Die Bandbreite zwischen 52.000,- und 303.000,- EUR im Ermessen von Wohnungseigentümern

Das Leben der anderen...

Die Versammlung hatte heute vieles vor. Allein die Vorbereitungen zu einer gut vorbereiteten Versammlung zogen sich mehr hin, als zu erwarten war. Es ging um ein paar Gretchenfragen. Die Verwaltung hat vor 10 Jahren gewechselt, zu uns. Seinerzeit war eine -sagen wir- zerrüttete, unprofessionelle Verwaltung durch den teilenden (Mehrheits-)Eigentümer abgelöst worden. Der teilende Eigentümer hatte seine Mehrheit schon verloren, das erleichterte den Wechsel erheblich. Gut ist: Mit der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes wurde auch dieser Missstand beseitigt. Teilende Eigentümer dürfen eine ihren Interessen sehr genehme, eventuell personengleiche Verwaltung nicht mehr für fünf Jahre einsetzen. Der erste Verwalter, vom teilenden Eigentümer in der Teilungserklärung eingesetzt, darf nur noch auf die Dauer von (ersten) drei Amtsjahren eingesetzt werden. Das war damals noch nicht so.

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Es folgten Jahre der kaufmännischen Neuorientierung. Das Objekt musste erst wieder ‚in Schuss‘ gebracht werden. Mit allem, was dazu gehört. Heute ist die WEG in Schuss. Und im Unterschied zu früher hat sie -über einen nachvollziehbaren Zeitraum von jetzt zehn Jahren- einiges bewerkstelligt. Jedes Jahr wurden konsequent Instandhaltungsmaßnahmen vorangetrieben. Die (neue) Verwalterin teilte sich den Sachverstand von vornherein mit Miteigentümern der Anlage auf, die in ’nützlichen Berufsgruppen‘ tätig sind: Darunter auch Architekten. Die Dachgeschoss-Ausbauten waren fertiggestellt. Sie wurden auch gewährleistungstechnisch in die Obhut der WEG überbürdet. Denn mit der Abnahme fließen auch die Dachinstandsetzungsmaßnahmen einer Ausbaumaßnahme in die Zuständigkeit der WEG hinüber. Es ist ‚zwingendes Gemeinschaftseigentum‘, auch sogar, wenn beispielsweise aus einer ‚ollen Flachdachfläche‘ eine begrünte Grasdachfläche wird. Heute erzählt einer der damaligen Ausbauer noch mit witzigem Unterton davon, dass Herr Caldoni (* Name geändert), der italienische Mieter aus dem Seitenflügel, die Bauarbeiten seinerzeit immer behindert habe. Er sei ‚1,50 groß, 1,50 m breit und von vorn (Bauch) bis hinten (Rücken) gemessen, messe er ebenfalls 1,50 m‘. Das können wir uns bildlich vorstellen. Morgens um 09 Uhr haben die Bauarbeiten am Dach angefangen, und nun war das Dach offen, und während die Bauarbeiter schwitzen, kommt der ‚italienische Stier‘ Herr Caldoni, in Schlafanzugshosen, aufs Dach gestapft. Voll emotionaler Anteilnahme schimpft er darüber, dass es so nun wirklich nicht ginge. Das Kabel seiner privaten Satellitenschüssel, die illegal über Dach geführt ist, wurde von den Bauarbeitern abgetrennt. Die ausbauenden Dachgeschoss-Neueigentümer lenken ein und sagen zu Herrn Caldoni, er solle sich beruhigen. Sie empfehlen ihm, wieder ins Bett zu gehen. Mittlerweile ist es 10:30 Uhr morgens. Ja, das sind Erinnerungen.

Heute ist die WEG eine solche, die praktische Bestandsverwaltung betreibt, und die funktioniert auch recht gut. Herr Hägers (* Name geändert) hat in seiner Hofremise an einen multikulturellen, südamerikanischen Kulturverein vermietet und sagt irgendwann während der Versammlung, das Wohngeld soll nun endlich, wie versprochen, massiv abgesenkt werden. Die anderen widersprechen ihm.

Zu viele noch unerledigte Punkte stehen noch unerledigt auf der Agenda der ‚demnächst erforderlichen Schritte‘: Eine Strangsanierung ist mit ca. 28.000,- EUR kalkuliert worden. Verschoben. Und gerade eben hat die WEG nach ausführlicher Beratung beschlossen, die Fassade des Vorderhauses straßenseitig instandzusetzen. Die Bandbreite denkbarer Entscheidungsmöglichkeiten ist weit gefächert und eine solche Tragweite hat auch Auswirkungen auf die Teilnahme an der Versammlung. Es kommen sehr viele Eigentümer heute Abend. Nein, die Bandbreite ist wirklich erschreckend. Für die Fassade, Einfachverputz mit malermäßigem Anstrich, sind vom Architekten 52.000,- EUR angesetzt worden . Daneben gibt es die Überlegung, die Fassade, die massive Kriegsschäden (nach 1945) hatte, historisch korrekt nachzubauen nach alten Plänen. Stuck soll (wieder) ran. Eine Miteigentümerin hat ein Schwarzweiß-Foto einer historisch absolut vergleichbaren Fassade mitgebracht. Es ist aber ein anderes Haus, das nur sehr ähnlich gestrickt ist. Der Architekt hat einen ‚imitierten Stuck‘ aus Fertigelementen, die man heutzutage kaufen kann, vorgeschlagen. Die Elemente sind aus Styrodur, und einige sagen nun, das sei die ‚Plastiklösung‘. Statt geschätzten 11.000,- EUR mehr für eine derartige ‚Plastiklösung‘ solle doch bitte der Architekt sagen, was eine richtige Lösung koste? Aber was ist eine richtige Lösung? Die Antwort: ‚richtiger Stuck‘, ganz so wie früher. Gut, aber bei richtigem Stuck muss auch, im Unterschied zur ‚Plastiklösung‘ eine ordnungsgemäße, zusätzliche Verblechung der Stuckelemente erfolgen. Das kostet extra. Es wabern noch 20.000,- und 30.000 EUR durch den Raum, aber diese Zahlen sind insgesamt unüberprüft. Wir sind erst bei 52.000,- EUR (einfache Variante), dann rechnen wir geschätzte Mehrkosten von 11.000,- EUR für einen einfachen Stuck aus ‚Plastikvariante‘ hinzu, und nun kommt die WEG überein, es solle eine ‚Gestaltungskommission‘ beauftragt werden. Diese dürfe -aufgerundet- 15.000,- EUR für solche Art ‚Kunst am Bau‘ begründeter weise freigeben. Das findet schließlich die Mehrheit.

Doch bis dahin ist der Weg steinig. Schon runden einige gedanklich auf 70.000,- EUR auf, aber nun wird klar, dass diese Summe nicht insgesamt zur Verfügung steht, ohne eine extra Sonderumlage bilden zu wollen. Das missfällt den anderen, und auch der Remisenvermieter Herr Hägers hatte ja schon gesagt, er könne sein Geld schließlich viel besser verwalten, als irgendeine ‚tumbe‘ Hausverwaltung. Die Hausverwaltung sagt, wie zur Entschuldigung, in den letzten zehn Jahren sei das Geld aber nicht so schlecht verwaltet worden. Allgemeine Zustimmung. Ein dicker Hammer ist die weitergehende Frage nach Effekten, Wirkungen und Varianten von kompletten Wärmedämm-Maßnahmen. In dieser ausführlichsten aller denkbaren Varianten redet die Gemeinschaft nicht mehr über 70.000,-. Hier geht es nun um 303.000,- EUR und auch wenn man die 70.000,- EUR abziehe, die man ohnehin benötige, sei das ein ganz dicker Stiefel. Die Verwalterin berichtet eingehend von Recherchen über die Behäbigkeit der deutschen Förderungskultur. Und noch heute -ohne Spaß- hören wir im Radio, Minister zu Gutenberg fordere wegen der Ausnahmesituation im deutschen Kreditgewerbe, die Kreditanstalt wenigstens vorübergehend vom ‚Geschäftsbankenmodell‘ zu befreien. Das bedeutet, dass die KfW nun die Kredite direkt ausreichen soll, und dies nicht wie bisher stets über Geschäftsbanken forcieren möchte. Das wiederum ist so eklatant deckungsgleich mit Vorstellungen der Website gesichtspunkte.de, dass einem ein kalter Schauer über den Rücken läuft.

Am 10. Juni 2009 hatte die Website der regelrechten Finanzierungsverweigerung des deutschen Kreditgewerbes einen ersten ausführlicheren Artikel gewidmet.

Die Sache mit den 303.000,- EUR läuft insgesamt nicht. Erstens ist sie unfinanzierbar, obwohl die gebäudeenergetische Bilanz des Hauses -trotz dicker Mauern von 45 cm Stärke- hundsmiserabel ist. Denn aus eigenem Geld kann die WEG das nicht leisten. Und Kredite wird sie aller Voraussicht nach nicht erhalten, WEGs sind unfinanzierbar.

Die Versammlung war insgesamt eine Reise durch Länder von 1.000 verschiedenen Möglichkeiten. Deren grundsätzliche Klärung war unendlich aufwendig und vielschichtig. Einiges davon wurde hier angesprochen. Vieles davon nicht. Fest steht jetzt aber: Die WEG wird ihre Fassade instandsetzen, aber nur zu ca. 30% einer ursprünglichen (Gesamt)Fassadenfläche. Sie wird nicht, wie vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünscht, eine Wärmedämm-Maßnahme durchführen. Sie hat wegen der Unfinanzierbarkeit der Maßnahme durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau keine Lust, sich mit Sonderumlage in gleicher Höhe auseinander zu setzen. Hinzu kommt ein unverputzter Giebel, der eine Sollbruchstelle des Wärmeabflusses darstellt und der zu allem Überfluss zu einem Nachbarn hin zeigt. Es droht eine Überbauung des nachbarschaftlichen Grundstücks. Mit welchen Schwierigkeiten dabei (allein) zu rechnen ist, haben gesichtspunkte.de und gotthal.de u.a. hier und dort und da und dort (hier: Stellungnahme des Petitionsausschusses Land Berlin vom 25.02.09 und auch -weiter unten- Stellungnahme Petitionsausschuss Deutscher Bundestag vom 04.06.08) sehr deutlich dokumentiert.

Eine Eigentümerin, die mittlerweile in Kiel Wohnsitz genommen hat, bedankt sich bei der Verwaltung. Sie fühlt sich durch die Art, wie die Wissens- und Informationsvermittlung durch das Büro Gotthal erfolge, gerade auch Außerhäusige, äußerst gut informiert und dafür wolle sie sich einfach mal bedanken. Die Verwalterin nimmt es aufmerksam entgegen und freut sich über wohlmeinende Anerkennung. Diese Versammlung war essentiell und hat Entscheidungen von großer Tragweite getroffen.

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