Knackig nackich: Die englische Werbeagentur Onebestway aus Newcastle (Geburtsort des Sängers Sting) hatte bereits sichtliche Blessuren aus internationalen Finanzkrise davon getragen: Sechs Mitarbeiter mussten entlassen werden. Die Stimmung war auf dem Tiefpunkt und die Aufträge blieben aus. Der Firmenpsychologe David Taylor besuchte die Agentur auf Veranlassung einer TV-Produktionsfirma und gab die eindeutige Order: Hosen runter.  ‚Keine Klamotten, keine Scheu – das ist die Idee,‘ fasst Agenturchef Michael Owen (39) den nudistischen Arbeitstag rückblickend zusammen. ‚Das Ausziehen ist nur der erste Schritt, sich im Büro besser zu verständigen.‘

gesichtspunkte.de hat dieses soziale Experiment mit Interesse sofort nach allen denkbaren Seiten hin abgewogen. Die Idee, beispielsweise eine Versammlung von Wohnungseigentümern vollkommen nackt durchzuführen, stößt dabei nicht auf grundsätzliche Bedenken und könnte ein erfolgversprechender Lösungsansatz bei bislang unbewältigten Gemeinschaftsproblemen sein.

***

Denn Versammlungen von Wohnungseigentümern sind oft emotional beladen. Ein Wort gibt das andere, und ein weiteres das nächste, und so weiter und so fort. Stellen wir uns die Kompetenzträger solcher Gruppenmeetings, wie Verwaltungsbeirat, Verwalter oder Meinungsführer einfach einmal ’nackich‘ vor, so erscheint es durchaus als naheliegend, auf derartigen Meetings in so genannte ‚Win Win-‚Situationen hinein zu arbeiten. Alle Seiten profitieren von der ‚grenzenlosen, neuen Offenheit‘ im Umgang miteinander. Dass wirklich jeder etwas aus einer solchen Versammlung mitnehmen kann, und sei es nur eine schöne Erinnerung oder die insgeheime Bestätigung, man habe schon immer gewusst, dass Frau Senfkugel  (* Name geändert) zu dick ist oder Herr Meyerdings (* Name geändert) einen zu kurzen Piephahn besitzt? Dem steht die Vermutung gegenüber, dass besonders in älteren Wohnanlagen neue Senioren-Zweckbündnisse als Strategie gegen die Vereinsamung im Alter entstehen könnten. Hoffnungsvoll: Tante Käthe (70) findet noch einen passenden Deckel für ihren Kochtopf. Denn nackig sieht Onkel Herbert (75) noch ganz passabel aus, und schon früher hat er im Treppenhaus immer äußerst zuvorkommend gegrüßt. Wohnungseigentumsanlagen mit gemeinschaftlichem Schwimmbad wissen, wovon gesichtspunkte.de redet. Es gibt diesen unbestrittenen, täglichen Erotikfaktor beim gemeinschaftlichen Schwimmen und Saunieren und auch ältere Semester hängen unter der Dusche dann der Frage nach, wie es Herr Piepenbrink wohl geschafft hat, mit 80 noch so einen straffen Bauch zu haben? Das Nacktsein ist dabei ein bekannter, kleiner Psychotrick aus der Waffenkammer professioneller Psychologiker. ‚Erst hat man keine Ahnung, wie man sich verhalten soll, und dann erzählt man sich plötzlich Dinge, die man sonst nie erzählt hätte‘, sagt Agenturchef Michael Owen, und der kann ja nun diese Art von grenzgängerischer Lebenserfahrung tatsächlich nachweisen.

Die Variante, vollkommen nackt einen ganzen Arbeitstag zu verbringen ist als Sendung ‚Naked Office‘ in England am Freitag, den 10. Juli 2009 als TV-Doku live ausgestrahlt worden, und sie gilt den Beteiligten als das ‚extremste Mittel‘, das sie bisher eingesetzt hätten.

Der nachfolgend eingefügte Beitrag des Hessischen Rundfunks über die Probleme, eine Parkpalette zu sanieren und hierfür einen abgeänderten Verteilungsschlüssel zu beschließen, ist ein sachliches Loblied auf die WEG-Reform. Wer weiß: Ob solche Probleme sich nicht völlig anders lösen lassen, wenn Wohnungseigentümer mit reichlich ’nackten Fakten‘ konfrontiert werden. Grenzüberschreitungen wie Pöbeleien bei Diskussionen über die Haustierhaltung (‚Ich hab es ja immer gesagt, sie geht mit den Hühnern ins Bett.‘) sind wohl eher nicht zu erwarten. Eher werden besonders gut aussehende WohnungseigentümerInnen gegenteiliges erwarten: Nicht unwahrscheinlich, dass allein infolge von Sympathie-Synergien (‚Ui, der sieht aber gut aus!‘) Pluspunkte bei einer bevorstehenden, millionenschweren Parkpalettensanierung anzuhäufeln sind. ‚Wenn ich seinem Antrag zustimme, vielleicht geht es mal mit mir essen?‘ Doch genauer betrachtet, erscheint das alles andere als gerecht. Jede Gruppe Wohnungseigentümer, die besonders gut und attraktiv aussieht, wird auf einer vollkommen nackt abgehaltenen Versammlung doch eindeutig bevorzugt. gesichtspunkte.de fasst daher aus sozialen Gründen die Diskussion um nackte Eigentümerversammlungen mit einer eher zurückweisenden Gesamtbetrachtung ins Auge. Denn schließlich gehört die Nichtbevorzugung einer bestimmten Gruppe von Eigentümern, etwa weil sie besonders ansehnlich ist oder politisch nahe beim Verwalter zugerechnet werden kann, zu den Grundfesten unvoreingenommener Amtsführung (Stichwort: Neutralität).

Philharmonie Berlin - Kammer des Schreckens

Dabei kann die Idee ungehemmter Nudisten-Arbeitsplätze doch auch beklemmende Züge bekommen, denken wir etwa an das Philharmonische Orchester (Sir Simon Rattle), das nun mit Hilfe der Musikergewerkschaft humane Arbeitsbedingungen einfordert. Hiermit sei zu verstehen, dass nicht nur die Mitarbeiter der technischen Leitwarte und die Mitarbeiter der IT-Abteilung (Stichwort: weltweite Digital Concert Hall), nein auch das Putzpersonal und zuletzt die zahlenden Zuschauer allesamt nackig zu erscheinen hätten. Schon aus Temperaturgründen ließen sich sommerliche Spielpausen nicht mehr realisieren. Bekannt ist aber, dass die Philharmonie auch eine Kammer des Schreckens besitzt, in der Musiker zunächst gefiltert und dann erhitzt werden. Die Idee muss aus naheliegenden, ökonomischen Gründen wieder verworfen werden.

***

Weiterführende Links

Dokumentation von Onebestway