Bundesgerichtshof V ZR 158/07 vom 11. April 2008 bejaht Anspruch auf Anbringung Wärmedämmung

Rechtliches

Es gibt ein Thema, das offenbar mehr Menschen auf den Nägeln brennt, als nur dem bloggenden Verwalter namens Bloggwart. Die Frage der Zulässigkeit einer Überbauung eines zum Nachbarn hin zeigenden Giebels, weil Vollwärmeschutz geplant und sinnvoll ist. gesichtspunkte.de hatte hierüber verschiedentlich berichtet. Während zwar die Besucherzahlen dieser Website erfreulich ansteigen, halten sich die Leser als öffentlich erkennbare Kommentatoren eher zurück. Eher als in Form von Kommentaren, die öffentlich nachlesbar sind, wenden sie sich separat und individuell an den Berichterstatter. Ablehnende Feedbacks gibt es nicht. Jeder der sich bemüßigt fühlt, etwas zu sagen, tut es in zustimmender, anerkennender Weise. Die Leute fragen sich, wie gerecht Deutschland eigentlich sein muss, in dieser doch eindeutig lückenhaft geregelten Frage wechselseitiger Zustimmungserfordernisse bei beabsichtigten Wärmedämmmaßnahmen. Der hier und heute dargestellte Fall weicht allerdings etwas ab: es geht nicht um eine im Alleineigentum stehende Grenzwand (Giebelwand), sondern um eine gemeinsame mit einem Nachbarn, wovon der eine von zwei Nachbarn Wärmedämmung beabsichtigt.

Das Thema ist schon sehr erschöpfend behandelt worden (siehe ‚Weiterführende Links‘ unten). Zwei Petitionen waren unterwegs und sind im Ergebnis abschlägig beschieden worden. Der Bloggwart nannte insbesondere die zweite Petitionsantwort des Berliner Abgeordnetenhauses eine solche, die höchst abwägend, maßgeblich vollkommen gerecht und von allen Seiten beleuchtend ausfiel. Man könnte eine derartige Stellungnahme auch die eines ‚Reichsbedenkenträgers‘ nennen: ein solcher wägt die zur Verfügung stehenden rechtlichen Argumente in einer solchen Ausführlichkeit ab, dass am Ende das eigentliche Ziel nicht mehr erkennbar ist. Es sind aber andere Zeiten jetzt: Der Benutzer Reichsbedenkenträger ist bei Wikipedia jedenfalls inaktiv. Begreifen wir also als ein untrügliches Zeichen der Zeiten, dass das bedenkenlose Vorbringen von unberechtigten Bedenken auf Dauer keinen Sinn hat.

Das Ziel ist so einfach wie bestechend: Die Bevölkerung soll wertvolle Ressourcen einsparen (Wärme, Abwärme, CO2-Ausstoss) und die Umwelt auf eine Weise schonen, die dem ‚Stand der heutigen Technik‘ darstellt.

Dass das hiergegen gerichtete Abwehren von Begehrlichkeiten aus Teilen der (denkenden) Bevölkerung in Form einer Stellungnahme des Petitionsausschusses rabulistisch ausfällt, darf indessen nicht behauptet werden. Denn Rabulistik ist nach erst kürzlich gewachsener Kenntnis (des Bloggwarts) in der Juristik eine eher unlauter geführte Auseinandersetzungsart. Andere werden dies sicher längst wissen, indem sie diese Art der Auseinandersetzung gezielt ins Feld führen.

Jedenfalls meldet sich heute wieder ein weiterer Betroffener, wohl Grundstückseigentümer in Berlin und auch Nachbar eines anderen. Es gibt sogar Nachbarn, die sind Grundstückseigentümer! Er zeigt sich sehr gut informiert. Man vermutet, er ist Rechtsanwalt, er sagt, das ist er nicht. Er sei auch nicht Politiker.

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Giebel zum Nachbargrundstück - Vorsicht!

Giebel zum Nachbargrundstück - Vorsicht!

Eine kürzlich ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird uns empfohlen und die bilden wir hier nun ab und kommentieren bzw. erläutern sie. Es ist zu erwähnen, dass die Fortführung eines Weblogs wie diesem nicht nur der Unterhaltung eines Teils unbekannten Publikums dient, sondern auch der eigenen Fortschreibung vorhandenen Wissens.

In dem Rechtsstreit V ZR 158/07 vom 11. April 2008 hat der Bundesgerichtshof folgenden Leitsatz veröffentlicht:

Zitat BGB §§ 745 Abs. 2, 922 Satz 4
 
Der Teilhaber einer gemeinsamen Giebelwand, der an diese (noch) nicht (vollständig) angebaut hat und derzeit auch nicht anbauen will, muss Maßnahmen des anderen Teilhabers zur Wärmedämmung dulden, die dazu führen, dass der freie Bereich der Wand einem den heutigen Erfordernissen entsprechenden Standard entspricht.
BGH, Urt. v. 11. April 2008 – V ZR 158/07 – LG Duisburg – AG Oberhausen

Dem Fall liegt eine gemeinsame Giebelwand auf der Grundstücksgrenze des Klägers (und des Beklagten) zugrunde, der Kläger beabsichtigte, eine 14 cm starke Dämmschicht einschließlich Verschieferung anzubringen. Damit würde dann -im Endzustand- dieses „vorgehängte Konstrukt“ auf das Grundstück des Nachbarn kragen, was eine zustimmungspflichtige Maßnahme darstellt. Der Kläger hat den Beklagten insofern zur Duldung des Anbringens der Fassadenverkleidung und der hierfür erforderlichen Aufstellung eines Gerüsts auf dem Grundstück des Beklagten sowie zur Zahlung von 23,80 € (Kosten der erfolglosen Güteverhandlung) gerichtlich in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen; das Landgericht hatte ihr stattgegeben. Der Bundesgerichtshof hält im Ergebnis der revisionsrechtlichen Nachprüfung folgendes für richtig:

Das Berufungsgericht (Landgericht) hat den Anspruch des Klägers auf Duldung des Anbringens der Fassadenverkleidung zu Recht nach §§ 922 Satz 4, 745 Abs. 2 BGB bejaht.

 Bei der beabsichtigten Fassadenverkleidung handele es sich um eine Verwaltungsmaßnahme i.S. von § 745 BGB, diese Vorschrift gelte über die Verweisung in § 922 Satz 4 BGB für das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis.

Im Hinblick darauf, dass die gemeinsame Giebelwand im Unterschied zur einseitigen Grenzwand, die allein dem Grundstückseigentümer gehört, auf dessen Grundstück sie steht, hält der Bundesgerichtshof die Anwendung des nordrhein-westfälischen Nachbarrechtsgesetzes (§ 19 NachbG NRW) vorliegend nicht für maßgeblich. Denn diese Regelung betrifft den Eigentümer des Grundstücks, auf dem eine Wand steht, die nur er allein nutzen darf. Dem Nachbarn stehe kein Mitbenutzungsrecht zu. Darin liege ein entscheidender Unterschied zu dem Rechtsverhältnis zwischen Nachbarn, auf deren Grundstück sich eine gemeinsame Nachbarwand befindet.

Der Bundesgerichtshof hält Erwägungen des Berufungsgerichts (Landgericht) für untauglich, das Vorhaben des Klägers entspreche dem Allgemeinwohl, weil durch die Wärmedämmung Energie eingespart werde. Der Beklagte sei ohne gesetzliche Regelung nicht verpflichtet, seinen Anspruch auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Eigentums an dem Grundstück (§ 1004 Abs. 1 BGB) zugunsten der Allgemeinheit aufzuopfern. Auch § 559 BGB helfe darüber nicht hinweg.

 Ob aus diesem der Kernsätze der Entscheidung die Denkweise des Bundesgerichtshofs für künftige, ähnlich gelagerte Fälle hergeleitet werden kann, also auch Honig zu saugen ist in den hiervon im selben Beschluss abgegrenzten, anderweitigen Entscheidungen, kann nicht vorhergesagt werden. Dort heißt es nämlich:

Zitat Selbst wenn es keine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur nachträglichen Dämmung einer solchen Außenwand gibt, entspricht es doch dem Interesse jedes vernünftig denkenden Teilhabers der Wand, diese so „nachzurüsten“, dass sie in Funktion und Aussehen dem allgemein üblichen Standard entspricht.“

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Nachtrag

Bei der Berliner CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus bleibt die Suche nach ‚Vollwärmeschutz‘ ergebnislos. Immerhin fünf Ergebnisse zum Stichwort ‚EnEV‘. Interessant ist aber folgendes: Am 01. September 2009 hat die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus offenbar einen Antrag eingebracht, der in deckungsgleicher Weise die Forderungen von gesichtspunkte.de aufgreift. Wir sind ‚bass‘ erstaunt.

Weiterführende Links

Entscheidung (kompletter Wortlaut) (Quelle: Bundesgerichtshof)

Beiträge zur Problematik (gesichtspunkte.de)

download-Angebot büro gotthal (zwei Petitionen, uploads vom 25.02.09 (Abgeordnetenhaus), 04.06.08 (Deutscher Bundestag)

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