweise auch an anderer Adresse (andere Hausnummer) ein solcher Stein beispielsweise durch dich gesponsort werden dürfte?, sozusagen als ein Zeichen in dieser Zeit,
drittens stellt sich noch die Überlegung an, wenn dies nicht, dann eventuell einfach mal im „eigenen Dunstkreis“ zu schauen, ob es nicht möglich, überall woanders auch noch solche Steine bei überschaubaren Kosten zu sponsoren?

Das darf und kann auch die abweichende Wohnanschrift sein. Was man aber wissen sollte:

„Inzwischen (Juli 2009) hat Gunter Demnig über 20.000 Steine in etwa 430 Städten und Gemeinden in Deutschland, den Niederlanden, Polen, Österreich, Tschechien, der Ukraine und Ungarn gesetzt.“ (Zitat aus Wikipedia-Eintrag Stolpersteine)

Wer also über das Delta nachdenkt zwischen 20.000 Steinen und 6 Mio. Opfern, allein in deutschen Konzentrationslagern, der bemerkt, wie weit die Anzahl der Steine und der Opfer noch auseinanderfällt. Würde man noch zusätzlich darüber nachdenken, wie man mit den mindestens 20 Millionen Opfern der Stalinzeit umgeht, so könnte diese Idee fast weltumspannend Platz greifen. Auch wegen Pol Pot in Kambodscha und warum nicht für die Opfer der argentinischen Militärjunta. Diese Frage stellen wir uns in Deutschland nicht, wegen des Michels großer, eigener Nase, an die wir uns aber beherzt fassen dürfen. Wir können aber festhalten: Es gibt genügend Möglichkeiten, angemessene Erinnerungen an personifizierbares Unglück in Deutschland und auf der ganzen Welt zu verlegen.

Es ist naheliegend, dass derartige Überlegungen Platz greifen dürfen. Und sie sollten es auch.