Die Dinge sind im Fluss, oder zerfliessen sie nur? – Von Rathäusern und Internetauftritten in Berlin

Ich selbst - 1986 - IX. Parteitag der SED in Ost-Berlin

Ich selbst - 1986 - IX. Parteitag der SED in Ost-Berlin

(Hinweis: Foto und Bildunterschrift sind nicht echt, diese Art Fotos findest du hier)

Wir kennen seit langem das Internetportal berlin.de. Und wir haben immer wieder auch mit den Bezirksmolochen in unserer tagtäglichen Arbeit zu tun. Große Behörden sind sie, die Rathäuser von Berlin. Nach der Bezirksreform sollte es ja so sein, dass durch die Zusammenlegung zu neuen, größeren Verwaltungsbezirken Synergieeffekte entstehen. Aus Friedrichshain und Kreuzberg wurde nun Friedrichshain-Kreuzberg. Hat eigentlich irgendjemand mal ausgerechnet, wie viel Geld dieser Bezirk einmal für die Gestaltung eines komplett anderen Webauftritts außerhalb von berlin.de ausgegeben hatte, bevor offenbar bezirksübergreifend entschieden wurde, die Rathäuser Berlins in eine Nische der Website berlin.de zu verorten?

Auch neue Wappen mussten mit der Bezirksreform her. Das hat auch Geld gekostet. Und dann so ein Modernisierungsdruck auf dem „Unternehmen Verwaltung“ (Frankiermaschinenaufdruck). Be Berlin, heißt es, aber Berlin ist nicht nur arm, sondern auch sexy. In kaum einem Adressdatenbestand wie dem der Berliner Verwaltungen muss der arme Verwalter fremder Mehrfamilienhausgrundstücke ähnlich viel rumfuhrwerken, wie in den Kontaktdaten der bezirklichen Rathäuser.

***

Da lachen ja die Hühner

Da lachen ja die Hühner

Die grundsätzliche Kommunikationsregel mit bezirklichen Ämtern lautet einigermaßen gewiss: „Rufe niemals dort an, denn dort ist immer eine Warteschleife.“ Wir sind nicht provinziell, deshalb brummt die Schleife in knarzendem Ton zweisprachig. English for runaways, Englisch für Fortgeschrittene. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Den Sachbearbeitern wurde die öffentliche Erreichbarkeit regelrecht entzogen. Vorgeschaltet sind nun Bürgerämter, die diese Bezeichnung weitgehend nicht verdienen. Von wegen kürzere Wege. Verständnisferne, mangelnde Identifikation mit dem Amt. Mach einem öffentlich Bediensteten mal einen Vorwurf. Er kann ja nichts dafür. Es geht ihn ja nichts an.

Schließlich sind auch fast in allen Bezirken neue Telefonnummern eingeführt worden. Immer ging es den öffentlichen Verwaltern nur ums Sparen, nie um den Ausbau und die Verbesserung ihrer Kommunikationsstrukturen. Jahrelang sind die von den Bezirken neu eingeführten Internet-Webauftritte ohne erkennbaren roten Faden zunächst bezirksintern vorprogrammiert worden, um dann wieder unter das Dach von berlin.de zu hüpfen. Die Informationsdichte und die Bedienbarkeit haben erste Anleihen von „durchgängiger Standardisierung“ erhalten. Sogenannte Geschäftspläne sind als pdf-Dokumente downloadbar, wobei sich der Sinn davon Hilfesuchenden nicht gleich erschließt, es sei denn, es handelt sich um BWL-Studenten, die Flowcharts, Prozessmanagement und dergleichen von der Pike auf lernen wollen. Solche Studenten wissen vor allem eins: Verlass dich bloß nicht auf solche Orga-Pläne.

Die Erreichbarkeit der Verwaltung per Email treibt wilde Blüten. Ein Hilfesuchender kann in einem Bezirk darauf vertrauen, dass so genannte Abteilungsaliasse Verwendung finden, beispielsweise „gruenflaechenamt@ …“ oder „standesamt@……“. Das muss aber noch längst nicht in allen Bezirken so sein. Für das Rathaus Neukölln, beispielsweise wurde noch vor kurzem (September 2007) allen Ernstes nach gewissenhafter Recherche hinterlegt, dort habe man an „den webmaster@neukoelln.de“ zu emailen, wenn man Bezirksamtsmitarbeiter erreichen wolle. Das stimmt heute so mit Sicherheit nicht mehr. Auch die URL neukoelln.de führt uns heute (redirected) eher auf eine neue URL (wenigstens das hat man geschafft) namens berlin.de/ba-neukoelln/, aber auch nicht etwa auf berlin.de/neukoelln/ oder vielleicht berlin.de/reinickendoof/ (Beispiel, bitte nicht probieren).

Fazit: Die Berliner Verwaltung ist noch sehr, sehr weit weg von benutzbaren Webauftritten, die sich intuitiv erschließen. Ein Wille zur Verbesserung wird sehr wohl auch bei uns, die wir kritische Benutzer bleiben möchten, erkannt. Aber alles in allem sind die Webauftritte Text- und (das hörten wir schon anderswo) Servicewüsten im Kampf gegen die Erledigung brachliegender Anliegen.

Die Dinge sind im Fluss, aber im Wesentlichen müssen die Bezirkspatrone sehr, sehr aufpassen, dass sie nicht in Bedeutungslosigkeit zerfließen.

***

Update

Immer wieder schön: Vorurteile, die sich bestätigen. Ein solches bestätigt sich, indem wir heute einen Sachbearbeiter bei Natur- und Grünflächendienst des Bezirksamts Neukölln ausfindig gemacht haben. Wir waren schon im Begriff, unsere heutige Systemkritik positiv überwunden zu sehen, doch dann -pardauz- genau das, was wir erwarten. Die Email an den Sachbearbeiter, der Straßenbäume pflegt, kommt vom Postmaster des Bezirksamts zurück, unzustellbar. Sofort schlagen wir erneut bei berlin.de nach und finden die Durchwahl-Telefonnummer. Ein Anruf klärt es auf. Die Dame sagt, der Mann, der da auf der Seite steht, der sei jetzt im Ruhestand. Wir schaffen es, zu dem „neuen“ Mann vorzudringen, der allerdings auch nur noch kurze Zeit diesen Posten inne hat. Wenn wir nur seinen Vornamen noch wüssten, dann könnten wir selbst eine digitale Bastelstunde inszenieren, und die äußerst kryptische Emailadresse selbst zusammensetzen, und das geht so:

Man nehme den Vornamen, setze einen Punkt, gefolgt vom Nachnamen des Sachbearbeiters, sodann einen Klammeraffen (das Zeichen @], gefolgt von BA-NKN., wobei es eigentlich derartige Großbuchstaben im Internet gar nicht gibt. Das bedeutet Bezirksamt Neukölln. Und ‚verwalt-berlin.de‘, das weiß inzwischen jedes Kind in Berlin,  ist der Versuch, der Berliner Verwaltung lesbare Emailadressen anzuschaffen.  Der nicht existierende Mitarbeiter heißt dann also beispielsweise horst-hanspeter.hueckeldoenjes (beachte Umlaute)@ba-nkn.verwalt-berlin.de. Nicht schlecht, oder? Wir wäre es aber mit lesbaren Emailadressen? Okay, ist heute nicht mein Tag.

2 Gedanken zu „Die Dinge sind im Fluss, oder zerfliessen sie nur? – Von Rathäusern und Internetauftritten in Berlin

  1. Pingback: 651/2010: Überrraschende Kaufvertragsklauseln, überraschend für den Verwalter! Der Energieausweis! | gesichtspunkte.de – Hier bloggt der Verwalter…

  2. Pingback: 1070/11: Linktipp: Der SPIEGEL rekapituliert: “Mein Leben in der Warteschleife” – Service-Alptraum Deutschland

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.